Kapitel 6

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„Hey Emy", sagte Dan aufgeregt und kam eilig angelaufen, als ich das Café betrat. Doch anstatt eine Umarmung, wie ich gedacht hatte, bekam ich eine weinrote Schürze in die Hand gedrückt. „Ich bin auch froh, dich zu sehen", sagte ich ironisch, da ich meine Arme bereits zur Umarmung angehoben hatte. Als wenn man ein high-Five nicht erwidert bekommt. „Tut mir leid, aber ich bin so aufgeregt", sagte er und nahm mich nun doch in den Arm. Da war das high-Five.

„Wieso?", fragte ich und zog mir den Mantel aus. „Lena kommt gleich und stellt mich dann ihren Eltern vor", sagte er hastig und ging hinter die Theke. „Das hast du noch nicht?", fragte ich verblüfft und erhielt ein Kopfschütteln. „Ihr seit jetzt ein halbes Jahr zusammen und du hast noch nicht einmal ihre Eltern gesehen?" Dan schüttelte den Kopf. Sind seine Eltern nicht DNS ausgewandert? Wohin war es noch gleich?
„Ich hatte mich die letzen Male immer davor gedrückt. Deswegen wollte ich fragen, ob du für ein paar Stunden alleine hierbleiben kannst und danach den Laden abschließt?", fragte er und wischte erneut über die bereits saubere Stelle. War es Spanien gewesen, oder Italien? „Dan beruhig dich mal ein wenig. Wenn du so weiter wischt, ist da gleich ein Loch in der Diele", lachte ich auf und Dan hielt in seiner Bewegung inne. „Was soll ich nur machen Emy?", fragte er und warf den Lappen nun in die Spüle. Es war Italien, da war ich mir sicher, wegen der Pasta. Dan erzählte von einem Urlaub dort, wonach seine Eltern sich in den Kopf gesetzt hatten, dort einmal zu leben, weil sie die Pasta dort so liebten.

„Einfach du selbst sein. Lena mag dich, dann werden dich auch bestimmt ihre Eltern mögen", mutmaßte ich und wusste, dass Dan sich damit nicht zufrieden gab und ich hatte recht.
„Und was wenn nicht?", stellte er die Gegenfrage und kaute auf seiner Unterlippe. „Und was wenn morgen die Welt unter geht? Du wirst es erst wissen, wenn du es versucht hast. Du machst dir immer viel zu viele Sorgen. Und wegen dem Laden, ich mach das schon."
„Sicher? Das ist dein erster Arbeitstag."
„Ganz sicher", sagte ich und drückte ihm seine Jacke in die Hand. „Ruh dich nochmal für eine Stunde aus, entspann dich, geh duschen, mach dich in Ruhe fertig und dann klappt das schon." Ich war durchaus in der Lage, die Kaffeemaschine zu bedienen und Kuchen hin und her zu tragen.
„Okay, den Schlüssel kannst du, nachdem du abgeschlossen hast, in den Blumentopf hinter der Blume, die vor der Tür steht, reinstecken", sagte er und gab mir ein Kuss auf die Stirn. „Ich wünsche dir viel Glück Dan."
„Viel Glück", sagte auch er, mit einem zaghaften Lächeln, gemischt mit Aufregung und Angst. Lena musste sich noch nicht der Herausforderung stellen, dachte ich mir, als Dan verschwand und ich an seine Eltern dachte.

Mein Blick wanderte von der Tür zum Geschäftsmann, der gerade reingekommen war, als Dan rausging. Er trug einen schicken grauen Anzug mit einem hellblauem Hemd, während seine Krawatte gelockert um seinem Nacken hing. Sein Laptop schlug er auf, bevor er überhaupt saß und begann direkt darauf herumzutippen. In den Gläsern seiner Brille, spiegelten sich Tabellen mit unzählig vielen Zahlen, während seine beinahe schon grauen Augen immer wieder über den Bildschirm hin und her huschten. Während er so da saß, konzentriert auf seiner Arbeit, hatte sich eine Denkfalte zwischen seinen Brauen gebildet.

„Darf ich ihnen etwas zu Essen oder zu Trinken bringen?", fragte ich und sah nun direkt in das müde grau seiner Augen. Erst jetzt bemerkte ich die Schatten unter ihnen, die leicht bläulich schimmerten. „Einen doppelten Espresso bitte", sagte er höflich und lächelte leicht zurück. Ich nickte und ging meinen Gang zurück. Ich musste zugeben, ich war überrascht, als seine Antwort ziemlich freundlich klang. Meistens klangen sie patzig, oder genervt. Dennoch konnte man es Ihnen nicht verübeln, wenn sie schon seit morgens am Laptop saßen und nur ihren Blick abwenden, wenn sie im Meeting sind, oder mal etwas aßen. Der Schlaf fiel ebenfalls gering aus.

Ich betätigte die Kaffeemaschine und stellte daneben noch ein kleinen Schokomuffin. Jeder mochte doch Schokolade.
Die Ladentür klingelte und ein Junge mit braunen Locken ging gezielt auf den linken Tisch zweiter Reihe zu, obwohl noch zahlreiche andere Tische leer standen. Er hätte sich auch an Tisch eins direkt an der Tür hinsetzen können, oder an Tisch sechs, der auch immer sehr beliebt war. Doch er hatte sich auffällig gezielt an Tisch Nummer vier gesetzt. Ich konnte kaum meinen Blick abwenden, als er sich die Jacke und sein Schal aus dem Gesicht zog.

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