Christian - Tag 379

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Ich starre über Seattle und finde mal wieder keine Ruhe.

Es ist 76 Tage her, seit ich Ana die Wahrheit gesagt habe. Seit zweieinhalb Monaten sitze ich hier fest, ohne dass ich Einfluss auf das Leben meiner Frau habe, ohne sie beschützen zu können und ohne ihre Nähe. Und jeder Tag, der vergeht, lässt meine Hoffnung auf ihre Rückkehr zu mir sinken. Jeder Tag stürzt mich weiter hinein in meinen persönlichen Albtraum. Sie fehlt mir und ich halte es ohne sie nicht aus. So ist mein Leben nicht lebenswert. Aber ich habe schon so viele Versprechen ihr gegenüber gebrochen, ich darf sie jetzt nicht drängen. Und ich bereue es, dieses Zugeständnis gemacht zu haben, aber wenn ich mich daran jetzt nicht halte, wird sie mir nie wieder Vertrauen können. Es liegt an ihr, so schlimm das für mich auch sein mag.

Grace fleht mich auch um Geduld an, sie weiß wie schwer mir die Trennung von meiner Familie fällt, aber ich habe keine mehr. Alles was ich habe, ist ein neues, einsames Leben, in dem ich nicht mal das Recht habe, meinen Sohn zu sehen. Oder meine Frau in die Arme zu nehmen.

Heute hat Ana Geburtstag, und ich befürchte, sie wendet sich schlussendlich doch, in dem kleinen, dämlichen Eishaufen von einem Ort, diesem Arzt zu. Er ist immer noch Single und obwohl ich ein paar Kliniken angestiftet habe, ihm gute Angebote zu unterbreiten, sitzt er noch in Point Hope und behandelt lieber die Dorfkrankheiten, als Karriere zu machen. Er ist integer und das ärgert mich zusätzlich. Ich habe keine Möglichkeit auf ihn oder Ana Einfluss zu nehmen.

Phil Moore hat nach dem dritten Angebot an ihn eine kurze Nachricht an mich geschickt, dass er mir für meine Bemühungen dankt, aber mich bittet, diese einzustellen. Er würde in Point Hope bleiben. Höflich und ohne ein weiteres böses Wort. Er ist ein solches Arschloch! Jeder andere wäre auf so ein lukratives Angebot eingegangen.

Ich habe es bis heute nicht mal geschafft, herauszubekommen, für wen Ana arbeitet. Obwohl ich Kates Vater in Verdacht habe, kann ich es nicht im Ansatz beweisen – und auch hier keinen Einfluss nehmen und meine Frau beschützen. Und sie sollte sich schonen, bestimmt ist es anstrengend sich alleine um ein kleines Baby zu kümmern. Sie tut es doch alleine, oder gibt es jemanden? Ich kann sie nicht überwachen, weil in dem kleinen Ort alles auffallen würde und auch, weil Carrick mir zu dem Thema ein paar deutliche Worte an den Kopf geworfen hat. Ich hätte nicht mehr das Recht, sie zu überwachen!

Obwohl es mir gut geht, meine körperliche Stärke wieder voll da ist, und auch die Ärzte mir eine gute Gesundheit bescheinigen - mein Verstand tanzt am Rande des Wahnsinns, solange ich Ana nicht wieder bei mir habe. Und Ted, er wird bald ein halbes Jahr, kann ich durch mein Versprechen, ihr die Zeit zu geben, die sie braucht, auch nicht sehen. Mir fehlt meine Familie und ich habe Angst, sie für immer verloren zu haben. Da hilft es auch nichts, dass ich mich wieder dem Alltag stellen kann und meine Haare wachsen.

Das wirklich Schlimme ist, dass mir meine Situation im Moment bewusst macht, wie es Ana ergangen sein muss. Grace hat einige Male mit mir darüber gesprochen, und ich weiß, was ich alles angerichtet habe. Leider kann ich es nicht mehr rückgängig machen, und sitze jetzt ebenso auf dem Trockenen, wie sie, als ich sie von mir weggetrieben habe.

Allerdings geben mir die Emails ein wenig Hoffnung.

Die erste, eine kurze sehr unpersönliche Mail, mit der Information, dass es ihr und Ted gut geht und das sie mir Bilder beigelegt hat, war zuerst ein Schlag ins Gesicht, so kalt waren ihre Worte. Aber die Bilder von Ted haben mich mehr als versöhnt und zieren jetzt meinen Schreibtisch, sehr zur Verwunderung von Andrea, die es wohl nicht fassen kann, mich und ein Baby in Verbindung zu bringen. Mir geht es auch noch oft so. Ich habe den kleinen Kerl von Anfang an ins Herz geschlossen, aber trotzdem eine unheimliche Angst davor, Vater zu sein. Bei meiner Kindheit kein Wunder.

50 Shades of RegretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt