Kapitel 29

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Lucien wusste nicht, wie ihm geschah. Einen Augenblick lang glaubte er, geträumt zu haben. Das eben konnte doch unmöglich passiert sein! Diese Frau, die ständig schüchtern den Kopf senkte und gestern Abend lieber eine Champagnerflasche angestarrt hatte, als ihm in die Augen zu schauen, sollte einfach ohne Absprache seinen Termin verlegt haben? Noch dazu in seiner Gegenwart? Wie unverschämt konnte eine Angestellte sein?

,,Es ist wirklich nicht zu fassen'', stieß er fassungslos hervor, und selbst in seinen eigenen Ohren klang seine Stimme ungewöhnlich unsicher. Aber er war froh, überhaupt ein paar Worte herauszubekommen, nachdem Adrienne ihm mit ihrem Verhalten zunächst völlig die Sprache verschlagen hatte. ,,Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da gerade getan haben?''

,,Natürlich''. Sie sah ihn mit festem Blick an, direkt in die Augen. Etwas, das er gar nicht von ihr kannte. ,,Ich habe Sie vor einer großen Dummheit bewahrt.'' ,,Ach, und was bitte wäre das für eine Dummheit gewesen?'' ,, Die Dummheit mit einem Mann wie Didier Boisson zusammenzuarbeiten. Das hätte Ihnen nicht gutgetan. Weder Ihnen noch Ihrem Unternehmen. Und da ich den Termin erst einmal verschoben habe, verfügen Sie nun über genügend Zeit, Ihr Vorhaben noch einmal zu überdenken und diesem Mann komplett abzusagen.'' ,,Ich will Boisson nicht absagen. Ich brauche ihn. Ich brauche seine verflixten Hotels!'' ,,Wofür? Um Ihren Ruf zu ruinieren?'' Sie schüttelte den Kopf. ,,Hören Sie, es mag sein, dass Sie mir nicht zutrauen, das einschätzen zu können. Aber was soll ich sagen? Ich kann es nun mal. Ich habe erst kürzlich in London dafür gesorgt, dass einer der größten Drogeriemärkte Englands komplett auf die Produkte eines Kosmetikherstellers verzichtet, weil dieser immer noch stark auf Tierversuche setzt. Und wissen Sie, wie mir das gelungen ist? Indem ich den Verantwortlichen klargemacht habe, wie schlecht es sich auf das Image eines Unternehmens auswirken kann, wenn man mir derartigen Geschäftspartnern zusammenarbeitet.''

,,Didier Boisson vertreibt aber keine Kosmetikprodukte und hat auch nichts mit Tierversuchen zu tun. Er besitzt Hotels!''

,,Und gehören zu den skrupellosesten Geschäftsmännern in ganz Europa!'' Adrienne atmete tief durch. ,,Ich weiß, ich war lange fort. Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Boisson schon damals, als ich noch hier lebte, gefürchtet war. Er hat seine Hotelkomplexe ohen Rücksicht auf Menschen und Umwelt hochgezogen und betrieben, um an die Grundstücke zu gelangen. Finden Sie das etwa in Ordnung? Und glauben Sie, es würde Ihren Ruf zugutekommen, wenn Sie mit einem solchen Menschen kooperieren?''

Er wusste nicht, woran es lag, aber je länger sie sprach, desto mehr verflüchtigte sich seine anfängliche Wut und machte stattdessen einem anderen Gefühl Platz, das er zunächst nicht genauer beschreiben konnte. Dann musste er sich jedoch eingestehen, dass es Respekt war. Respekt und Anerkennung der Frau gegenüber die soeben eigenmächtig einen wichtigen Termin verschoben hatte. War er noch ganz bei Trost? Er schaute ihr tief in die Augen und erwartet, dass sie seinem Blick nicht standhalten konnte und den Kopf wegdrehte oder zu Boden sah. Als das nicht geschah, fragte er sich zum ersten Mal, ob er diese Frau, die ihm jedes Mal aufs Neue Rätsel aufgab, jemals würde durchschauen oder zumindest richtig einschätzen können.

Schicksalstage in Monaco *Abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt