Aussprache

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"Worum gehts?', fragt Anne ihn besorgt. Mein Blick wechselt regelmässig zwischen Harry und seiner Mutter hin und her. Nach einigen Sekunden der Stille bleibt mein Blick bei Anne hängen. Sie ist Mom's Schwester.
"Mom, sieh dir Sharon mal bitte genau an. Was siehst du?"
Anne folgte stirnrunzelnd seiner Anweisung. Nun ruhten drei Augenpaare auf mir. Mir war das Ganze zeimlich unangenehm, doch ich lasse es zu.
"Ich sehe ein junges, wunderschönes Mädchen. Noch dazu hat sie wunderschöne Augen. Und deine hohen Wangenknochen Sharon. Toll." Ich lächle Anne aus tiefstem Herzen an, doch ihr Blick erstarrt. Sofort verschwindet mein Lächeln.
"Was ist?', frage ich sie unsicher.
Anne schüttelt den Kopf, als wollte sie einen Gedanken verscheuchen.
"Nichts Liebes, du erinnerst mich nur an eine Person aus meiner Vergangenheit. Du siehst ihr ziemlich ähnlich."
Harry sieht Anne an und sagt: "Genau Mom, das ist es ja." Er nimmt ihre Hand und streicht sanft darüber.
Anne's Blick haftet wieder auf mir. Sie beginnt, hektischer an mir rauf und wieder runter zu sehen.
"Du siehst aus wie Katie ", sagt sie. Ich nicke nur. "Das ist meine Mutter", sage ich. Anne beginnt zu lachen. "Das ist wohl ein Scherz." "Nein Mom, es ist die Wahrheit. Sharon ist ihre Tochter. Und deine Mutter, Sharon's Oma, haben Harry und ich bereits getroffen", beruhigt Gemma sie.
Nun beginnt Anne, leise zu weinen. Sie hält sich die Hand vor den Mund und blickt panisch umher. Harry steht auf und legt seine Arme um mich. Langsam beruhigt sich ihr Atem wieder. Harry hatte schon immer diese Gabe, jemanden zu beruhigen. Das konnte er auch bei mir. Ich lächle ihn dankbar an.
"Mom, ganz ruhig. Ich weiss, dass das alles gerade einbisschen viel ist. Aber Mom, das ist Schicksal. Man trifft nicht einfach so jemanden im Leben, der alles besser macht und dazu noch indirekt zur Familie gehöhrt", höre ich Harry sagen. Alles besser macht? Meint er damit etwa mich? Mein Blick trifft auf seinen. Er zwinkert mir zu.
"Anne, ich weiss wie das für dich sein muss, aber ich bin wirklich sehr froh dich kennenzulernen. Und glaub mir, ich habe nie von dir erfahren. Mom hat dich nie erwähnt - leider. Und Oma vermisst dich auch ganz schrecklich. Sie will dich wiedersehen, sie verzeiht dir alles!" Anne sieht mich and und drückt meine Hand. Nun lächelt sie zwischen ihren Tränen hervor.
"Wie geht es Katie?", fragt sie vorsichtig. Mein Herz erwärmt sich. Nach all den Jahren kann man die Liebe für die Schwester noch heraus hören, nachdem sie den Namen meiner Mutter ausgesprochen hat.
"Gut. Sie und Dad sind fast immer unterwegs in Asien oder Amerika wegen ihrer Firma. Das heisst, ich lebe sozusagen alleine. Ich habe leider auch keine grosse Beziehung zu ihr, doch ich denke, dass ich nun weiss weshalb sie so 'kalt' ist. Ihr fehlte bis anhin ein wichtiger Teil im Leben, und das warst du", sage ich zu Anne.
"Ich habe sie immer vermisst. Sie, Mom und Dad", sagt Anne. Dad? Oh sie meint Opa? Weiss sie, dass er tot ist...
"Und ja, ich weiss dass Dad gestorben ist. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Gott wie gerne hätte ich ihn noch gesehen", schluchzt sie. Harry legt wieder einen Arm um ihre Schulter. Ich kann sie verstehen.
"Deshalb solltest du die Chance nutzen Mom, die dir gegeben wird. Du kannst deine Familie wieder sehen und alles wieder gutmachen. Ich denke, da hat ein Engel von da oben mitgeholfen", mischt sich Gemma ein. Anne hebt ihren Blick und nickt. "Ihr habt recht. Ich will Katie und Mom wiedersehen. Ich habe sie so sehr vermisst."
"Und sie dich sicherlich auch. Tante Anne", grinse ich. Anne beginnt zu lachen, und wir stimmen mit ein.
Anne richtet ihren Blick auf Harry, dann auf mich. "Gott sei Dank bin ich nur adoptiert, sonst hätten wir ein kleines Problem." Sie zwinkert Harry zu, der sich sichtlich entspannt.

Nach einigen Stunden über Anne's Kindheit bemerke ich, wie Harry sich an den Kopf fasst und stöhnt. Oh nein, sein Tumor. Er beginnt, nervös mit den Beinen zu zittern. Anne sieht ihn besorgt an, während Harry versucht, mit seinen Schmerzen klarzukommen. Es ist seltsam, denn zuhause in Totnes hatte er nie einen solchen Anfall.
"Harry, wie kann ich dir helfen?', frage ich ihn besorgt. Er erwiedert meine Frage mit einem knappen "-Tabletten..", sodass ich aufspringe und in den Flur renne. In seiner Tasche beginne ich, die Verpackung mit dem Schmerzmittel zu suchen. Währenddem ich darin rumwühle, stürmt Harry an mir vorbei ins Badezimmer. Er schliesst die Tür hinter sich. Ich höre, wie er sich übergeben muss.
Mir steigen Tränen in die Augen. Nein, ich will nicht, dass er leidet. Nicht er. Ich liebe ihn und ich brauche ihn.
Anne kommt in den Flur gerannt und nimmt mir die Packung Tabletten aus der Hand. Sie streicht mir über den Kopf und geht zu ihm ins Badezimmer. Ich sitze noch immer neben unseren Taschen, geschockt und wie eingefroren.
Ich wusste nicht, wie man damit umgeht, wenn jemand krank war. Ich hatte das noch nie erlebt.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, die mich zurück schrecken lässt. Gemma.
"Komm Sharon, wir setzen uns auf die Couch", sagte sie. Ich stehe auf und folge ihr ins Wohnzimmer.

"Ich kann verstehen, dass das Ganze für dich ein Schock ist. Anfangs wusste ich auch nie, wie ich mich verhalten soll, wenn Harry einen Anfall bekam. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Mach dir keine Gedanken..."
Sie strich mir liebevoll über den Rücken, während ich immernoch hektisch atme und leise vor mich hin weine.
Was hätte ich getan, wenn Harry bei mir in Totnes einen solchen Anfall bekommen hätte? Damals, als wir noch alleine waren, wusste ich nichts von seiner Krankheit. Irgendwie bin ich froh, dass seine Mutter und Gemma hier sind.

In zwei Tagen ist Harry's Operation. Es wird ein heikler Eingriff, doch Harry wird das überleben. Er muss.

Hey AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt