65. Kapitel: „Ich habe immer noch Albträume..."

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65. Kapitel: „Ich habe immer noch Albträume..."

Sam tanzte gerade mit Billy, dem popligen Trauzeugen von Henry, den er zu seiner Zeit von Janines Mom aufs Auge gedrückt bekommen hatte und obwohl Sam ihn noch nie hatte ausstehen können so musste sie zugeben, dass er sich in den letzten Jahren ziemlich gemausert hatte. War er früher ein Ekelpaket gewesen, so hatte er sich mittlerweile zu einem äußerst höflichen und netten Menschen entwickelt, der jedoch nichts in Sam rührte. Nicht so, wie es Kyle getan hatte. Sie konnte es einfach nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu Kyle schweiften, denn eigentlich hatte sie geglaubt, dass sie diesen Tag mit ihm verbringen würde. Sie hatte gehofft, ihn als ihre Begleitperson mitnehmen zu können, sie hatte gehofft mit ihm einen schönen Tag verbringen zu können, doch stattdessen war sie alleine aufgetaucht. Dafür konnte sie sich voll und ganz auf die Braut konzentrieren, die einfach wunderschön an diesem, ganz besonderen Tag für sie, aussah.

„Du schaust den ganzen Tag schon so traurig, was ist denn los mit dir?“, fragte Billy, während er sie über die Tanzfläche führte.

„Ach gar nichts, ich bin im Allgemeinen keine sonderliche Frohnatur!“, antwortete Sam gespielt fröhlich.

„Ja das hab ich auch schon bemerkt! Früher warst du nicht so.“, erklärte Billy, der sie anlächelte.

„Doch ich war eigentlich schon immer so drauf, nur konnte ich es damals vermutlich einfach besser überspielen““, erwiderte sie während sie sich von ihm in eine Drehung verwickeln ließ. Als sie wieder bei ihm ankam, legte er seine Hand wieder auf ihren Rücken und drückte sie enger an sich. Sam fühlte sich nicht unwohl, jedoch fühlte sie sich ein wenig gefangen. Es fühlte sich falsch an, obwohl sie wusste, dass sie niemandem verpflichtet war. Sie konnte tun und lassen was sie wollte, eigentlich.

Sie ließ sich nichts anmerken und tanzte noch einige Minuten lang weiter, bevor sie sich von ihm löste und ihm mitteilte, dass sie sich etwas zum trinken holen würde. Sie musste dringend ein wenig an die frische Luft. Den ganzen Tag schon fühlte sie sich, dank dieses absurd engen Kleides, eingeengt und jetzt im Moment hatte sie das Gefühl, als könne sie nicht vernünftig atmen. Sie schnappte sich eines der Sektgläser beim vorbei gehen und stürmte durch die große Eingangstür zur Halle. Ihre Schritte hallten auf dem Marmorboden der Eingangshalle wieder und kurz darauf befand sie sich an der kühlen Luft des sonnigen Herbsttages.

Sie hob das Glas an ihre Lippen und leerte es in einem Zug, dann blickte sie auf. Vor ihr stand eine Person, mit der sie ganz und gar nicht gerechnet hatte und mit sofortiger Wirkung beschleunigte sich ihr Puls um das gefühlt zehnfache, während sie das Glas zunächst sinken und schließlich fallen ließ. Das Geräusch des zerbrechenden Glases hallte in der Stille doch es interessierte sie gar nicht. Einzig und alleine Dennis, der vor ihr stand, in einem Anzug, mit schuldbewusstem jedoch traurigem Blick, interessierten sie in diesem Moment. Sie wusste nicht genau, was sie tun sollte. Sollte sie Angst bekommen und abhauen, sollte sie zu ihm gehen und ihn zu Tode prügeln, oder sollte sie ihm insgeheim auch dankbar dafür sein, dass er Kyle vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Keiner der beiden sagte etwas, beide standen da und sahen sich lediglich an. Tausende Gedanken gingen Sam gerade durch den Kopf, tausende Gedanken von denen sie keinen einzigen fassen und aussprechen konnte. Und trotz dieser tausenden Gedanken, herrschte irgendwie eine Leere in ihrem Kopf. Ihr wurde heiß und kalt gleichzeitig, als sie in Dennis‘ Augen blickte, die denen von Logan so ähnlich waren. Nur waren sie wärmer und der Wahnsinn zeichnete sich darin nicht ab. Eine Gänsehaut überzog Sams gesamten Körper und gleichzeitig lähmte sie sein Anblick am Fuße der Treppe.

Sie sah ihn vor sich, mit der Waffe in der Hand. Wie er aus geweiteten Augen das Szenario in dem Zimmer betrachtete. Wie Kyle in der einen Ecke lag, blutüberströmt und bewusstlos, Sam auf dem Boden an diesen Stuhl gefesselt, Logan auf dem Boden, die Hände auf seinen Bauch gepresst. Sie sah alles ganz genau, war in diesem Moment gefangen, den sie so unglaublich gerne vergessen hatte wollen.

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