Kapitel 26

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Ich atmete einmal tief durch, um mich wieder zu entspannen. Johns Wutausbruch war für mich so plötzlich gekommen, dass mein Herz wie wild zu schlagen angefangen hatte. Nachdem Mr. King John so ruhig erklärt hatte, warum er Jay nichts tun sollte, hatte ich wirklich gedacht, dass John Einsicht zeigen würde. Jedoch hatte er diese Hoffnung im nächsten Moment sofort wieder zerstört.

„Jetzt habe ich euch aber ganz schön erschreckt, was?", fragte John. „So lange habt ihr es bisher noch nicht geschafft die Klappe zu halten."

Es blieb still.

„Ich glaube es ist an der Zeit euch eine kleine Geschichte zu erzählen. Das habt ihr euch verdient. Ihr sollt schließlich genau nachvollziehen können, wieso ihr heute hier seid.", sagte er und hob den Stuhl auf, den er eben gegen die Wand geschleudert hatte. Besser gesagt hob er die Lehne auf, die sich von dem Rest des Stuhls gelöst hatte. „Ups", lachte John, „Da brauche ich wohl einen neuen. Mal sehen wie viele Stühle ich zerschmettere bis wir hier fertig sind."

John holte sich gemächlich einen neuen Stuhl und stellte ihn in die Mitte des Raumes, sodass er mit dem Rücken zu den Lehrern stand. Diese Geschichte war also hauptsächlich für uns, die Schüler, bestimmt.

Er setzte sich hin und begann zu erzählen: „Das hier kann etwas länger dauern, ich hoffe ihr seid geduldig. Aber eines kann ich euch versprechen, zuhören lohnt sich, denn die Geschichte wird spannend, sehr spannend."

Er musterte ein paar von uns eingehend bevor er fortfuhr. „Ich habe schon immer hier in dieser kleinen Stadt gewohnt. Meine Eltern sind ganz normaler Leute. Meine Mom arbeitet im Supermarkt und mein Dad in einer Bank. Ihr seht, wir sind eine durchschnittliche Familie. Jedoch war ich von klein auf ein eher schüchterner Junge, der gerne allein spielte und nur wenige Freunde hatte. Als ich dann in die Grundschule kam, lernte ich Oliver kennen. Er saß am ersten Schultag neben mir. Seine Familie war gerade erst hergezogen und er kannte sich hier in der Gegend noch gar nicht aus, deshalb zeigte ich ihm nachmittags die Stadt, aber vor allem mein Baumhaus im Wald. Dorthin hatte ich bis zu diesem Tag nur meinen Vater mitgenommen, der mir dabei geholfen hatte es zu bauen. Eigentlich hatte mein Vater es allein gebaut, schließlich war ich ihm als sechsjähriger Junge keine große Hilfe gewesen. Oliver liebte das Baumhaus, da man von dort aus über ganz Chamberlain schauen konnte. Wir brachten Stunden damit zu Papierflieger zu bauen und zu beobachten wie sie über die ganze Stadt flogen." Bei dieser Erinnerung huschte ein Lächeln über Johns Gesicht. Ich hatte ihn noch nie so entspannt erlebt. „Irgendwann wurden wir älter und es machte keinen Spaß mehr Papierflieger zu bauen. Wir fingen an uns, um die anderen Jungen Gedanken zu machen, die uns immer auslachten und uns nie mitspielen ließen. Damals hielten wir es wirklich für einen Weltuntergang nicht mit den coolen Typen abhängen zu dürfen. Um uns von diesen Problemen abzulenken, begannen wir damit an Computern rumzubasteln. Zunächst war das Ganze nur ein Hobby, doch irgendwann bauten wir in der Garage von Ollis Dad eine eigene kleine Werkstatt auf und verdienten uns so ein bisschen Geld dazu. Klingt harmonisch, oder? Tja, diese Zeit hielt leider nicht lange an. Irgendwann gingen wir in die High School und alles wurde wieder schlimmer. Ich verliebte mich in dieses Mädchen, Ally. Sie war wunderschön und sehr beliebt. Ihr könnt euch denken, dass sie sich nicht wirklich für den Typen interessierte, der in seiner Freizeit an Computern herumschraubte. Damit habe ich mich jedoch nicht abgefunden. Ich wartete ständig an ihrem Spint auf sie und machte ihr Geschenke. Doch leider ist mein Leben kein Liebesfilm. Irgendwann war sie so genervt von mir, dass sie mir ihren Freund auf den Hals hetzte. Er war Captain des Football Teams, weshalb es ihn nicht viel Zeit kostete mich zusammenzuschlagen. Es war nichts ernstes, trotzdem hatte ich blaue Flecken im Gesicht, die ich meiner Mom erklären musste. Doch viel schlimmer als die blauen Flecken, war die Erkenntnis, dass Olli und ich völlige Außenseiter waren. Kein Mädchen interessierte sich für uns, nicht einmal die hässlichen. Wir waren die Loser, die Nerds, die Mathecracks. Niemand wollte etwas mit uns zu tun haben. Irgendwann fanden wir uns damit ab und fingen an zu programmieren. Ich war jeden Tag unendlich dankbar, wenn ich das Schulgebäude verlassen hatte und endlich in unserer Garage verschwinden konnte. Es war wie eine zweite Welt, eine bessere Welt. Glücklich war ich trotzdem nie und ich weiß, dass er es auch nicht war. Jeden Tag mussten wir den Spott unserer Klassenkameraden über uns ergehen lassen. Wir konnten gar nicht glücklich sein. Eine Weile plätscherte unser Leben so vor sich hin. Wir hofften beide einfach, dass die Schulzeit schnell vorbei ginge. Denn wir waren uns sicher, dass danach alles besser würde. In unserem zweiten Jahr an dieser Schule fand die Grausamkeit unseres Lebens jedoch ihren Höhepunkt, indem wir einen neuen Geschichtslehrer bekamen, Mr. King. Zunächst dachte ich er sei wie alle anderen Geschichtslehrer. Ihr wisst schon, die die vor dem Pult stehen und einen fünfundvierzigminütigen Monolog führen. Doch er war anders und das auf eine schreckliche Weise. Er war strenger. Er wollte herausragende Leistungen sehen und das jeden Tag. Wenn man nur eine Sekunde unachtsam war, bestrafte er einen sofort. Schon nach einer Woche hatten viele Mädchen Angst in seinen Unterricht zu gehen. Mir und Olli machte das alles anfangs nicht viel aus, da es uns beiden nur darum ging in Geschichte zu bestehen. Wir brauchten keine Auszeichnung. Als er jedoch in seiner vierten Woche mit dem Allgemeinbildungsquiz anfing, da ihm die Klasse nicht fleißig genug war, wurde es zu einem riesigen Problem. Mr. King ließ zunächst zufällig zwei Schüler gegeneinander antreten, um herauszufinden wer gut war und wer nicht. Danach begann er systematisch die guten Schüler gegen die schlechten spielen zu lassen. Olli und ich gehörten natürlich zu den schlechten. Wir haben uns nun mal für Naturwissenschaften, also logisches Denken, und nicht für stupides Auswendiglernen interessiert. Somit waren wir für Mr. King die perfekten Opfer. Ich meine wir waren schlecht in seinem Fach, sahen aus wie Nerds und wurden von vielen sowieso schon ausgegrenzt. Schwächere Opfer hätte er nicht finden können. Stimmt's Mr. King?"

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