Tag 300

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„Bill, schick ihn zum Teufel!", fauche ich ihn böse an, während er mich unbeeindruckt mustert.

Seit über zwei Wochen bleibe ich in meinem Haus und ich habe langsam einen Lagerkoller. Ted wird regelmäßig von Bill oder Yukka ein wenig durch die Gegend geschoben, aber ich gehe nicht wirklich vor die Tür. Ab und an, wenn es endlich dunkel ist, schnappe ich ein wenig Luft, aber ich komme mir vor wie ein Verbrecher auf der Flucht.

„Ana, er wartet auf ein Gespräch. Sag ihm, dass du kein Interesse daran hast und ignoriere ihn einfach. Aber hör auf mit diesem Unsinn. Sogar Ahnah findet es langsam übertrieben. Dein Mann mag sich wie ein Arschloch verhalten haben, aber er ist nicht der Teufel persönlich. Und du musst auch mal wieder aus dem Haus. Außerdem kann ich seine Hilfe gebrauchen, ich muss heute Abend nach Anchorage fliegen und will, dass du bis zu meiner Rückkehr diesen Unsinn beendet hast."

Bill hat nicht Unrecht, aber er kennt Christian nicht. Er nimmt ihn die letzten Tage mit zur Arbeit, weil er ihm helfen kann, und ich beiße mir jeden Abend auf die Zunge, um keine Fragen zu stellen. Gut, ich bin neugierig, was ihn hierher getrieben hat, aber auf keinem Fall werde ich mit ihm sprechen. Ich bin zu anfällig, zu einsam und der kurze Moment im Büro hat mir gezeigt, dass ich alles andere als immun gegen ihn bin.

Außerdem ist da noch Ted, und ich will nicht, dass er mein Kind benutzt, um Zugang zu mir zu finden. Er soll verschwinden, so einfach ist das. Mein Unterbewusstsein schüttelt strafend den Kopf, es kennt meine Sehnsucht, und weiß, wie sehr ich mich nach ihm sehne. Aber er hat mich auch öfter und tiefer verletzt, als je ein anderer Mensch. Er hat eine andere Frau gehabt und das kann ich auch nicht vergessen.

„Ich muss heute für ein paar Tage nach Anchorage. Allerdings ist heute Abend wieder ein Treffen im Gemeindezentrum. Geh mal wieder hin, alle vermissen dich. Wenn er da sein sollte, auch gut. Ignoriere ihn, aber hör auf, dich wie ein Feigling zu verstecken. Ich hab mit Phil geredet, er holt dich ab. Adam passt auf die Kinder auf, weil Yukka auch kommen will. Was soll schon passieren? Und keine Angst, alle achten darauf, dass er nicht erfährt, wo du wohnst. Und von Ted wird er auch nichts erfahren, solange du es nicht willst. Also, sei kein Frosch und sieh zu, dass du um halb acht fertig bist, sonst setzt es was!"

Bill geht und wirft die Tür zu, während ich ihm entsetzt nachsehe.

Ja, ich bin feige! Aber ich habe auch keine Lust, den Rest des Jahres hier drin zu bleiben. Jetzt ist es endlich mal nicht kalt und ich sitze schon wieder im Haus fest. Ted brabbelt vor sich hin, und ich nehme ihn hoch, um ihn zu stillen. Auch ihm scheint meine Stimmung aufzufallen, ich bin gereizt, unruhig und nervös, und an Schlaf ist kaum noch zu denken.

Er wacht nachts alle paar Stunden auf und schreit, seit vier Tagen, was er sonst nicht getan hat. Ahnah hat nach ihm gesehen und meinte, er habe wohl einen Infekt oder eine Kolik, doch Phil wollte ich nicht die überbesorgte Mutter vorspielen. Tagsüber ist er immer noch ein Sonnenschein, also muss ich da wohl durch, und es liegt wohl doch daran, dass meine Unruhe sich leider auf Ted überträgt.

Nachdem Ted satt ist und ich ihn im Wohnzimmer in den Laufstall gelegt habe, sehe ich mich um, aber die Wohnung ist blitzblank. Ich habe nichts zu tun, weil ich auf Post warte und alle Berichte fertig sind. Mir ist sterbenslangweilig und ich will einfach nur mal raus. Vielleicht ist das heute Abend gar keine schlechte Idee.

Ich habe noch ein paar Stunden und gehe mir meine begrenzte Garderobe ansehen. Falls mein untreuer Mann auch da sein sollte, werde ich nicht wie das Leiden Christi aussehen. Leider bin ich doch eher auf Winter eingerichtet und mir wird schnell klar, dass ich nichts vernünftiges anzuziehen habe. Nicht, dass ich jemand beeindrucken will, aber ich habe tatsächlich fast nur wattierte Hemden und Sweatshirts im Schrank.

50 Shades of RegretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt