„Endlich ist diese Stunde vorbei! Ich hätte es wirklich keine Sekunde länger in diesem Raum ausgehalten.", sagte Ash, während wir den Chemiesaal verließen. Diesen oder einen ähnlichen Satz sagte sie eigentlich jeden Tag nach der Chemiestunde und ich hatte mittlerweile schon eine Standardantwort entwickelt: „Du hättest es ja nicht wählen müssen.", entgegnete ich ihr gelangweilt. „Ja, ja, das sagst du mir nach jeder Stunde, aber wie soll ich denn Schule ohne dich überleben? Komm, ich zeige dir schnell den Sportplatz. Geschichte geht sowieso erst in zehn Minuten los." Ich sah auf meine Uhr und entschied, dass wir es in zehn Minuten schaffen würden zum Sportplatz und zurück zu laufen. Also machten wir uns auf den Weg nach draußen, was etwas länger dauerte als sonst, da die meisten Schüler das Gebäude betraten und nicht verließen.
Erst als wir uns durch die Menge drängelten fiel mir auf, dass die Flure mit rotweißen Girlanden geschmückt waren und die meisten Schüler unser Schulshirt trugen. Man sah im gesamten Flur fast nur die roten T-Shirts mit der weißen Aufschrift „Chamberlain High" auf dem Rücken. Ich sah an mir herunter. Großartig, mein T-Shirt war blau, das hieß ich würde heute Morgen garantiert auffallen. Toll gemacht, Zoe. Ash war zumindest so klug gewesen ein orangenes T-Shirt anzuziehen, zum Glück würde ich vor dem Spiel noch einmal die Gelegenheit haben nach Hause zu fahren, um mich umzuziehen.
Als wir den Sportplatz erreichten staunte ich nicht schlecht. Quer über der Tribüne hing ein mindestens fünfzig Meter langer Banner mit der Aufschrift „Chamberlain High Tigers", außerdem waren alle Flutlichter rot angestrichen worden und die Anzeigetafeln sahen auch neu aus. Unser Direktor hatte wirklich keine Kosten und Mühen gescheut, um dieses Spiel unvergesslich zu machen. „Der Wahnsinn, oder?", fragte Ash, als sie meinen staunenden Blick bemerkte. „Ja, so einen schönen Sportplatz hat wirklich keine High School hier in der Umgebung.", stimmte ich ihr zu. „So eine gute Mannschaft hat auch keine andere High School. Letztes Jahr hatten wir einfach nur Pech, doch dieses Jahr werden wir wieder an der Spitze stehen!", während sie sprach strahlten ihre Augen. Sie freute sich noch mehr als die Mannschaft auf das Spiel, hatte ich zumindest den Eindruck. „Wir sollten wieder zurückgehen, sonst kommen wir wirklich noch zu spät zu Geschichte.", erinnerte ich sie. „Ach, Mr. Lee ist doch total entspannt!", winkte sie ab und schaute wieder auf den Sportplatz. „Ash, jetzt komm! Das ist nur ein Sportplatz!" Mit diesen Worten griff ich nach ihrem Arm und zog sie hinter mir her zurück ins Gebäude.
Wir eilten die Treppe hinauf, da ich wirklich nicht zu spät kommen wollte. Plötzlich bemerkte ich, dass Ash nicht mehr hinter mir war und drehte mich um. Sie ging gerade gemütlich die ersten Treppenstufen hoch, das konnte doch wohl nicht ihr Ernst sein. „Ash, beeil dich bitte! Wir kommen ständig zu spät. Ich habe keine Lust schon wieder nachsitzen zu müssen.", rief ich ihr zu, ohne meinen Schritt zu verlangsamen. „Entspann dich doch mal. Mr. Lee lässt uns bestimmt nicht nachsitzen.", antwortete sie mir nur genervt. „Dein Wort in Gottes Ohr.", murmelte ich und drehte mich wieder nach vorne. Ich würde heute nicht nachsitzen, sie konnte es ja darauf anlegen, wenn sie unbedingt wollte.
Mit schnellen Schritten setzte ich meinen Weg durch den Gang fort und musste wirklich ein Aufstöhnen vermeiden, als mich ein blonder Junge, der eine viel zu große Brille trug, ansprach: „Ähm, Entschuldigung, ich bin neu hier. Ich habe jetzt Geschichte bei", er sah auf den Zettel in seiner Hand, „bei Mr. Lee und muss zu Raum 89. Kannst du mir vielleicht sagen wie ich dort hinkomme?" Der Junge schenkte mir ein schüchternes Lächeln und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ja, da muss ich auch hin. Komm einfach mit. Wir sind sowieso schon spät dran.", antwortete ich etwas unfreundlicher, als ich eigentlich wollte, deshalb sagte ich noch schnell: „Ich bin übrigens Zoe Hill." „Chase Cain, freut mich dich kennenzulernen." Er streckte mir seine Hand entgegen. Etwas verunsichert schüttelte ich sie. Normalerweise begrüßten sich die Schüler an meiner Schule nicht mit Handschlag. Er schien mein Zögern bemerkt zu haben, denn er steckte nun beide Hände verlegen in seine Hosentaschen.
Den Weg bis zum Geschichtsraum verbrachten wir schweigend, da ich keine Ahnung hatte was ich mit ihm reden sollte. Er wirkte nicht unsympathisch, aber mir war trotzdem nicht ganz wohl in seiner Nähe, da mich seine Art ein wenig an meinen Großvater erinnerte, was mich ziemlich verunsicherte.
Als wir endlich am Geschichtsraum ankamen war die Tür bereits geschlossen, das hieß wir waren zu spät. Ich stöhnte, wirklich toll gemacht Ash. Also klopfte ich an die Tür und wartete bis Mr. Lee sie öffnete. Ich murmelte schnell eine Entschuldigung und ging zu meinem Platz. Zum Glück war Mr. Lee sofort mit Chase beschäftigt und schien sich für mein Zuspätkommen nicht weiter zu interessieren.
Die beiden unterhielten sich kurz an der Tür, bevor sich Mr. Lee der Klasse zuwandte: „Das ist euer neuer Mitschüler, Chase Cain. Er hat heute seinen ersten Tag hier, also wäre es nett, wenn ihm jemand die Schule zeigt. Chase, möchtest du dich selbst kurz vorstellen und uns erzählen wieso du hier bist?"
Ich hatte noch nie verstanden wieso Lehrer immer wollten, dass sich ein neuer Schüler vor komplett fremde Menschen stellte und ihnen seine ganze Lebensgeschichte erzählte. Es war doch schlimm genug sich an der neuen Schule zurechtzufinden, da brauchte man nicht noch eine ganze Klasse, die einen anstarrte und mit neugierigen Fragen bombardierte. Doch Chase stellte sich tapfer vor das Lehrerpult und begann zu sprechen: „Hallo, ich bin Chase Cain." Weiter kam er nicht, weil er von einem Klopfen unterbrochen wurde.
Mr. Lee stand genervt von seinem Stuhl auf und ging zur Tür. Es konnte nur Ash davorstehen, denn alle anderen aus meinem Kurs waren bereits hier.
Ich sollte recht behalten, vor der Tür stand Ash, die sich bei Mr. Lee für ihr Zuspätkommen mit ihrem süßesten Hundeblick entschuldigte. Doch ihr Hundeblick half dieses Mal nichts, Mr. Lee wollte sie nach der Stunde noch einmal sprechen. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, schließlich hatte ich ihr gleich gesagt, dass er dieses Mal nicht so entspannt reagieren würde wie sonst.
Mit hängenden Schultern und genervtem Blick durchquerte sie den Raum und setzte sich auf den Stuhl neben mir. „Ich habe dir doch gesagt, dass es Ärger gibt.", meinte ich. „Ja, das hast du.", stöhnte sie genervt und verdrehte die Augen. Sie hasste es, wenn ich recht hatte.
Ich richtete meinen Blick wieder nach vorne zu Chase, der gerade wieder anfing zu sprechen: „Ich bin vor Kurzem von New York hierher gezogen, da mein Dad einen neuen Job hat. Er ist Arzt und ein renommiertes Krankenhaus hier in der Umgebung hat ihm eine Stelle angeboten. Ich freue mich wirklich sehr darüber, dass ich jetzt in einer ruhigen Gegend wohne, in der nicht so viel passiert wie in New York. Mit der Zeit wird der Trubel nämlich ganz schön anstrengend." Ich konnte ihn verstehen. New York war eine tolle Stadt, das stand außer Frage, aber um dort zu leben wäre es mir viel zu laut.
„Dankeschön Chase, setz dich einfach auf einen freien Platz.", forderte Mr. Lee ihn auf. Chase ging durch den Raum und schien abzuwägen welcher freie Platz am besten war. Um ihm die Entscheidung zu erleichtern, winkte ich ihn zu mir und Ash. Er setze sich auf den freien Platz neben mir und flüsterte mir lächelnd ein „Danke" zu. „Bitte", antwortete ich ihm, ebenfalls lächelnd. Er schien wirklich nett zu sein.
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Das Quiz - Wer dumm ist stirbt
Mystery / ThrillerEin grauer Wintermorgen. Eine ganz normale Schule. Eine ganz normale Kleinstadt. Klingt ziemlich langweilig, oder nicht? Ein Mann stürmt das Gebäude. Er versammelt alle Lehrer und einige der Schüler im Lehrerzimmer. Er veranstaltet ein Quiz. Stel...