Der grosse Tag

553 22 4
                                    

Ich liege bereits Stunden im Bett - wach.
Harry und ich haben eine lange Nacht hinter uns, wir haben kaum geschlafen und sind beide ziemlich müde.
Er hat mich einfach im Arm gehalten und an sich gedrückt, was mir Sicherheit gegeben hat.

Ich habe mir in den letzten Stunden so oft ausgemalt wie es sein wird, diesen Tag zu überstehen, doch ich denke, dass man dieses Gefühl in mir mit nichts auf der Welt vergleichen kann. Geschweige denn, wie er sich fühlen muss.
Nervosität, Angst, Unsicherheit und Hoffnung sind nur einige der Worte, die meinen Zustand beschreiben könnten. Am allergrössten jedoch ist die Angst. Angst, ihn zu verlieren. Angst, dass etwas Unerwartetes geschehen könnte. Angst, dass er aufwacht und sich an nichts erinnert, oder noch schlimmer- gar nicht aufwacht.

Nein Sharon, du darfst nicht so denken! Ich verbanne diese Gedanken aus meinem Kopf.
Ich blick neben mich und sehe Harry an. Er schläft noch und das ist auch gut so. Wenigstens kann er sich ausruhen.
Sein Atem geht regelmässig, während er vor sich hin döst. Ich könnte ihm noch stundenlang zusehen, doch der Gedanke an den heutigen Tag verschafft mir ein ungutes Gefühl.

Ich winde mich aus seinen Armen und klettere möglichst leise aus dem Bett heraus. Meine Jogginghose hebe ich vom Boden auf und ziehe sie mir an, Harry's Shirt lasse ich an. Einen letzten Blick auf ihn gewendet und ich verlasse das Zimmer.
Ich steige die Treppe runter in die Küche. Am Tisch sitzt Anne mit einer Tasse Kaffe in der Hand, ihren Blick hat sie in einer Zeitung vertieft.

"Guten Morgen", begrüsse ich sie. Sie schreckt zurück und lächelt mich an. "Guten Morgen Liebes. Schläft Harry noch?"
"Ja. Ich wollte ihn nicht aufwecken. Er hat heute einen grossen Tag vor sich", sage ich mit traurigem Blick.
Anne klopft auf den Stuhl neben sich und ich setze mich hin. Sie legt ihre Hand auf meinen Arm und sieht mich an.
"Sharon, du musst keine Angst haben. Harry ist tapfer und er wird das schaffen. Der liebe Gott da oben wird auf ihn aufpassen. Und noch dazu, hat er uns dich geschenkt - seinen persönlichen Schutzengel."
Mir kullert eine Träne über das Gesicht. Ich habe bis jetzt nicht so richtig realisiert, wie unsicher ich doch bin.
Anne legt ihren Arm um meine Schulter und drückt mich an sich. Ich atme tief ein und aus und sehe zu ihr hoch.
"Du hast recht, er ist ein Kämpfer." Ich lächle sie zum Dank an.
"Das ist er. Sharon, alles kommt so wie es kommen muss." Ich nicke. Man sollte sich den Kopf nicht zu sehr darüber zerbrechen. Analysieren bringt nichts, wir warten ab wie es kommt.
"Möchtest du ihn wecken gehen oder soll ich das machen? Wir sollten in 30min los."
Ich stehe auf, lächle sie an und sage: "Ich gehe schon."

Ich jogge die Treppe hinauf und öffne leise seine Tür. Er schläft immer noch friedlich, weshalb ich die Türe hinter mir schliesse. Ich schleiche zu seinem Bett und lege mich neben ihn. Mit meiner Hand streiche ich ihm seine Locken aus dem Gesicht und betrachte sein wunderschönes Gesicht.
Ich küsse ihn zärtlich auf die Schläfe. "Guten Morgen Schlafmütze", flüstere ich ihm ins Ohr.
Harry seufzt und deckt sich sein Gesicht mit der Decke zu. "Mmm", murmelt er.
"Nichts da, du musst aufstehen. In einer halben Stunde müssen wir los."
Jetzt zieht er sich ruckartig die Decke vom Gesicht und lächelt mich an. Er grinst und wirft seine Arme um mich, um mich näher an sich zu drücken.
Ich realisiere nun, dass es keine Rolle spielt, wo wir sind, solange wir zusammen sind. Harry ist mein Zuhause.
"Morgen Kleines", sagt er. "Wie lange bist du schon auf?"
"Stunden", lache ich. "Ich konnte nicht schlafen."
Er runzelt die Stirn und küsst mich auf die Stirn. "Du denkst zuviel nach, Sharon."
Ich könnte noch stundenlang hier mit ihm liegen, doch mir kommt der Gedanke wieder, dass wir bald los müssen.
"Steh auf und pack deine Sachen, wir müssen los."

--------------------------------------------------------------

Wir verlassen das Haus, nachdem Harry seine Tasche gepackt hat. Er wirkt deutlich nervöser als noch vor 30 Minuten.
Um ihn Sicherheit zu geben, nehme ich seine Hand und drücke sie sanft. Harry sieht zu mir herunter und lächelt mich an. "Alles wird gut", flüstert er. Ich weiss nur nicht, ob er dies zu mir oder eher zu sich selber sagt.

Im Krankenhaus angekommen steigen wir aus. Anne erledigt den Papierkram, während Harry und ich im Warteraum sitzen und warten. Obwohl der Raum grösstenteils leer ist, hat Harry darauf bestanden, dass ich mich auf seinen Schoss setze.
Wir sitzen einfach nur da und träumen vor uns hin. Wir müssen nicht darüber reden, die Anwesenheit des anderen ist uns schon genug.

"Wenn du aufwachst, werde ich hier sein", sage ich leise an seine Brust. Harry legt seinen Arm um mich und küsst mich aufs Haar.
"Meine OP wird mindestens 6 Stunden dauern, du darfst gerne nach Hause gehen."
"Ich werde da sein", sage ich in einem bestimmten Ton. Harry lächelt und nickt.

"Mr. Styles?", reisst uns eine Stimme aus unseren Gedanken. Harry und ich sehen beide auf. Vor uns steht ein grosser, dunkelhaariger Mann mitte vierzig, der eine Brille und ein Arztkittel trägt. Ich stehe von Harry's Schoss auf und sehe den Mann nur an. Harry erhebt sich ebenfalls und nickt dem Arzt zu.
"Mein Name ist Dr. Maison. Ich bin Ihr Arzt und werde Sie heute operieren." Er kommt auf uns zu und reicht ihm die Hand.
"Freut mich", erwiedert Harry seine Geste. Der Arzt lächelt ihn freundlich an und wendet sich dann an mich. "Und Sie sind?"
"Sharon", antworte ich knapp. "Meine Freundin", fügt Harry stolz hinzu.
Dr. Maison ist mir auf der Stelle sympathisch. Er macht einen erfahrenen und ruhigen Eindruck, was mich ersichtlich beruhigt.

"Wir wären dann so weit", sagt der Arzt zu uns, als Harry bereits auf dem Bett liegt. Er trägt ein Krankenhaushemd, das hinten offen ist. Ich musste schmunzeln, als er sich angezogen hat. Das war ihm wohl am Peinlichsten.
"Ist gut. Kann ich noch kurz mit ihr alleine sein?", fragt Harry mit einem Blick auf mich gewendet.
Dr. Maison nickt und verlässt mit seinen zwei Assistenten den Raum.
Anne verabschiedet sich noch kurz von Harry und küsst ihn auf die Stirn. In ihren Augen kann ich Tränen erkennen, doch ich muss mich zusammen reissen, nicht selbst in Tränen auszubrechen.

"Komm her", sagt Harry, als er meine Angst bemerkt. Ich setze mich auf den Rand von seinem Bett und nehme seine Hand. Er trägt ein Armband mit seiner Nummer darauf, dass ihn die Ärzte nicht verwechseln.
Ich sehe ihn an und versuche, mir sein Gesicht einzuprägen, da ich es für die nächsten sechs Stunden nicht zu Gesicht bekommen werde.
"Ich liebe dich", presse ich zwischen meinen zitternden Lippen hervor.
Harry lächelt und drückt meine Hand. Ich lehne mich vor und küsse ihn. Ich liebe ihn so sehr. Gott beschütze ihn.
"Ich liebe dich", antowortet er ruhig. Er betrachtet mein Tattoo und küsst es zärtlich. "Wir sehen uns in 6 Stunden."
"Verlass mich nicht", schluchze ich. "Ich kann nicht ohne dich leben."
"Kleines", beruhigt er mich. "Ich habe einen wundervollen Grund, wiederzukommen." Er zieht mich an seine Brust und küsst mich aufs Haar.

Die Ärzte betreten das Zimmer und stellen sich ans Bett. "Tut mir leid, aber wir müssen jetzt loslegen", sagt Dr. Maison zu uns. Ich nicke und löse mich von Harry, lasse seine Hand jedoch noch nicht los.
Die Ärzte beginnen, sein Bett aus dem Zimmer in Richtung Aufzug zu schieben.Ich laufe schnell neben ihnen her und versuche, Harry's Hand nicht loszulassen. Ich will ihn nicht gehen lassen, ich kann nicht.
Das 'Ping' des Aufzugs verkündet uns, dass es Zeit wird.
"Ich werde gut auf ihn aufpassen", sagt Dr. Maison zu mir. Ich nicke und lasse Harry's Hand los.

"Bis in 6 Stunden", sage ich.
"Bis in 6 Stunden", versichert Harry mir.
Die Türen des Aufzugs schliessen sich und sein Gesicht verschwindet dahinter.

Hey AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt