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'Begonnen hat alles damit, dass meine Eltern sich verliebt und geheiratet haben. Sie wollten eigentlich eine Weltumsegelung machen, aber dann kam ich.'

Ich schlucke. Allein die Erwähnung meiner Eltern lässt die Panik und Angst in mir auftauchen.

Johanna nimmt sanft meine Hand in ihre und lächelt mich an.

'Lass dir ruhig Zeit.'

Ich nicke.

'Stattdessen wollten sie dann eine normale Weltreise machen, die sie dann aber schnell abbrechen mussten, weil ich von den Klimawechseln krank wurde.

Also blieben sie hier. Mein Vater hatte Probleme in der Arbeit, geriet an die falschen Leute und begann zu trinken. Meine Mutter war mit dieser Situation total überfordert und brauchte einen Sündenbock.

Da ich ihnen schon einmal im Weg stand, wählte sie mich. Sie war total kalt zu mir und verachtete mich. Liebe bekam ich nie von ihr.

Das mit dem Schlagen begann, als ich alt genug war, um mich gegen die schlechte Behandlung zu wehren. Damit ich gehorchte, wurde ich geschlagen.

Vor allem mein Vater stellte fest, dass es ihm Spaß machte, mich zu schlagen.

Ich hatte kaum Freunde. Zu mir nach Hause konnte niemand kommen und in der Schule zog ich mich zurück.

Meine Großeltern waren meine größte Stütze. Bei ihnen ging es mir gut. Meine Eltern hatten immer Ausreden für meine Verletzungen.

Irgendwann besuchten wir meine Großeltern nicht mehr, weil meine Eltern Angst hatten, dass ich etwas erzählte. Die Ausrede hierfür war immer, dass ich ständig krank sei und sie mir die langen Fahrten nicht zumuten wollten.

Wenn meine Großeltern kommen wollten, hatte ich, laut meinen Eltern, plötzlich irgendwelche ansteckenden Krankheiten.

Einmal habe ich gehört, wie meine Mutter ihnen am Telefon erzählt hat, wie schwierig es doch mit mir sei, weil ich so oft krank wäre und ich so sehr an ihnen hängen würde, dass sie mich nie in die Betreuung anderer geben konnten.'

Ich mache eine kleine Pause und atme tief ein.

'Dann kam der eine Tag, an dem sie es übertrieben. Ich war im Nachbarort wegen eines Schulprojektes. Für den Heimweg ist der Bus ausgefallen, also musste ich laufen.

Über meine Verspätung regten sich meine Eltern so sehr auf, dass sie mich in den Keller zerrten und dort auf mich ein schlugen.'

Ich zittere am ganzen Körper. Mein Blick ist ins Nichts gerichtet.

'Mein Vater griff zu einer Eisenstange und nach ein paar Schlägen brach meine Schädeldecke.'

Ich sehe den Moment wieder vor mir. Mein Atem geht immer schneller und ich drehe hilflos den Kopf in Johannas Richtung.

Sie nimmt mich in den Arm und streichelt sanft über meinen Rücken. Zum einen schmerzt es unglaublich, darüber zu reden. Es holt jede einzelne Erinnerung wieder hervor. Zum anderen tut es gut und ist befreiend, das Ganze nicht mehr in mir einschließen zu müssen.

Ich habe es endlich jemandem erzählt. Ich habe offen darüber gesprochen. Ein paar Tränen laufen über meine Wangen, doch es sind Tränen der Erleichterung. Ein riesiger Stein fällt mir vom Herzen.

Johanna lockert ihren Griff um mir sanft die Haare aus dem Gesicht zu und die Tränen von den Wangen streichen.

'Und wer war der Freund, der den Rettungswagen gerufen hat?'

Fragend sieht sie mich an.

'Das war Fabian. Er hat mich einmal getröstet, als ich auf der Straße geweint habe. Seitdem sind wir gute Freunde. Er war eher wie ein Bruder für mich.'

Sie nickt.

'Und was ist jetzt aus ihm geworden?'

Meine Schultern sinken unter dem plötzlichen Druck, der darauf lastet, nach unten.

'Ich weiß es nicht.'

Ich seufze.

'Ich war lange im Krankenhaus und er hatte Probleme mit der Polizei, weil er sich mit meinem Vater geprügelt hat. Ich wollte so schnell wie möglich raus aus der Stadt und kam in ein Krankenhaus in der Nähe meines Opas. Meine Oma starb ein paar Jahre vorher. Als ich aus dem Krankenhaus heraus konnte, lebte ich bei ihm. Bis er eines Tages tot in seinem Bett lag.'

Ich schlucke und atme zittrig ein.

'Ich wollte nicht ins Heim und bin deshalb abgehauen. Ein paar Monate habe ich auf der Straße gelebt. Ich kam nie dazu, Kontakt mit Fabian aufzunehmen. Vor allem, weil er selbst auf der Straße lebte und ich nie wieder in meine Heimatstadt zurückkehren wollte.'

Sie lächelt und nimmt mich erneut in den Arm. So bleiben wir, bis die anderen kommen.

Als sie uns sehen, werden plötzlich alle still, doch sobald wir losgefahren sind, fangen sie wieder an zu reden.

Wieso ich?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt