So gut wie heute habe ich schon lange nicht mehr geschlafen. Zwar nicht besonders lange, aber dafür war es ein erholsamer und traumloser Schlaf.
Ich habe heute erst zur dritten Stunde Unterricht, da die ersten Beiden ausfallen, und bin glücklicherweise nicht einmal aufgewacht, als meine Zimmergenossinen aufgetanden sind.
Mit einem entspannten Gähnen setze ich mich auf und strecke mich. Dann stehe ich auf und humple mit meinen Krücken die Treppen runter, um mir etwas zu essen zu holen. Selbst das eklige Frühstück kann mir heute nicht die Laune verderben.
Alleine mache ich mich auf den Weg zur Schule und komme mitten in der ersten großen Pause dort an. Als Johanna mich sieht, rennt sie auf mich zu und umarmt mich schwungvoll.
'Hey Süße, du lächelst ja fast!? Sag bloß, du hast herausgefunden, dass das Leben nicht immer bloß scheiße ist.'
Gespielt schockiert starrt sie mich an. Ihre Worte verletzen mich ein wenig, vor allem, weil ich bisher bloß Scheiße erlebt habe, aber ich überspiele es, da sie ja nichts dafür kann.
Lachend antworte ich ihr.
'Und was hast du heute für einen Scherzkeks gegessen?'
Sie findet meinen Wortwitz so toll, dass sie sich den Rest der Pause darüber kaputt lacht, was mich zum Grinsen bringt und meine Laune noch einmal um ein kleines Stückchen steigen lässt.
Die nächsten beiden Stunden habe ich Kunst. Das heißt ganz in Ruhe in einer Ecke des Raumes sitzen und ohne von Mitschülern genervt zu werden an meinem momentanen Kunstprojekt weiterarbeiten.
Der Arbeitsauftrag lautet: 'Formt aus Ton ein möglichst realistisch aussehendes Körperteil und irgendeinen dazu passenden Gegenstand.'
Ich habe mich dazu entschieden, eine Hand zu machen. Die Hand hält einen Stift und daneben liegt eine Papierrolle.
Ich bin schon fast fertig und bisher eigentlich ziemlich zufrieden mit meinem Werk. Kunst habe ich schon immer geliebt. Es hat mir geholfen, meinen Alltag zu vergessen.
Viel zu schnell ist die Stunde vorbei und ich treffe mich wieder mit Johanna auf dem Pausenhof. Sie kommt mir schon freudig entgegen.
'Wir gehen in zwei Wochen auf einen Ausflug! Wie cool ist das denn?!'
Ich runzle die Stirn.
'Wohin geht ihr denn?'
Sie ist total aufgeregt, aber so ganz nachvollziehen kann ich das nicht.
'Das ist eine Überraschung. Wir werden mit dem Bus hinfahren und dann erst sehen wir, wo wir sind.'
Wieso bloß findet sie das toll? Zwei Wochen zu warten, um zu erfahren, wohin der Ausflug geht, ist doch der pure Horror. Vor allem, wenn es nachher etwas ist, was man eigentlich gar nicht mag.
Dennoch ist ihre Euphorie ansteckend. Grinsend schüttel ich den Kopf, als sie wie ein kleines Kind vor mir auf und ab hüpft.
Der Gong unterbricht uns und wir gehen in unsere Klassen. Die letzten beiden Stunden gehen zum Glück schnell vorbei und wir machen uns auf den Weg ins Heim.
Johanna ist immer noch ziemlich aufgedreht und sie plappert mich total voll. Als wir um eine Ecke biegen sehe ich plötzlich Lukas.
Doch ich bin nicht die einzige, die ihn sieht. Johanna hat ihn auch schon erspäht. Ich zucke erschrocken zusammen, als Johanna neben mir anfängt zur anderen Straßenseite rüberzubrüllen.
'Lukas! Hallo Lukas!'
Währenddessen winkt sie wie wild.
Erschrocken fährt Lukas herum, doch als er erkennt, wer es ist, winkt er lächelnd zurück. Als sein Blick auf meinen trifft, vertieft sich sein Lächeln.
Sein eigentlicher Gesprächspartner will seine Aufmerksamkeit wieder haben, weshalb Lukas sich ihm wieder zuwendet.
Auch wir gehen weiter, doch ich kann nicht widerstehen, mich noch einmal nah ihm umzudrehen. Mein Herz macht einen freudigen Satz, als ich feststelle, dass auch er sich noch einmal umgedreht hat.
Neckisch sieht Johanna mich an.
'Na? Läuft da was?'
Erst bin ich ein wenig verärgert, schließlich ist das meine Sache, aber dann erinnere ich mich daran, dass sie meine beste Freundin ist und ih mit ihr über so etwas reden kann.
Ich zucke mit den Schultern.
'Ich weiß es nicht genau.'
Sie grinst schelmisch.
'Aber du fändest es toll, wenn da etwas laufen würde, nicht wahr?'
Ertappt. Ich spüre, wie ich rot werde. Verträumt lächelnd blicke ich nach unten.
Sie lacht nur laut. Das war wohl Antwort genug.
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Wieso ich?
Teen FictionMia hat eine schreckliche Vergangenheit: Von ihren Eltern misshandelt, von den Freunden verlassen und durch den Tod ihres geliebten Großvaters gezeichnet, landet sie im Kinderheim. Sie lässt nichts mehr an sich heran, lässt sich von niemandem helfen...