Kapitel 28

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Er streckte eine Hand aus und fuhr ihr mit dem Daumen über die Lippe. Es war ein seltsam prickelndes Gefühl, das durch ihren ganzen Körper rieselte. Sie atmete scharf ein. Das Herz pochte ihr auf einmal bis zum Hals. Was war bloß mit ihr los? Wieso reagierte sie so sehr auf diese eine flüchtige Berührung? Hastig wandte sie das Gesicht ab und schaute zu Boden. ,,Bitte lassen Sie das...''

Er legte ihr einen Finger unters Kinn und hob ihren Kopf an. ,,Sie hatten nur etwas Sahne auf der Lippe'', sagte er mit einem leisen Lächeln. ,Ich konnte Sie doch schlecht so in der Gegend herumlaufen lassen, oder?'' Sie blinzelte und brauchte noch einen Moment, um sich zu fangen. Schon spürte sie wieder, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie konnte nur hoffen, dass man es ihr nicht allzu deutlich ansah. ,,Mit wem treffen wir uns eigentlich gleich?'' fragte sie, um das Thema zu wechseln. ,,Es ist besser, wenn ich mich ein bisschen vorbereiten kann.''

Er leckte an seinem Eis, und schon wurde Adrienne heiß und kalt zugleich. Sie atmete tief durch und zwang sich, sich darauf zu konzentrieren, was er sagte. ,,Mit dem Besitzer einer großen Hotelkette. Er besitzt Häuser hier in Monaco und entlang der französischen Cote d'Azur.'' Er zuckte mit den Schultern. ,,Jedenfalls verfügte er auch über eine ganze Reihe sehr alter, nicht mehr renovierter Hotels, für die er, wie ich weiß, eine Käufer sucht.''

,,Und dieser Käufer sollen Sie sein?''

Er nickte. ,,Ich suche in der Tat derartige Objekte, die ich aufkaufen, renovieren und zu Luxushotels machen kann.'' ,,Sie wollen also in die Hotelbranche einsteigen.'' Sie runzelte die Stirn. ,,Darf ich fragen, wieso? Ich meine, Ihre Reederei läuft doch hervorragend, wenn ich richtig informiert bin. Wieso sollte jemand wie Sie, der alles hat, auf zwei Hochzeiten tanzen wollen?'' Seine Miene verdüsterte sich. ,,Ich habe meine Gründe'', sagte er knapp.

Adrienne spürte, dass er nicht weiter darüber sprechen wollte. Zwar interessierte die Gründe für sein Vorhaben brennden, aber es wäre nicht richtig, ihn noch weiter zu bedrängen. Daher sagte sie: ,,Außerdem verstehe ich nicht, warum der Mann, mit dem wir uns gleich treffen, Ihnen seine Objekte überlassen sollte. Ich meine, wer züchtet sich schon gern selbst die Konkurrenz heran?'' ,,Nun, dazu müssen Sie wissen, dass Boisson alle seien Hotels verkaufen will. Sie werfen mittlerweile einfach nicht mehr genug ab. Um Häuser, die noch in Betrieb stehen, möglichst gewinnbringen loszuwerden, muss er sich zunächst einmal derer entleidigen, die eigentlich nur noch abgerissen werden können. Er plant wohl, in naher Zukunft eine Art Hoteldorf zu errichten, das Wohn- und Einkaufsmöglichkeiten sowie Sport- und Freizeitaktivitäten in einem Bereich ermöglicht, der nur den zahlenden Gästen verbehalten ist. Alles gut betuchte Leute, versteht sich, und...''

,,Moment mal'', unterbrach Adrienne ihn. Ihre Gedanken kreisten immer noch um den Namen, den er gerade genannt hatte. ,,Sagten Sie Boisson? Didier Boisson?''

,,Genau.Und?''

Sie räusperte sich. ,,Und mit ihm wollen Sie sich gleich treffen?''

,,Richtig. In seinem Club am Yachthafen.''

,,Können Sie ihn jetzt auch noch erreichen?''

,,Ich weiß nicht....'' Er zuckte mit den Achseln. ,,Seine Sekretärin sicherlich, ja.''

,,Geben Sie mir die Nummer!''

,,Ich soll - was?'' Er kniff die Augen zusammen, und sein Gesichtsausdruck wechselte von Irritation zu Verärgerung. ,,Was haben Sie vor?''

Adrienne seufzte. Sie wusste sie sollte es nicht tun, aber das war wieder einer der Momente, in denen sie nicht anders konnte. ,,Bitte geben Sie mir die Nummer, Lucien. Sie haben mich angestellt. Sie wollten mich als Ihr persönlichen Rechtsbeistand. Nur mich. Und jetzt bitte ich Sie - vertrauen Sie mir. Lassen Sie mich mit seiner Sekretärin telefonieren. Es ist wichtig. Und nur zu Ihrem Besten!''

Einen Augenblick sah er sie schweigend an. Wieder änderte sich sein Gesichtsausdruck. Nun war eindeutig Neugier darin zu erkenne. Er zuckte sein Handy, rief eine Nummer aus dem Speicher auf und reichte ihr den Apparat. ,,Was haben Sie vor?'', wiederholte er seine Frage. Doch sie dachte gar nicht daran, zu antworten. Stattdessen drückte sie die Rufaufbautaste und hielt sich das Telefon ans Ohr.

,,Büro von Didier Boisson, mein Name ist Sadrine Jeunet - was kann ich für Sie tun?''

Adrinne räusperte sich. ,,Bonjour. Ich rufe im Auftrag von Lucien Dupont an. Soweit ich informiert bin, hat er heute einen Termin mit Monsieur Boisson.''

,,Ja'', entgegnete die Sekretärin dienstbeflissen. ,,Das ist korrekt.''

,,Nun, bitte richten Sie Moniseur Boisson aus, dass der Termin auf unbestimmte Zeit verschoben werden muss. Mein Boss ist heute leider verhindert. Merci beaucoup.''

Damit beedete sie das Gespräch und reichte Lucien das Handy zurück. Der starrte sie an, als würde er sie gerade zum ersten Mal sehen. ,, Haben Sie vollkommen den Verstand verloren?'', herrschte er sie an, als er seine Sprache wiedergefunden hatte. ,,Sie sollten besser eine verflixt gute Erklärung für das haben, was Sie gerade getan haben!''

Adrienne schluckte hart. Sie hatte gute Gründe gehabt, so zu handeln, wie sie es getan hatte. Die Frage war nur, ob Lucien sie verstehen würde. Unwillkürlich musste sie an ihre Eltern denken, deren Schicksal ebenso eng mit dem Fortbestand von CCD verknüpft war wie das unzähliger Familien.

Würden sie jetzt alle unter ihrem kurz entschlossenen Handeln zu leiden haben?

Schicksalstage in Monaco *Abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt