Bis der Tod uns scheidet

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Der höllische Schmerz bohrt sich in meinen Kopf, während ich versuche, mich auf den Fremden hinter mir zu konzentrieren.
Aus dem Augenwinkel erkenne ich einen Mann mitte vierzig, der stolz vor mir steht. In seiner Hand hält er eine kaputte Weinflasche, mit der er mich wahrscheinlich am Kopf getroffen hatte. Absichtlich.

"Na Süsse?", höre ich den Fremden wieder. "Zeig dich doch mal!" Ich spüre einen festen Handgriff um meinen Arm.
"Aua", schreie ich und versuche, mich loszureissen. "Was soll denn das?"
Ich drehe mich zu ihm um und blicke in sein wiederliches Gesicht . "Lassen Sie mich los!"
Der Fremde lacht und verspottet mich mit seinem Blick. "Wir wollen doch nur etwas Spass haben!" Er zieht mich an meinem Arm näher zu sich heran.
Der Schmerz in meinem Kopf wird immer stärker, weshalb ich es nicht schaffe, mich von diesem ekligen Schwein zu befreien.
"Bitte nicht", murmle ich. Die Übelkeit steigt in mir hoch. "Brauche...Hilfe...", flüstere ich.

"Püppchen, wir werden uns nun amüsieren! Hast du verstanden? Junge Damen wie du sollten um diese Zeit nicht alleine am Strand sitzen. Aber wer so schön ist, kann gleichzeitig niemals intelligent sein. Naives Ding..."
Ich kann seine Alkoholfahne deutlich riechen. Dieses Schwein!

Mit der einen Hand hält er mich immernoch fest. Ich kann förmlich spüren, wie der Bluterguss sich darunter beginnt zu bilden. Trotzdem dominiert der Schmerz in meinem Kopf einfach zu sehr. Mir ist durchaus bewusst, dass wenn ich nichts unternehme, ich wahrscheinlich bewusstlos enden würde und dieser Dreckskerl mit mir machen kann, was er will.

Ich nahm all meine Kraft zusammen und schrie laut: "Harry!"
Innerlich betete ich zu Gott, dass er mir meinen Engel senden würde. Ich brauchte ihn nun mehr als alles andere.
"Harry. Bitte", wimmere ich. "Ich brauche dich doch..."
Weinend falle ich auf die Knie. Das wars dann wohl. Ich werde diesem Typen wohl zum Opfer fallen.
"Ich liebe dich Harry", flüstere ich noch, bevor ich meine Augen verschliesse, um nicht mitansehen zu müssen, was dieser Mann mit mir tun wird.

"Lass sie sofort los du Arschloch", höre ich eine vertraute Stimme immer näher kommen. Harry.
Ruckartig öffne ich wieder die Augen. Der Fremde lässt von mir ab und wendet sich Harry zu, der auf uns zugestürmt kommt. Ich vernehme nur einen lauten Knall, worauf der Perversling neben mir am Boden kauert und sich seine Nase hält. Harry muss ihn geschlagen haben.

"Sharon", höre ich Harry neben mir. Er geht auf die Knie und streicht über meinen Kopf. "Du meine Güte, du blutest ja!" Er streicht sich die Hände an der Hose ab und hebt mich vorsichtig hoch.
"Verzeih mir!", schluchzt er vor sich hin. "Ich hätte dich niemals gehen lassen dürfen."
"Harry", versuche ich trotz dem Schmerz die richtigen Worte zu finden. "Sssshhh", beruhige ich ihn. Ich streiche über seine Wange und atme tief ein und aus.
Ich bin ja selbst Schuld, wer setzt sich denn alleine an einen öffentlichen Strand in einem komplett fremden Land? Das kann auch nur mir einfallen. Der Kerl hatte recht; ich naives Ding.

Der Schlag mit der Weinflasche hat mich stärker erwischt, als mir lieb ist. Wieder steigt die Übelkeit in mir hoch. Ich schliesse die Augen und lehne meinen Kopf an Harrys Brust.
"Ich werde dich sofort in eine Notaufnahme fahren", sagt Harry entschlossen.
"Das ist nicht nötig", widerspreche ich.
"Natürlich ist es das Sharon", gibt Harry von sich. "Das ist alles meine Schuld."

Ich würde ihm liebend gerne versichern, dass er keine Schuld trägt, doch ich fühle mich einfach zu schwach, um etwas zu erwiedern.

Beim Bus angekommen, legt Harry mich in auf den Beifahrersitz. Er rennt um den Bus und steigt ein, worauf er den Bus startet und mit quietschenden Reifen los rast.
Harry übersieht, oder besser gesagt, ignoriert sämtliche Verkehrsschilder. Sein Blick ist starr gerade aus gerichtet. Ab und zu sieht er kurz zu mir herüber um sicher zu gehen, dass ich nicht einschlafe.
"Bleib wach Kleines", wiederholt er immer wieder. Ich versuche mit meiner ganzen Kraft die übrig bleibt, meine Augen offen zu behalten und Harry anzusehen. Er hat recht; ich darf nicht einschlafen. Sonst würde ich noch bewusstlos werden.
"Ich liebe dich", flüstere ich Harry zu. "Ich werde dich niemals vergessen."
"Sharon! Hör sofort damit auf, solche Versprechen zu machen! Du wirst wieder gesund!", schreit Harry mich an. In seinen Augen bilden sich die Tränen, während er sichtlich versucht, die Kontrolle zu behalten.

Hey AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt