Tag 119

2.2K 67 20
                                    

Ich liege im Wohnzimmer auf der Couch in Bills Haus und sehe mir den Tannenbaum an. Es ist Heilig Abend und ich freue mich auf das Fest. Yukka, Adam und Natasha sind schon da und werkeln mit Bill in der Küche herum. Phil ist auch eingeladen und wir freuen uns alle auf einen gemeinsamen Abend.

Gestern haben Phil und Bill den Tannenbaum aufgestellt und alle im Ort machen sich über mich lustig. Die meisten haben künstliche Bäume, aber ich habe darauf bestanden, einen echten einfliegen zu lassen. Bill ist diesem Wunsch nachgekommen und ich strahle die Tanne an. Ein wenig grün in dieser Eiswüste tut mir gut.

Seit ich aus dem Krankenhaus wieder raus bin, hatte ich keine Wehen mehr, aber ich darf auch fast nichts mehr tun. Alle passen auf mich auf und wenn ich nur niese, springen in meiner Umgebung alle alarmiert auf und werden panisch. Der ganze Ort freut sich auf das Baby, aber momentan sieht laut Phil alles gut aus und ich hatte keine weiteren Komplikationen. Eigentlich sollte ich vier Wochen mindestens im Bett bleiben, aber nach einer Woche habe ich gemeutert und zum Schluss meinen Willen bekommen. Solange ich ausreichend liege, darf ich wenigstens am normalen Leben teilnehmen, auch wenn ich keinen Schritt mehr ohne Begleitung tun kann und ständig irgendwo platziert werde, wo man ein Auge auf mich hat. Früher wäre mir das unangenehm gewesen, hier fühlt es sich gar nicht so schlecht an.

Nach dem Essen werden wir alle ins Gemeindezentrum fahren, wo ein Zusammensein geplant ist und alles ebenfalls weihnachtlich geschmückt wurde. Helfen konnte ich nicht, ich wurde gestern bei den Vorbereitungen in eine Ecke gesetzt und durfte Anweisungen geben, während jede meiner Bewegungen mit Argusaugen beobachtet wurde.

Nicht mal auf die Post darf ich allein, Monty bringt mir alles, was ich brauche, oder gibt es Yukka mit, wenn Bill unterwegs ist.

Phil wurde hier herzlich aufgenommen, und behauptet steif und fest, nur mein Baby wäre schuld, dass alle ihn leiden könnten. Wir haben uns angefreundet und mittlerweile sehen wir uns fast täglich, was Yukka natürlich mit neugierigen Fragen kommentiert.

Wir sind nur Freunde und er akzeptiert es. Und welcher Mann will schon eine Frau, die bald aussieht wie ein kleiner gestrandeter Buckelwal? Aber selbst wenn er mehr wollte, ich weiß, dass ich es nicht will. Trotz allem liebe ich Christian immer noch, auch wenn das Gefühl mittlerweile mit Wut und Zorn vermischt ist. Ich zwinge mich, wütend auf ihn zu bleiben und keine Entschuldigung mehr für sein Verhalten zu suchen.

Grace hat sich furchtbar über seine Weigerung, mit mir zu telefonieren, aufgeregt, aber auch sie erreicht ihn nicht. Sie wollte mich überreden, nach Hause zu kommen, zumindest, bis das Baby auf der Welt ist. Sie traut der medizinischen Versorgung nicht, aber ich fühle mich hier gut aufgehoben.

Zur Sicherheit hat Phil einen Brutkasten aus Juneau kommen lassen und mit einem Kinderarzt alle möglichen Komplikationen besprochen. Er ist Allgemeinmediziner und Geburtshelfer, aber kein Spezialist. Trotzdem beruhigt es mich, dass er so vorausschauend denkt und alle Möglichkeiten in Betracht zieht.

Yukka tritt zu mir und grinst.

„So, Essen ist fertig, somit hast du die offizielle Erlaubnis, sobald Phil kommt, aufzustehen und dich an den Tisch zu setzen."

Ich schnaube und sie gluckst, während Adam und Bill in der Küche in Gelächter ausbrechen. Yukka ist die schlimmste Glucke von allen. Mein Junior belohnt mich mit einem Lebenszeichen, auch ihm geht das lange Liegen auf den Wecker.

Ohne Klopfen geht die Tür auf und Phil tritt ein, Schneeflocken in den kurzen, tiefschwarzen Haaren. Auf dem Arm hält er einige Pakete und Bill begrüßt ihn, bevor er zu mir kommt und mir einen kurzen Kuss auf die Wange gibt, was von Yukka interessiert verfolgt wird.
„Wie geht's, Ana?", fragt er und ich setze mich auf.

50 Shades of RegretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt