Das Geständnis

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Ich erwache, als er mich auf die Schläfe küsst. Ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren.
Ich öffne die Augen und blicke in zwei wunderschöne grüne Augen. "Morgen", murmle ich verschlafen.
Er lächelt. "Guten Morgen Kleines".
Mein Herz macht einen Sprung. Er hat mich gerade Kleines genannt. Sowas habe ich noch nie erlebt. Früher hat mich man mich immer "Pummelchen" genannt. Das tat so weh.
Ich kam nach Hause, packte mir meine Sportschuhe und ging jeden Abend eine Stunde in den Wald laufen. Ich konnte mit niemandem über meine Probleme sprechen. Meine Eltern waren zu beschäftigt, und wenn ich sie mal drauf ansprach dass man mich gemobbt hatte, lachten sie mir ins Gesicht und sagten:"Und damit kommst du nicht klar? Du darfst keine Schwäche zeigen!" Seit dieser Aussage meiner Mutter habe ich mich ihr und Dad gegenüber komplett verschlossen. Das sind keine Eltern mehr. Das sind zwei Menschen, die eine unerwünschte Tochter finanziell erziehen. Von Liebe habe ich jedoch nichts mitbekommen.
Oma war immer diejenige, die mir soviel Liebe gegeben hat, um alle meine Bedürfnisse zu decken. Seit meine Eltern entschieden haben, geschäftlich zu reisen, lebe ich sozusagen alleine. Ist auch gut so.

"Sharon? Hörst du mir noch zu?" Ich schrecke zusammen.
"Äh nein...tut mir leid. Ich war in Gedanken. Was hast du gerade gesagt?" Ich lächle ihn an, in der Hoffnung, dass er mir nicht böse ist. Doch sein Blick verrät mir, dass er sich über mich amüsiert.
"Ich habe gerade gesagt, dass ich glücklich bin! Und das alles verdanke ich dir. Trotz den Schwierigkeiten, die du mir zu verdanken hast, hoffe ich doch sehr, dass du das auch so siehst. Du bist so grosszügig und hast einen Fremden bei dir aufgenommen. Du hast mir mein Leben gerettet."
Ich schaue ihn für einen Moment einfach nur an. Ich muss schmunzeln. Er macht sich Sorgen, dass ich nicht gleich empfinde wie er, jedoch hat er mich zur glücklichsten Frau der Welt gemacht, indem er mich so genommen hat wie ich bin und mir ein Gefühl vermittelt, es wert zu sein. 'Nehmt euch ein Beispiel Mom & Dad', denke ich.

Apropos Dad, Harrys Vater hat mich letzte Nacht bis in meine Träume verfolgt. Mir geht ein Schauer über den Rücken. Automatisch schaue ich auf meinen Arm herunter. Harry folgt meinem Blick und verzieht das Gesicht.
"Nicht", sage ich. Ihn trifft keine Schuld. Schuldgefühle kann er jetzt echt keine gebrauchen.
Harry hebt seine Hand und streicht über den blauen Flecken, der meinen Arm ziehrt.
"Du bist so tapfer!"
"Wenn man sein ganzes Leben kämpfen musste, ist man irgendwann abgehärtet."  Harry senkt den Blick.
Ohne auch nur nachzudenken drücke ich mich an seine Brust. Er legt seine Arme um mich und seufzt.

"Mein Vater wollte mich vor einigen Tagen bei Mom abholen. Wir hatten abgemacht, dass ich ihm bei den Vorbereitungen für seine bevorstehende Hochzeit helfen würde. Wir verstanden uns eingermassen ok. Er hat mich abgeholt und wir sind losgefahren. Er wohnt 30min Autofahrt von hier entfernt. Als wir angekommen sind, fehlte jedoch jede Spur von Nicole, seiner Verlobten. Ich hab ihn nach ihr gefragt und er hat nach langem stochern zugegeben, dass er sie betrogen hätte und sie sich von ihm getrennt hat. Und dies schon seit drei Monaten. Ich bin natürlich ausgetickt, weil er Mom schon betrogen hatte und es nun wieder verbockt hat. Ich konnte aufeinmal Mom's Gesicht vor mir erkennen, als er mit seinem Koffer in der Hand unser Haus verlassen hat.
Nach einem heftigen Streit habe ich dann den Grund für die Einladung zu ihm erfahren:
Er wollte mich mitnehmen und nach Amerika auswandern, um dort ein neues Leben zu starten. Gemma wollte er Mom als "Trost" zurücklassen. Mich hingegen wollte er sozusagen entführen. Da er genau wusste wie ich reagieren würde, hat er mich im Haus eingesperrt. Ganze zwei Tage war ich da drinnen. Ich hab einen Teller mit Brot und eine Flasche Wasser bekommen, mehr nicht. Irgendwann sind bei mir alle Sicherungen durch. Ich habe das Fenster in meinem Zimmer eingeschlagen und bin losgerannt. Ich kenne mich hier nicht aus und deshalb bin ich in den Wald geflüchtet, weil man ja sagt, dass ein Wald zwei Orte miteinander verbindet. Trotzdem hab ich mich verlaufen. Ich stand kurz vor dem Erfrieren. Und da kamst du, meine Rettung, mein Engel."
Ich kann garnichts erwiedern, denn mir ist gerade klar geworden, dass er mir die ganze Geschichte erzählt hat.
Ich musste ihn nicht einmal darum bitten. Langsam ergibt alles mit seinem Dad einen Sinn. Dieses Arschloch.
Wie kann man nur seinen eigenen Sohn entführen. Der Mann ist krank im Kopf, genau das ist er.

Ich schaue zu Harry auf, der mich mit nachdenklichem Blick mustert. Ich nehme seine Hand.
"Ich danke dir, dass du es mir erzählt hast. Und es tut mir alles sooo leid", schluchze ich.
"Sssshhh, nicht weinen Kleines! Ich bin so dankbar, dass das alles passiert ist. Sonst hätte ich dich nie getroffen."
Er hat ja recht. Alles hat seinen Grund. Trotzdem ist das nicht gerade die perfekte Geschichte.

Ich wische meine Tränen weg, lehne mich nach vorne und küsse ihn. Etwas verwirrt erwiedert er meinen Kuss.
Auf meinen Lippen kann ich meine salzigen Tränen schmecken. Vermischt mit Harry-Geschmack.
Ich könnte ich noch hundert Jahre weiter küssen und mich in ihm verlieren.
Als wollte uns das Schicksal einen Streich spielen, schrecken wir zurück, denn durch das Haus ertönt der Ton der Haustürklingel.

Hey AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt