Vorbereitung

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Als mir Harry alles über seinen Tumor erzählt hatte, waren drei Stunden vergangen. Es war bereits Abend und wir lagen immernoch in meinem Bett. Seine ganze Geschichte beeindruckte mich von mal zu mal mehr. Er war so stark.
Er hat mir gesagt, dass ich die erste und einzige Aussenstehende bin, die davon erfahren hatte. Das war nun unser kleines Geheimnis.
Unsere gemeinsame Geschichte hatte erst begonnen. Ich werde nicht zulassen, dass er mir weggenommen wird. Ich brauche ihn und er mich.
Es war merkwürdig, denn mir war in den letzten Tagen nie aufgefallen, dass Harry Medikamente schluckt. Er hat es irgendwie geschafft, sich nichts anmerken zu lassen. Erst jetzt bemerkte ich, wie er welche nahm. Trotzdem sehe ich ihm nichts an. Ich weiss nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich krank wäre. Ich will es mir auch garnicht vorstellen.

"Wollen wir runter gehen? Meine Schwester wird sich auch denken, was wir hier oben treiben." Er zwinkert mir zu.
"Perversling!" Ich schlage ihm mit der Faust gegen seine Schulter. Er sieht mich an und beginnt zu lachen. "Ich hätte nichts dagegen." Ohne ein Wort zu sagen stehe ich auf und gehe aus dem Zimmer.
Unten angekommen, liegt Gemma auf der Couch. Sie ist eingeschlafen. Sofort bemerkt sie meine Präsenz, als ich an ihr vorbei in die Küche gehe. Sie reibt sich die Augen und sieht mich an. "Hat er dir alles erzählt?"
In ihren Augen kann ich Unsicherheit sehen. Hat sie etwas Ansgt, ich würde ihn verlassen?
"Ja hat er. Ich weiss jetzt alles und kann ihn auch verstehen. Wir sollten langsam unsere Koffer packen." Ich lächle sie an.
"Das heisst du kommst mit?", fragt sie überrascht. Ich fange an zu lachen. "Natürlich."
Gemma springt auf und kommt auf mich zu. Sie umarmt mich und drückt mich ganz fest an sich. "Danke", flüstert sie.
"Gemma, ich hätte sie danach gerne ganz zurück, falls das nicht zuviel verlangt ist", lacht eine Stimme hinter uns. Gemma löst sich von mir und nickt mir als Entschuldigung zu. Ich lächle sie an.
"Ich muss nur noch Oma anrufen, damit ich ihr Marshmallow Strawberry und Dounut vorbei bringen kann."
Die beiden lächeln mich an. Ich gehe zur Kommode und nehme des Telefon, tippe Oma's Nummer ein und warte.

"Hallo?", ertönt ihre Stimme am anderen Ende der Leitung.
"Hi Oma. Sharon hier. Wie gehts?"
"Sharon mein Schaz. Mir geht es sehr gut und dir? Ist Harry noch bei dir?" Ich muss schmunzeln.
"Ja Oma er ist noch hier. Ich werde jedoch morgen für ein paar Tage mit ihm nach Holmes Chapel gehen." Ich schiele zu Harry und kann sehen, wie er strahlt.
"Oh na sowas. Du verlässt das Haus, was für ein Wunder." Sie lacht.
"Ja Oma ich verlasse das Haus. Deshalb rufe ich dich an. Kann ich dir die drei Katzen vorbei bringen?"
"Natürlich. Wann kommt ihr?" Mir fällt ein, dass Oma noch nichts von Gemma weiss. Ich werde sie überraschen.
"Morgen so um 10.00 Uhr. Und bitte Oma, falls Mom oder Dad anrufen, sag ihnen nichts." Ich bin erwachsen und bin keinem der beiden Rechenschaft schuldig. Ich werde Mom eine SMS schreiben und sagen, ich wäre nur noch auf dem Handy erreichbar, da das Haustelefon kaputt sei.
"Na gut. Du weisst, ich lüge sie nicht gerne an, schon garnicht meine eigene Tochter. Aber ich verstehe dich."
"Danke Oma. Hab dich lieb. Wir sehen uns morgen. Bye."
"Bis morgen Liebes. Ich freue mich."

Ich lege das Telefon auf die Ladestation und gehe zu Harry und Gemma hin. Auch er hat gemerkt, dass Oma noch nichts von Gemma weiss. Und Gemma weiss nichts von Oma.
"Gemma, wir müssen mir dir reden", sagt Harry. Gemma sieht abwechslungsweise zwischen ihm und mir hin und her. Ihre Augen weiten sich. Langsam geht sie zur Couch hin und setzt sich hin. Harry nimmt meine Hand und zieht mich auf seinen Schoss.
Ruckartig will ich aufstehen. Ich bin viel zu schwer für ihn, doch Harry zieht mich sofort zurück auf seinen Schoss.
Er legt die Arme um mich und küsst meine Schulter.
"Ist es schlimm?", fragt Gemma. Harry und ich schmunzeln.
"Eher etwas Schönes", sage ich. Harry nickt.
"Gemma, du kannst dich doch daran erinnern wie Mom uns von ihrer Adoption erzählt hat und wie sehr es ihr leid tut, dass sie damals nicht mitgegangen ist?" Er sieht seine Schwester erwartungsvoll an. Gemma denkt nach und nickt anschliessend. "Ja daran erinnere ich mich noch. Wieso?"
Diesmal übernehme ich die Aufgabe, ihr zu antworten. "Meine Mom und eure Mom sind Schwestern - oder bessergesagt Adoptivschwestern. Und meine Oma, ihre Mutter."
Gemma erstarrt. "Du meine Güte! Dann bist du ja irgendwo meine Cousine. Ich freue mich so! Mom wird so glücklich sein. Endlich hat sie die Möglichkeit, ihre Fehler wieder gutzumachen. Uh ich freue mich ja so Oma kennenzulernen."
"Erstens, ist Sharon nicht mit uns verwandt", sagt Harry scharf. Zum Glück nicht, sonst würde das ganze zwischen uns nicht funktionieren. Ich drücke seine Hand.
"Er hats nicht so gemeint. Du weisst, dass es ziemlich merksam wäre, wenn Harry und ich verwandt wären.", sage ich zu Gemma
Jetzt realisiert sie es. "Ach natürlich! Tut mir leid." Sie lächelt. "Aber Sharon, du bist für mich trotzdem wie eine Cousine." Ich nicke ihr zu. Ich kuschle mich noch mehr an Harry. Währenddem er und Gemma sich über ihre Mom unterhalten, schweife ich mit meinen Gedanken ab. Meine Mom ist nicht so wie ihre. Meine Mom ist kalt, zeigt keine grossen Gefühle und stellt ihre Karriere an erster Stelle. Dad ist derjenige, der zuhause bleiben würde, hätten sie keine Firma. Von Mom kann ich das leider nicht behaupten. Sie würde sich sofort eine neue Stelle suchen. Ich bemerke, wie meine Augenlider langsam schwerer werden....

"Hey Kleines", weckt mich eine Stimme an meinem Ohr.
Ich blinzle und blicke in zwei grüne Augen. Ich murmle vor mich hin, nicht fähig, ein Wort rauszubekommen.
"Guten Morgen", sagt er. Morgen? Ich setze mich reflexartig auf und sehe mich um. Meine Wanduhr zeigt 9:00 Uhr.
"Wir haben schon morgen? Aber ich sass doch auf deinem Schoss und...". Erst jetzt fällt mir auf, dass ich in meinem Bett sitze.
"Du bist gestern abend auf meinem Schoss eingeschlafen. Ich habe dich dann ins Bett getragen. Du warst so müde, also hast du bis heute durchgeschlafen." Seine Mundwinkel zucken. Er muss an etwas gedacht haben.
"Was ist?", frage ich ihn. Er beginnt zu kichern. "Du hast im Schlaf meinen Namen gesagt und dich immer mehr an mich gekuschelt. Daran könnte ich mich gewöhnen." Ich spüre, wie meine Wangen eine rote Farbe annehmen.
"Oh nein!", ich springe aus meinem Bett und reisse die Türen meines Schrankes auf. Ich beginne, mir Kleider haruszunehmen und auf den Stuhl neben mir zu legen. Hinter mir kann ich Harry lachen hören.
"Sharon, nur keinen Stress."
"Doch, ich habe Stress. Um 10.00 Uhr müssen wir bei Oma sein!" Ich ziehe den Koffer hinter der Türe hervor.
"Okay Okay. Ich geh mal runter und sage Gemma Bescheid.", sagt er. Er steht auf, zieht sich seine Jogging Hose über die Boxershorts und geht aus meinem Zimmer.
Ich öffne die Fenster und beginne, das Zimmer zu durchlüften. Die Eiseskälte sticht mir entgegen. Ich sehe aus dem Fenster und blicke auf eine wunderschöne Schneelandschaft. Früher ging ich jeden Tag nach draussen, doch seit Harry da ist hatte ich noch nicht die Möglichkeit dazu. Er hat mich verändert, doch in einer guten Hinsicht.

Nachdem ich das ganze Haus abgecheckt hatte, meine drei Katzen in ihren Körbchen auf der Rückbank des Autos verfrachtet hatte und den Sicherheitscode für das Tor eingegeben habe, nehme ich meinen Hausschlüssel und trete hinaus.
Ich schliesse die Türe ab und steige zu Gemma und Harry ins Auto. Harry sitzt neben mir, während Gemma hinten bei den drei Katzen ist.
"Bereit?', frage ich, während ich den Motor anlasse.
"Bereit.", sagen Harry und Gemma gleichzeitig.

Hey AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt