Es regnet und vereinzelte Tränen rollen meine Wangen hinunter. Ich humple langsam von der Schule zum Heim.
Ich hatte Mittagschule, was einen Schulweg ohne Johanna bedeutet.
Meine Glieder fühlen sich unendlich schwer an und alles in mir drin fühlt sich schwer und eingequetscht an. Mein Herzschlag scheint unter dem Druck immer langsamer zu werden.
Ich schaffe es kaum noch einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich bleibe stehen und richte meinen Blick zum tiefgrauen Himmel.
Die Tropfen fallen auf mein Gesicht und hinterlassen tränengleiche Spuren. Ich atme einmal tief ein.
Doch es bringt nichts. Der Druck auf meiner Lunge lässt kaum Luft in die Lunge kommen.
Ein Auto fährt vorbei und erinnert mich wieder daran, dass ich mitten auf dem Gehweg stehe.
Ich sehe ein paar Meter weiter einen Weg zu einem kleinen Park. Mühsam bewege ich mich in diese Richtung.
Ich lasse mich auf die nächstbeste Bank fallen und lege den Kopf in den Nacken. Ich schließe die Augen. Die Lieder sind einfach zu schwer.
Ich vermisse die Fröhlichkeit. Ich vermisse das Glücklichsein. Ich durfte solche Dinge noch nicht oft erleben, aber dieser eine Tag, der erst so kurze Zeit her ist, genügt.
Ich vermisse das Gefühl, einfach nur ein junges Mädchen zu sein. Es ist ein Gefühl von Freiheit. Ich habe es tatsächlich geschafft, alles zu vergessen. Die ganze Scheiße, die mein Leben geprägt hat, hatte plötzlich keinen Wert mehr und hat mir nichts mehr ausgemacht.
Diese Gedanken bringen mich dazu zu schluchzen. Meine Verzweiflung bricht aus mir heraus. Ich will diese Schwere, dieses Erdrückende loswerden.
Mein Körper bebt unter den Schluchzern. Immer schneller. Alles bricht aus mir heraus.
Ich nehme wahr, wie sich jemand neben mich setzt. Mein Gehirn realisiert irgendwie, dass es Lukas ist. Er zieht mich zu sich her und ich lehne mich an ihn. Mein Kopf liegt auf seiner Schulter.
Ich schließe wieder meine Augen. Ich lasse die komplette Verzweiflung einfach raus. Er sitzt schweigend neben mir und ist einfach für mich da. Er ist genau das, was ich gerade brauche.
Als ich mich allmählich beruhige, streicht er sanft mit seinen Fingern über meine Wange und über mein Haar.
Das Zeitgefühl habe ich längst verloren, doch irgendwann hören die Schluchzer auf und auch die Tränen versiegen. Mit meiner Verzweiflung ist jedoch auch meine Kraft verschwunden.
Eine Weile sitzen wir schweigend und aneinandergelehnt da. Irgendwann dreht er den Kopf und sieht mich an.
'Soll ich dich ins Heim bringen?'
Ich zucke mit den Schultern. Ich weiß selbst nicht so genau, was ich will.
Er überlegt einen Moment. Dann lächelt er mich schief an.
'Mein Bruder müsste gleich kommen, er sollte mich vom Training abholen, aber wir haben heute früher aufgehört. Wenn es ok für dich ist, könnten wir dich mitnehmen und im Heim absetzen.'
Ich zögere kurz. Was, wenn sein Bruder alles wissen will und ständig irgendwelche Fragen stellt?
Als hätte er meine Gedanken gelesen, fängt Lukas an zu reden.
'Er wird keine Fragen stellen.'
Ich nicke. Dann fahre ich gerne mit. Ich weiß nicht, wie ich den restlichen Weg in diesem Zustand sonst schaffen sollte.
Er steht auf und ich folge seinem Beispiel. Wir gehen wieder vor an die Straße und warten dort auf seinen Bruder.
Lange müssen wir nicht warten, denn nach ein paar Minuten kommen die Scheinwerfer eines Autos um die Ecke.
Es hält direkt vor uns und Lukas öffnet mir die Tür, damit ich mit meinen Krücken irgendwie hinein klettern kann.
Als Lukas auch drinnen sitzt, schaut sein Bruder ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
'Fahr bitte beim Heim vorbei.'
Sein Bruder nickt bloß und fährt dann los. Er stellt tatsächlich keine Fragen.
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Wieso ich?
Teen FictionMia hat eine schreckliche Vergangenheit: Von ihren Eltern misshandelt, von den Freunden verlassen und durch den Tod ihres geliebten Großvaters gezeichnet, landet sie im Kinderheim. Sie lässt nichts mehr an sich heran, lässt sich von niemandem helfen...