Kapitel 23

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Ich spürte warmen beruhigenden Atem an meinem Nacken und konnte mir auch schon denken wer es war. Seine braunen Locken kitzelten mich leicht an meiner Halsbeuge und am liebsten wäre ich hier für immer so geblieben. Doch da ich nun einmal ich war und Harry mich lästig findet, versuche ich trotz der Schwäche in mir aufzustehen.

Doch anders als erwartet lässt er mich nicht los, sodass ich wieder zurück plumpse.
,Bitte Harry lass mich gehen', sage ich und es hört sich viel zu schwach an. Er sagt nichts, lockert seinen Griff, lässt mich aber dennoch nicht los.
Was hat er denn nun? Er sagte mir ich wäre zu aufdringlich und lässt mich dann nicht mal gehen?

Ich habe nicht die nötige Kraft um mit ihm zu diskutieren und ihn zu fragen was das soll. Ich würde sowieso keine richtige Antwort bekommen. Ich lasse meinen Kopf zurück auf seine Brust fallen und schließe meine Augen.

,Was hast du geträumt?', fragt er und dreht mich so, das er mir in die Augen schauen kann.
,Ich möchte es nicht erzählen', sagte ich die Wahrheit und versuchte ihn nicht an zuschauen. Auch wenn ich nirgendwo lieber wäre, möchte ich nicht so nah an ihm sitzen. Jetzt ist es für uns beide okay, doch morgen wird Harry es wieder bereuen mir auch nur Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.

Er nimmt mit seinen dünnen, warmen Fingern mein Kinn und dreht es zu sich, damit ich ihm in die Augen schaue. ,Was hast du geträumt', wiederholt er seine Frage und scheint es wirklich wissen zu wollen.

,Wieso machst du dir überhaupt sorgen. Ich dachte du kannst mich nicht leiden', fragte ich und blickte ihn neugierig an. Ich konnte einfach nicht aus ihm schlau werden.

,Wie könnte ich es nicht?', fragt er die Gegenfrage und überrascht mich. Ich hatte mit einer Beleidigung gerechnet, oder dass er wieder so grob sein wird, doch nichts von beiden geschieht. Er sitzt nach wie vor ruhig neben mir und schaut zum Feuer, welches den Raum mit Wärme erfüllt.

,Es war dunkel und eiskalt und du lagst da einfach. Du hast geschrien und um dich geschlagen und du wolltest nicht mehr aufwachen', erzählt er und das erste mal habe ich nicht das Gefühl ich würde ihn nerven. Aber Gefühle können auch täuschen.

,Harry?'
,Mhh?'
,Es war nie meine Absicht gewesen dich zu nerven, oder dich zu verletzten, oder was auch immer zwischen uns steht', sage ich, wobei meine Stimme am Ende abbricht.

,Ich weiß', ist das einzige was er erwidert.
,Was mache ich dann falsch?'
,Du musst dich von mir fern halten.'
,Ich möchte es aber nicht', sage ich und sehe in seine wunderschönen Grünen Augen. Kurz denke ich, dass Schmerz in ihnen zu erkennen ist, doch ich irre mich.

,Ich aber', sagt er und steht auf. Er ist vielleicht die einzige Person, die mich nur mit zwei Wörtern verletzten kann.
Er zieht sich bereits eine Jacke über und schnappt sich seinen Autoschlüssel.
Auch ich stehe, so gut es geht, auf und laufe ihm nach.

,Und wieso?', frage ich und sehe auf seinen Rücken. Er dreht sich zwar nicht zu mir um, doch er hält in seiner Position inne.
,Weil ich dich nicht in meinem Leben haben möchte.'

Nein, das stimmt nicht.
Ich glaube ihm nicht. Wenn es so wäre, warum hat er mich dann mitgenommen? Sich die Mühe gemacht mich diesen Berg runter zu tragen? Mich in den Arm genommen damit mein Alptraum aufhört?
Ich hätte ihn jetzt gehen lassen können, doch das hätte ich mir vielleicht nicht verziehen.

,Du lügst', sage ich und warte auf seine Reaktion. Ich bin müde und erschöpft, aber er sieht nicht gerade besser aus als ich. Auch er hat Augenringe und wirkt mindestens genauso erschöpft.

Er ballt seine Hände zu Fäuste, aber dreht sich nicht um. ,Tut mir leid, aber ich Lüge nicht', sagt er zwischen gepressten Zähnen und geht zum Auto. Ich gehe ebenfalls dort hin und schaue zu ihm hoch.

,Wenn es so ist...', sage ich und schließe die Autotür, die er schon geöffnet hat.
,Dann möchte ich dich nicht mehr nerven', beende ich meinen Satz und quäle mich noch zum Abschied ein Lächeln ab.

Er sagt nichts, bewegt sich nicht und ich ging.
Diesmal schaute ich nicht einmal mehr zurück, denn ich wusste, ich könnte mein Lächeln nicht aufrecht halten.

Ich fing an zu rennen, doch irgendwie verließ ich den Wald nicht.
Ich konnte nicht und ich wollte nicht. Ich war so aufgebracht und ich hatte das Gefühle, ich würde zusammenbrechen. Vielleicht tat ich es auch.

Doch ich wollte stark bleiben. Für die, die da waren und für ihn, den ich irgendwann finden werde. Vielleicht traf es mich nur so sehr, weil ich dachte er, der Junge aus meinen Erinnerungen, wäre Harry. Doch das ist er nicht und daraus zog ich meine Kraft.

Wieder sagte ich zu mir, es sei okay und vielleicht war es das auch. Vielleicht soll es so sein.

Ich lief nach Hause und sah meine Eltern, wie sie zusammen am Esstisch saßen und sogar redeten. Ich sagte Hilde Bescheid, dass ich wieder da war und ging rauf in mein Zimmer. An schlafen war gar nicht zu denken, denn dieser Alptraum war einfach nur fürchterlich und ich hatte Angst einzuschlafen und ihn wieder zu erleben.

Ich ging duschen und entspannte mich ein wenig. Zu viele Gedanken kreisten in meinem Kopf, doch ich wollte ihnen nicht nachgehen. Ich dachte an die banalsten Sachen, nur um die anderen Gedanken zu verdrängen. Zum Beispiel dachte ich daran, wie entspannend und warm das Wasser war. Wie gut das Shampoo roch und wie wohl ein Tattoo an mir aussah. Doch blöder weise, dachte ich jedesmal an Harry.

Wie warm seine Hände waren, wie gut er roch und welche Tatoos er wohl alle hatte. Ich musste über mich selber lachen. Ich war einfach nur seltsam. Vielleicht lachte ich auch einfach nur, weil ich nicht glauben konnte, wie dumm ich sein kann und ihn, obwohl er mich vielleicht sogar mit Absicht verletzt, immer noch mag.

Ich steige aus der Dusche und ziehe mir warme Klamotten an. Ich wusste nicht was ich machen sollte. Ich war wie immer eigentlich müde, doch ich wollte nicht schlafen.

Ich schnappte mir einfach eine dicke Decke und ging aufs Dach. Ich hatte das Gefühl ich wäre nicht alleine. Ich hatte das Gefühl, er wäre bei mir.

Ich verschränke meine Arme hinter meinem Kopf und schaue rauf in den Sternenhimmel.

Wie schön dieses Bild über mir war. Kleine Punkte die Leuchte und die so weit scheinen.
~,wenn du nicht schlafen kannst, dann erinnere dich einfach daran, dass wir unter den gleichen Sternen liegen.'~

Er hat recht, das tun wir und diese Erkenntnis bringt mich zum Lächeln. Er ist mir vielleicht näher als ich ahne. Vielleicht mag er weit entfernt sein, aber er ist niemals weg.

Remember meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt