Kapitel ~ 11

1.1K 83 21
                                    

Selena klopfte an die Zimmertür von Ariana, wartete einen Moment und trat dann ein. Die zierliche junge Frau saß auf ihrem Bett und schaute aus dem Fenster. "Ariana?", kam es vorsichtig von der Ärztin. "Ich wollte sehen, wie es Ihnen geht. Sie mussten heute Morgen ja leider eine unschöne Erfahrung machen". Gerade wollte sich die Ärztin auf den Stuhl setzen, der neben ihrem Bett an einem kleinen Tisch stand, da wurde sie von der jungen Frau gestoppt.

"Vorsichtig, bitte", sagte sie etwas ängstlich."Ich habe meine Haut über die Rückenlehne gelegt. Sehen Sie mich?"

Die Ärztin dachte kurz darüber nach, was sie antworten sollte. Normalerweise sollte man psychisch kranke Menschen nicht in ihrer Krankheit bestärken. Eigentlich müsste sie Ariana sagen, dass sie sie sehen konnte, doch sie wollte ihr nicht das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit nehmen. Nicht nach dem schrecklichen Vorfall beim Frühstück. "Nein, ich sehe Sie nicht"

"Ich bin direkt hier auf dem Bett", flüsterte sie leise. "Ich habe mich unsichtbar gemacht, damit er mich nicht findet"

"Damit wer Sie nicht findet?", wollte sie interessiert wissen.

"Na der Geist", erklärte sie der jungen Dunkelhaarigen, wie selbstverständlich. "Haben Sie noch nie etwas von dem Geist gehört?"

"Nein. Ich bin erst seit gestern Abend hier und weiß noch sehr wenig über die Einrichtung und die Bewohner hier", sagte sie, als die Brünette sie unterbrach.

"Sie haben noch nie etwas von dem Geist gehört?". Fassungslos schaute sie die Ärztin an.

"Erzählen Sie mir von dem Geist, Ariana. Wer ist er?"

Ängstlich schaute die Brünette sie an und begann dann mit leiser Stimme von dem vermeintlichen Geist zu erzählen. "Er heißt Benjamin und er lebt hier schon sehr lange. Die waren böse zu ihm. Verletzt haben sie ihn. Jetzt ist er wütend und macht böse Dinge"

"Haben Sie Benjamin schon einmal gesehen?", wollte die Ärztin wissen, während sie auf dem Stuhl Platz nahm.

Ariana schüttelte mit dem Kopf. "Nein, niemand kann ihn sehen. Er ist ein Geist... Aber er kann uns sehen... Mich sieht er nicht, wenn ich unsichtbar bin", erklärte sie und lächelte. Die junge Frau schien sich sicher zu fühlen, wenn sie glaubte, für andere nicht sichtbar zu sein.

"Machen Sie sich gerne unsichtbar?"

"Ja, besonders wenn ich bösen Menschen begegne oder dem Geist"

"Was sind für Sie böse Menschen? Gibt es hier jemanden, der böse zu Ihnen ist und Ihnen weh tut?". Selena rückte mit dem Stuhl etwas näher zu der zierlichen Gestalt und hoffte, dass diese ihr vielleicht helfen konnte, etwas über die tote Katze herauszufinden.

"Justin ist böse", platzte es plötzlich aus ihr heraus, doch direkt danach, hielt sie sich ihre Hände vor den Mund. "Er darf das nicht hören", murmelte sie in ihre Handflächen.

Die Dunkelhaarige wusste nicht genau, wie sie darauf reagieren sollte. Unter keinen Umständen wollte sie, dass die Patientin in Panik verfiel. Vielleicht konnte sie ihr einige Informationen zu dem Blonden Mann geben, den sie selbst immer unheimlicher fand. Zuerst war sie davon ausgegangen, dass er einfach nur traumatisiert war. Das was er erlebt hatte, war höchst verstörend gewesen. Doch mittlerweile hatte sie das Gefühl, dass hinter der charmanten und stillen Fassade noch mehr stecken könnte. Vielleicht sogar etwas Dunkles und Böses.

Plötzlich stand die Brünette auf. "Ich mache mich jetzt wieder sichtbar und gehe spazieren", sagte sie und bewegte sich auf den Stuhl zu, auf dem die Latina saß. Kurz darauf verließ die Patientin ihr Zimmer und ließ die nachdenkliche junge Frau alleine zurück.
Irgendwie musste sie doch herausbekommen, was mit Justin los war. In dem Gespräch, was sie zuvor mit ihm geführt hat, hatte er bedrohlich gewirkt, obwohl er nicht wirklich viel gesagt hatte. Es war seine Art, die in ihr die blanke Angst hochkommen ließ. Wieso hatte es bis jetzt einfach noch niemand geschafft, eine Diagnose zu stellen? Irgendwie musste man doch herausbekommen, warum er sich so seltsam und bedrohlich verhielt und trotzdem in manchen Momenten, so unsagbar charmant sein konnte. Sie beschloss in der nächsten Teambesprechung einmal das Thema Justin anzusprechen und hoffte, dass sie irgendwie das Puzzle zusammen setzen konnte.

PsychopathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt