Tag 398 (2)

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Als sich die Aufzugstür öffnet, sind meine Hände am zittern und auch meine Knie fühlen sich wie Pudding an. Irgendwie erwarte ich, sofort in Christians Gesicht zu sehen, aber der Eingangsbereich ist leer, bis auf den großen Tisch, auf dem heute eine Schale mit Teerosen steht. Gail sorgt also immer noch für frische Blumen. Ich hoffe zumindest, dass es Gail ist.

Es ist still und die letzten Sonnenstrahlen des Tages erhellen das Wohnzimmer, als ich langsam vorwärts gehe. Eine Tür im Nebenflur fällt zu und Gail betritt das Wohnzimmer. Sie sieht mich, und das Tablett, welches sie trägt, fällt auf den Boden, während sie mich anstarrt, wie einen Geist.

Schnell gehe ich zu ihr und bücke mich.
„Tut mir leid, Mrs. Jones, ich wollte Sie nicht erschrecken", murmele ich und sammle die Scherben auf, die wohl von einer Vase stammen.
„Mrs. Grey", haucht sie und bückt sich ebenfalls, greift aber nach meinen Händen und zieht mich hoch.

„Nicht, sie könnten sich schneiden. Ich hole einen Besen", sagt sie, bleibt aber wie angewurzelt stehen.

„Es tut mir leid, ich wollte meinen Mann überraschen. Ist er da?"

Gail tritt einen Schritt zurück und sieht mich enttäuscht an.
„Er ist unterwegs, er hatte heute einen Termin in Portland, der ein wenig länger dauerte. Wenn er wüsste, dass sie hier sind ..."

„Mrs. Jones, bitte, ich warte einfach hier und überrasche ihn, wenn er heimkommt. Machen Sie doch Schluss für heute."

Sie nickt und geht, kommt aber kurz darauf mit Besen und Kehrschaufel zurück und macht erst Ordnung, während ich mir fehl am Platz vorkomme. Wie ein Besucher im eigenen Haus.

Als sie fertig ist, lächelt mir Gail freundlich zu.
„Er wird sich sehr freuen, Sie zu sehen. Es ist schön, Sie wieder zu Hause zu wissen", sagt sie und wünscht mir einen schönen Abend, bevor sie geht.

Ich bleibe zurück, eine Fremde im eigenen Heim. Irgendwie erleichtert es mich, dass er sich nur verspätet, ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Ihn mit einer anderen im Spielzimmer? Allein der Gedanke zeigt mir, wie sehr mein Vertrauen in Christian erschüttert ist, und die Erleichterung, dass es nicht so ist, wie sehr er mir fehlt.

Vorsichtig gehe ich zu unserem Schlafzimmer und trete verlegen ein. Gott, ich wohne hier, oder habe es zumindest lange getan. Und wir sind immer noch verheiratet. Als ich sehe, was neben dem Bett steht, schießen mir Tränen in die Augen. Er hat ein Babybett ins Schlafzimmer gestellt, wohl in der Hoffnung, Ted und ich würden zu ihm zurückkehren. Es ist so typisch Christian, dass ich losweine. Auf alles vorbereitet, bis ins kleinste Detail.

Deshalb hat ihn auch seine Krankheit so aus der Bahn geworfen, sie war etwas gewesen, auf das er nicht vorbereitet war.

Langsam gehe ich ins Bad, nirgends hat sich etwas verändert und im zweiten Zahnputzbecher steht eine noch verpackte Zahnbürste. Er hofft und irgendwie tut er mir gerade wirklich leid, weil ich ihn so lange habe warten lassen. Hoffentlich habe ich nicht zu lange für meine Entscheidung gebraucht.

Zögerlich gehe ich die ganze Wohnung ab, aber es hat sich nichts verändert. Im Büro jedoch hat er jetzt nicht nur mein Bild hängen, sondern unzählige der von mir geschickten Fotos von Ted überall verteilt, liebevoll gerahmt. Schon wieder könnte ich losweinen, wenn ich wirklich noch Zweifel hatte, damit werden sie wirkungsvoll erstickt.

Ich gehe zurück ins Wohnzimmer, mittlerweile liegt die Wohnung in Dunkeln, nur die Lichter der Stadt erhellen ein wenig das Zimmer, als ich mich auf die Couch setze und auf ihn warte.

Ich bin immer noch nervös und hoffe, er kommt bald, bevor mich der Mut verlässt. Es muss nach neun Uhr sein und ziehe die Füße unter mich und lehne mich an der weichen Couch an. Der Flug war anstrengend und ich habe den Rest des Tages meine Habe untergebracht und unzählige Kartons getragen, so dass ich körperlich ziemlich erledigt bin. Ich schließe ein wenig die Augen und versuche mich zu entspannen.

50 Shades of RegretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt