Tag 50

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Es ist fast schon dunkel, als wir in Point Hope landen.

Der kleine Flughafen besteht aus zwei Gebäuden und einer Landebahn und Bill landet sicher und ruhig sein kleines Flugzeug, eine Cessna. Er hat noch ein weiteres, ein Frachtflugzeug, hat er mir erzählt, die Cessna nutzt er zur Personenbeförderung. Ich bin todmüde, Ray und Bill haben mir eine ziemliche Reisedauer zugemutet, in ihrem Bestreben, meine Reiseroute so wenig nachvollziehbar wie möglich zu gestalten.

Sie hatten wie die Kinder Spaß an diesem kleinen Manöver und mir war es nur Recht, sollte Christian herausfinden, wo ich hingeflogen bin, würde es mich sehr wundern. Bill hat einen Geschäftsfreund mit einem Privatjet gebeten, mich mitzunehmen. Am Flughafen in Seattle haben sich unsere Wege getrennt und ich war die ganze Zeit super nervös, allein in Seattle zu sein, hat mir nicht gut getan. Mein Gepäck hat aus zwei Koffern bestanden und einem Umschlag, den mir Ray zugesteckt hat. Er enthält fünftausend Dollar und ist von ihm und Grace.

Ich wollte ihn nicht annehmen, aber dann hätte mich Ray nicht gehen lassen. Also habe ich meinen Vater nur lange in den Arm genommen und er hat mich gebeten, oft anzurufen und ihn zu besuchen, sobald es möglich wäre. Uns war klar, dass es ein Abschied für längere Zeit ist. Bill hat mir gesagt, dass ich in Anchorage mit ihm zusammen alles einkaufen kann, was ich brauche und so ich habe nur wenige Dinge eingepackt. Mein Macbook, ein paar Bücher, ein paar Kleidungsstücke und zuletzt, fast gegen meinen eigenen Willen, mein Hochzeitsfoto und einige Erinnerungen an Christian. Obwohl ich mir eingeredet habe, es für mein Baby mitzunehmen, weiß ich es doch im Grunde meines Herzens besser.

Von Seattle aus ging es relativ bequem mit dem Privatflieger nach Minneapolis. Dort wurde ich von einem weiteren Freund von Bill, einem Piloten einer Frachtmaschine, nach Edmonton in Kanada mitgenommen. Auch hier tauche ich auf keiner offiziellen Passagierliste auf. Bill kennt durch seinen Job viele Piloten und in Edmonton wurde ich – nach einer Nacht Aufenthalt in einem kleinen Motel – von einem weiteren Piloten eines Transportflugzeuges, bis nach Anchorage mitgenommen. Dort hat Bill grinsend auf mich gewartet und nur lapidar gemeint, wenn das jemand nachverfolgen könnte, hätte er es verdient, mich zu finden.

Wir haben an dem Tag in Anchorage alles eingekauft, was ich Bills Meinung nach benötige. Dicke Kleidung, Jacken, Stiefel, ich habe zu allem genickt und vertraue ihm, da er ja weiß, was mich erwartet. Von Anchorage sind wir dann heute, mit all meinem Gepäck, das jetzt auf zwei Koffer und vier Kartons angewachsen ist, nach Point Hope aufgebrochen. Ich bin einmal nach Kanada ein- und ausgereist, ohne jemals irgendjemand einen Pass zeigen zu müssen und fühle mich sicher.

Nach der Landung helfe ich Bill, seine und meine Habseligkeiten – auch er hat noch einiges besorgt – in den am Rollfeld stehenden alten Pickup zu laden, der ihm gehört. Es ist schnell dunkel und die Fahrt verläuft schweigend. Unwillkürlich frage ich mich, was ich hier eigentlich tue. Ich bin alleine in einer eiskalten, unwirtlichen Umgebung und habe keine Ahnung, was mich erwartet. Auf einmal bekomme ich Angst vor der eigenen Courage.

„Heute Nacht kannst du bei mir im Haus schlafen, im Gästezimmer. Morgen früh, wenn es hell wird, gehen wir uns dein Haus ansehen."

Ich nicke nur, Bill erwartet keine langen Gespräche, er ist in vielen Dingen Ray sehr ähnlich.

Als wir auf einen kleinen Weg abbiegen, alles hier ist voller Schnee und Eis, sehe ich vier einfache, von außen recht karge Häuser, und einige kleinere Nebengebäude.

„Keine Angst, innen ist es gemütlich. Hier gibt es nicht viel, was außerhalb überlebt. Die Häuser sind gut isoliert, aber nicht so hübsch, wie du es vielleicht gewohnt bist."

Bill hat wohl meinen Blick gesehen und grinst mich an, während er vor dem größten der vier Gebäuden hält.
Als ich aussteige und mich umsehe, wird mir bewusst, wie anders hier alles ist. Kalt, eisig und karg. So sieht es auch in mir aus, aber ist das wirklich die richtige Umgebung für ein Baby? Was habe ich mir nur gedacht?

50 Shades of RegretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt