„ Es ist eine lange Geschichte, und ich habe sie noch nie jemandem erzählt.", flüsterte ich.
„Dann erzähl sie mir. Ich werde zuhören, und ich habe Zeit."
„Es tut so weh, Harry. So weh."
„Ich weiß, ich weiß. Aber wenn du es mir erzählst, dann werde ich dir helfen können. Ich kann dir helfen, dass es irgendwann nicht mehr so weh tut. Ich kann dir helfen, dass der Schmerz verblasst."
„Ich hoffe es. Ich hoffe es so sehr."
Harry verstärkte die Umarmung und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn, dann fing ich an zu erzählen:
„ Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Bei meiner Geburt? Bei meiner Mutter? Bei ihm? Bei meinem Leben, als ich noch bei meinem Eltern wohnte? Es ist alles so verstrickt, so kompliziert, und an so viele Sachen erinnere ich mich nicht mehr so genau, weil ich versucht habe, sie zu verdrängen. Sie taten einfach zu sehr weh.
Vielleicht sollte ich mit dem Anfangen, was du gerade mitbekommen hast.
Ich habe Alpträume. Nicht jede Nacht, doch sehr oft, und nicht nur nachts. Ich weiß nicht, wie ich es genau beschreiben soll. Es sind Erinnerungen. Momente, oder Situationen. Ich durchlebe sie, wieder und wieder. Ich kann es nicht im Geringsten steuern. Sie kommen einfach. Manchmal werden sie durch Worte oder durch Gegenstände ausgelöst, manchmal aber auch nicht. Oft bringen sie mich zum Schreien oder ich durchlebe eine Panikattacke. Jedes Mal nehmen sie mich komplett gefangen und sie rauben mir Stück für Stück meine Kraft. Es ist, als würde meine Vergangenheit, als würden mich meine Eltern noch immer verfolgen. Als ob ich das alles niemals hinter mir lassen könnte. Sie haben mich zerstört. All die Sachen, die ich zu dir gesagt habe, von wegen, wie du mich lieben kannst. Ausgerechnet mich. Dass ich es nicht wert bin, geliebt zu werden. Das Alles kommt durch sie. Weil sie es mir mein ganzes Leben lang eingeredet haben. Immer und immer wieder. Ich verabscheue sie dafür. Dafür, dass sie mir so vieles genommen haben.
Vor zwei Jahren bin ich endlich von zu Hause abgehauen, und habe alles, wirklich alles, hinter mir gelassen. Dann habe ich meinen Namen geändert, habe Sam und Cole und irgendwann dich kennengelernt. Doch davor, davor ist so viel anderes geschehen. So viel.", ich holte tief Luft, bevor ich zu dem wirklich schmerzhaftem Teil kam: „ Mein richtiger Name lautet Elizabeth. Elizabeth Amber. Ich wurde vor 17 Jahren in einem Dorf in England geboren. Aufgewachsen in einem einsamen Haus, um das weit und breit kein weiteres Haus auszumachen war. Meine Eltern haben mich nie geliebt. Nein, stopp. Das ist nicht richtig. Meine Mutter hat mich nie geliebt. Mein Vater hingegen schon, doch denn haben sie mir genommen. Meine Mutter und ihr Mann, denn ich jahrelang für meinen Vater hielt. Die beiden, die ich jahrelang als meine Eltern bezeichnete. Sie haben ihn umgebracht. Erschlagen, weil sie mich bestrafen wollten. Er ist gestorben, weil er mich liebte. Das ist eine Sache, die mich bis an mein Ende verfolgen wird. Das werde ich niemals vergessen können. Seine Schreie. Seine Schmerzensschreie waren das Letzte, was ich von ihm mitbekommen hatte. Das Letzte, bevor er mich verlassen hatte.
In unserem Haus hatte ich ein Zimmer, und in diesem musste ich mich beinah immer aufhalten. Selten durfte ich in die Stadt. Sonst durfte ich mein Zimmer nur verlassen, wenn ich zur Schule musste. Doch Freunde durfte ich nie mit nach Hause bringen und welche zu besuchen war mir auch strengstens verboten. Doch das fiel niemandem auf. Am Anfang hatten sie mich noch nach Verabredungen gefragt, irgendwann hatten sie es unterlassen und ich wurde zur einsamen Außenseiterin. In der Schule hatte ich niemanden und zu Hause auch nicht. Die Welt war ziemlich einsam für mich. Meine Zeit habe ich mit nachdenken verbracht. Und damit, die Musik, welche ich bei meinen wenigen Stadtbesuchen gehört hatte, wieder und wieder in meinem Kopf abzuspielen.
Irgendwann, ich glaube ich war gerade neun oder zehn Jahre alt, kam mich ein Mann besuchen. Meine Mutter ließ ihn in mein Zimmer, und dann schloss sie die Tür wieder. Er blieb an der Tür stehen und starrte mich an. Ich saß auf einem Stuhl und hatte meinen Blick gesenkt. Er war mir unheimlich. Oder besser gesagt, sein Verhalten war mir unheimlich. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig und er sah gut aus, das fiel mir sofort auf. Eigentlich sah er auch nett aus, hätte er mich nicht so angestarrt.
„Du bist so hübsch.", hatte er geflüstert, und ich war mir nicht sicher gewesen, ob ich es hatte hören sollen. Er war mir immer noch unheimlich gewesen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er sich als Leo vorstellte und mich dabei freundlich anlächelte. So herzlich hatte mich schon seit Jahren, wenn nicht sogar noch nie, jemand angelächelt und ich schloss ihn sofort in mein kindliches, naives Herz. Wir unterhielten uns und er kam immer öfter. Anfangs jeden Tag, dann nur noch ein paar Mal die Woche. Die Abschiede fielen uns jedes Mal schwer. Er war meine Rettung in der Hölle, welche ich mein Leben nennen musste.
Es kam der Tag, an dem meine Mutter mir sagte, dass mich niemand gewollt hatte, dass mich niemand jemals wollen würde. Sie schmiss mir an den Kopf, dass ich ein Versehen sei. Ein schrecklicher Fehler. Es gab meiner sowieso schon kaputten Seele den Rest. Ich war gebrochen. Gebrochen und allein. Bis auf Leo. Leo war da, und er liebte mich. Er liebte mich und ich liebte ihn. Er war alles, was ich hatte. Ich war kurz davor einfach aufzugeben, doch er hielt mich. So vergingen um die vier Jahre. Ich wurde vierzehn, und war emotional total am Ende.
An einem schrecklichen Tag im Winter warf mir meine Mutter wieder einmal so viele Beschimpfungen an den Kopf. Sie hörte nicht auf, bis meine Selbstbeherrschung brach, und ich anfing zu weinen. All der Schmerz rann mir in Tränenrinnsalen über die Wangen und ich war einfach nicht mächtig diese Tränen zu stoppen. Meine Mutter schrie mich an, ich solle doch endlich zu heulen aufhören, doch es ging nicht. Ich konnte nicht, obwohl ich wollte. Dann verließ sie das Zimmer, und ich wusste, was das hieß. Bestrafung. Mir hatten sie körperlich nicht einmal etwas getan. Wenn sie sonst alles getan hatten, körperlich hatten sie mich nicht einmal angerührt. Nicht einmal die Hand gegen mich erhoben.
Nur wenige Sekunden, nachdem meine Mutter das Zimmer verlassen hatte, hörte ich erst das Klingeln an der Tür und Minuten später Schreie. In diesem Moment fiel ich in eine Starre, aus der ich mich stundenlang nicht mehr lösen konnte. Heute weiß ich, dass ich ihm hätte helfen können. Ich hätte ihn vielleicht retten können, doch ich war doch erst 14 gewesen. Ich hatte es doch damals noch nicht gewusst.
An diesem Tag erschlugen sie ihn, und keiner außer mir hatte etwas gehört, denn unser Haus stand abseits von allen anderen Häusern. Kilometer bis zum nächsten Haus. In dem Moment, in dem er starb, verlor ich nicht nur ihn, sondern auch meinen Glauben. Meinen Glauben in Gott, der so etwas Schreckliches geschehen ließ, den Glauben an das Gute, was sich bei mir nie blicken ließ, und den Glaube in die Menschheit, die mich jeden Tag aufs Neue bestrafte.
Leo war nicht mehr da. Er hatte mich verlassen. Er starb, weil ich ihn geliebt hatte, das hatte meine Mutter mir damals erklärt. So hatte ich meinen Beschützer verloren. Meinen Fels in der Brandung.
Ein halbes Jahr später fand ich durch Zufall ein Buch. Das Tagebuch meiner Mutter. Ohne zu zögern fing ich an es zu lesen, in der Hoffnung diese Frau dann vielleicht besser verstehen zu können, und ich tat es. Das, was ich darin las, half mir zu verstehen. Es erklärte mir so viel. Ich erfuhr, dass Leo mein Vater gewesen war. Leo, und nicht der Mann meiner Mutter. Sie hatte ihn vor Jahren mit Leo betrogen, und war schwanger geworden. Leo hatte sie es gesagt, und ihm dann den Kontakt verboten. Ihrem Mann aber hatte sie es verschwiegen. Doch er kam von selber darauf, dass sie ihn betrogen hatte und ich das Ergebnis davon war. Aus diesem Grund hasste er mich. Und meine Mutter hasste mich dafür, dass ich sie jeden Tag daran erinnerte, was sie falsch gemacht hatte.
Irgendwann aber wollte Leo mich kennen lernen, und sie ließ es geschehen, doch er durfte mir nicht sagen, wer er war. Sie hatte Angst, es könnte sich im Dorf verbreiten, was sie getan hatte. Sie hatte Angst davor, dass ihr Ruf beschmutzt werden würde.
An dem Tag, an dem Leo starb, hatte sie eingetragen, dass sie mich hasste und dass ich endlich Respekt lernen sollte. Sie war so wütend gewesen und als Leo kam, wusste sie, was sie tun würde. Sie rief ihren Mann auf Arbeit an, und sagte ihm, dass sie von einem Mann belästigt werden würde. Ihr Mann war schon immer der eifersüchtige, besitzergreifende Typ gewesen und so kam er augenblicklich nach Hause. Zusammen erschlugen sie ihn, in einem Anfall von Wut und Jähzorn.
Nachdem ich das erfahren hatte, stellte ich die beiden zur Rede, doch sie wollten nicht reden. Sie schrien mich erneut an, welch ein Fehler ich doch war. In diesem Moment beschloss ich, dass ich ausziehen würde. Sofort und auf der Stelle. Ich nahm meine wenigen Habseligkeiten und verließ mit gerade einmal 15 Jahren mein Elternhaus. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hinsollte, doch alles war besser, als nur noch einen Tag bei diesen Monstern auszuharren. So kam ich nach London, wo ich erst Sam und dann Cole kennen lernte, und anschließend dich"
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Different (Harry Styles)
FanfictionHope und Harry. Der gleiche Anfangsbuchstabe und ihre Liebe zur Musik ist wohl das Einzige, was sie verbindet. Ansonsten könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Sie, die arme Straßenmusiker, die das Wort glücklich nur aus Geschichten kennt. Er, d...