Tag 390

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Ich glaube langsam, dass sowohl Christian, mit dem ich mittlerweile mehrmals am Tag maile, und Phil denken, ich wäre gehirnamputiert. Anders ist es nicht zu erklären, dass immer wieder ein Flugzeug ankommt, teure Maschinen und Geräte auslädt, die dann irgendjemand verschämt Richtung Klinik fährt, und auf meine Nachfragen, woher die Mittel auf einmal kommen, die Aussage „staatliche Unterstützung" getroffen wird.

Gerade heute kam wieder eine Maschine, die ein neues Röntgengerät gebracht hat. Juri hat zwar versucht, die Frachtpapiere vor mir zu verstecken, aber das war zwecklos. Abgeschickt wurde alles in Seattle und mit einem Flugzeug, das mir von der Kennung her nur zu gut bekannt ist, bis Anchorage gebracht, wo es dann umgeladen wurde. Sogar Bill mischt mit, da bin ich mir sicher.

Ich ärgere mich nicht mal über Christians Versuch, hier ein wenig Einfluss auszuüben, es kommt dem ganzen Ort und der Umgebung zu Gute. Und er hält sich für seine Verhältnisse zurück. Leider ist er mit der Ausstattung der Klinik wohl, wie mit allem, ein wenig übers Ziel hinausgeschossen. Langsam kann man hier nicht mehr von einer Dorfklinik sprechen.

Mich ärgert, dass alle denken, ich würde es nicht kapieren oder mitbekommen. Mittlerweile ist die Klinik komplett renoviert, alle Betten sind neu und auch die Behandlungsmöglichkeiten haben sich mehr als nur deutlich verbessert. Und nachdem wir erfolglos staatliche Mittel beantragt hatten, glauben hier alle, ich würde diese Aussage einfach schlucken?

Die Frachtpapiere waren der letzte Beweis, den ich gebraucht habe, und ich rufe Yukka an, ob sie noch einen Moment länger auf Ted achten kann. Ich habe ein Hühnchen zu rupfen, mit zwei Männern, die mir beide sehr wichtig sind. Phil ist zuerst dran, er ist einfacher greifbar.

„Ich will nur noch schnell in die Klinik und Phil den Kopf abreißen", sage ich und Yukka seufzt.
„Ich hab ihnen gesagt, dass du es merkst ...", murmelt sie und ich rolle mit den Augen.

„Nicht du auch noch!", entfährt mir, weil mir klar wird, dass ich offensichtlich die Einzige bin, der nichts erzählt wurde.

Christian schafft es, dass der ganze Ort sich gegen mich verschwört.

„Ich hab Phil letzte Woche in die Zange genommen, er meinte, du würdest es nicht merken", gibt Yukka kleinlaut zu.

„Männer!", entfährt es mir und nach einem Moment stimme ich in Yukkas Lachen mit ein.

„Es ist ein netter Zug deines Mannes, hier etwas für alle zu tun, und es heimlich zu machen."

Heimlich würde ich die Geräteinvasion nicht unbedingt nennen, aber dazu ist Christian wohl zu sehr ein Stadtkind, um zu begreifen, dass man in einem so kleinen Ort nichts geheim halten kann. Schon gar nicht solche doch recht teure Neuerungen. Auf der anderen Seite ist er sonst die Ruhe in Person, mailt mir, antwortet auf meine Fragen ausführlich und scheint wirklich die Zeit auch zu nutzen, um sein Verhalten zu reflektieren.

Ich weiß im Moment selbst nicht, was mich noch abhält, zu ihm zurückzukehren. Er fehlt mir und ich bin mir sicher, Ted und ich fehlen ihm auch. Es wird auch Zeit, dass er seinen Sohn wieder sieht. Wir haben sogar schon geskyped, damit er Ted sehen konnte, und ich konnte erkennen, wie sehr er sich bemüht, mich nicht zu drängen. Und auch, wie schwer es ihm fällt. Zu meinen verletzten Gefühlen, die immer noch da sind, kommt immer mehr die Sehnsucht nach ihm hinzu. Und auch Bedürfnisse anderer Art, obwohl er sich vorbildlich verhält und keine Andeutungen macht.

Offensichtlich kann er sich ändern, sogar mehr, als ich gedacht hatte. Trotz allem tut es immer noch weh, dass er aller Welt vorgegaukelt hat, ich wäre nur ein kurzes, nicht sehr wichtiges Intermezzo gewesen. Aber langsam kommt bei mir auch die Erkenntnis, dass es egal sein muss, was der Rest der Welt denkt. Mein schützender Kokon, den ich hier in Point Hope habe, fühlt sich immer mehr wie ein Gefängnis an, ich vermisse ihn, die Familie und Seattle. Allerdings scheint Christian Grey nicht ohne eine wenig Aktionismus auszukommen, auch wenn ich hier nicht wirklich böse sein kann. Aber das Phil ihm tatsächlich hilft, ist unfair. Er unterwandert meine neue Heimat und mein bester Freund hat Geheimnisse vor mir.

50 Shades of RegretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt