Kapitel 3

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„Wer von euch möchte Chase erklären welches Thema wir gerade behandeln?", fragte Mr. Lee die Klasse und die meisten Schüler, auch ich, meldeten sich. Mr. Lee gehörte wirklich zu den beliebteren Lehrern, da er seinen Unterricht relativ interessant gestaltete und nicht allzu streng mit uns war. Außerdem war er noch sehr jung und sah wirklich nicht schlecht aus, deshalb waren die meisten Mädchen im Kurs besonders aufmerksam in seinen Stunden.

Er sah sich im Raum um und meinte schließlich: „Ja, Zoe." „Wir sprechen gerade über den Verlauf des Kalten Krieges.", antwortete ich. Dieses Thema war zum Glück nicht so langweilig wie die anderen Themen in Geschichte, deshalb machte es mir wenig aus, dass wir schon seit drei Wochen über nichts anderes mehr sprachen. Ash hingegen war sichtlich gelangweilt von diesem Thema und schrieb auf ihrem Handy, dass sie unter dem Tisch versteckt hielt, schon wieder Nachrichten in unserer Cliquengruppe. Vermutlich machte sie gerade mit den anderen einen Treffpunkt für heute Nachmittag aus. Denn ohne Treffpunkt würden wir uns in dem Trubel, der heute Mittag herrschen würde, bestimmt nicht finden und wir wollten das Spiel auf jeden Fall gemeinsam anschauen.

„Kannst du vielleicht noch etwas präziser werden?", forderte Mr. Lee mich auf und riss mich damit komplett aus meinen Gedanken. Ich holte tief Luft und wollte gerade mit meiner Zusammenfassung beginnen, als der Lautsprecher anging: „Achtung, wir befinden uns in einer kritischen Situation. Bitte schließen Sie alle Fenster, lassen die Jalousien runter und verriegeln die Türen. Achtung, wir befinden uns in einer kritischen Situation. Bitte schließen..."

Zunächst waren alle still, man hörte nur die Durchsage, die fortwährend das Gleiche sagte. Diesen Alarm hatte ich noch nie gehört und wenn ich mich im Raum so umsah, schien es den anderen genauso zu gehen, denn niemand regte sich. Alle saßen auf ihrem Platz und starrten nach vorne zu Mr. Lee. Dieser riss erschrocken die Augen auf und strich sich in Zeitlupe ein paar Haare von der Stirn. Man konnte ihm ansehen, dass er nachdachte.

Auch ich begann nachzudenken. Was war das für ein Alarm? Der Feueralarm war es nicht, den kannten wir schließlich alle und bei ihm hätten wir das Gebäude sofort verlassen müssen. Ein Bombenalarm konnte es auch nicht sein, schließlich würde man uns bei einer Bombe auch sofort evakuieren. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, es war der Amoklaufalarm.

Noch während ich dieses Wort in Gedanken aussprach, spürte ich wie sich Angst in mir breitmachte. Es konnte doch nicht wirklich an meiner Schule zu einem Amoklauf kommen? In den letzten Jahren hörte man zwar immer wieder von so etwas, aber an meiner Schule? Unmöglich! Trotzdem erklang der Alarm weiterhin.

Verunsichert sah ich zu Ash hinüber. Sie erwiderte meinen Blick, ihr stand die Angst offen ins Gesicht geschrieben. Hatte sie etwa den gleichen Gedanken wie ich? Ging sie auch davon aus, dass es sich um einen Amoklauf handeln könnte? Je länger ich sie ansah, desto unruhiger wurde ich. Wenn schon zwei Menschen diesen Gedanken hatten, dann konnte es doch sein, dass... Weiter konnte und wollte ich nicht denken.

Ein paar Tränen rollten meine Wange hinunter, weswegen ich verlegen zu Boden blickte. Ich wollte nicht, dass die anderen mich weinen sahen. Ash rückte näher zu mir heran und legte tröstend ihren Arm um mich: „Es wird alles wieder gut.", flüsterte sie, ihre Stimme klang jedoch nicht wirklich überzeugt.

„Wir sollten die Anweisungen befolgen.", sagte Mr. Lee nun, was mich zu ihm aufblicken ließ. Er ging zur Tür und schloss sie von innen ab, danach drehte er sich wieder zu uns um. „Es ist wichtig, dass wir Ruhe bewahren. Wir können nur hoffen, dass es ein Fehlalarm ist, aber wir müssen uns bestmöglich schützen, indem wir die Anweisungen befolgen.", während er sprach zitterte seine Stimme leicht. Er hatte also auch Angst, wie wir alle in diesem Raum. Er ging hinüber zu den Fenstern und betätigte den Schalter, der die Jalousien herunterfahren ließ.

„Was ist das denn für ein Alarm?", fragte ein Mädchen verunsichert und sprach somit die Frage aus, auf die ich keine Antwort haben wollte. Doch Mr. Lee antwortete ihr: „Es... Es ist der Amoklaufalarm.", sagte er leise.

Nein, das konnte nicht wahr sein! Ich durfte mit meiner Vermutung nicht richtigliegen! Mit weit aufgerissenen Augen drehte ich mich zu Ash, welche mich aus ihren blauen Augen ebenfalls anstarrte. Um mich herum hörte ich unterdrückte Aufschreie und lautes Nachluftschnappen. Das durfte einfach nicht wahr sein, nicht an meiner Schule in diesem kleinen Provinzstädtchen. Es musste sich um einen Fehlalarm handeln. Wer sollte denn hier Amok laufen?

Einer der Jungen warf die Frage der Fragen in den Raum und riss mich damit komplett aus den Gedanken: „Was sollen wir jetzt tun?", fragte er. „Wir.. Wir sollten auf jeden Fall von der Tür wegbleiben, falls er durch sie hindurchschießt.", antwortete Mr. Lee und begann im Raum auf und ab zu gehen. Durch die Tür hindurchschießen? Das waren ja tolle Aussichten...

Die Unruhe im Raum legte sich allmählich, da wir alle begannen den Ernst der Lage zu begreifen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Fehlalarm handelte, war zu gering, um auf sie zu vertrauen. Wir mussten uns überlegen was wir tun würden, wenn er unsere Klasse betreten sollte. Mittlerweile sahen alle nach vorne zu Mr. Lee. Insgeheim hoffte ich, dass er uns die perfekte Strategie auf dem Silbertablett servieren würde. Doch das tat er nicht. Er ging weiterhin unruhig im Raum auf und ab, strich sich hin und wieder ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, blieb kurz stehen und schüttelte den Kopf. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male, bis Chase einen Vorschlag machte: „Wir sollten uns alle in eine Ecke setzen und die Tische als Schutzmauer vor uns aufbauen.", sagte er und sah zu Mr. Lee. Dieser zuckte zunächst mit den Schultern und nickte dann: „Besser als nichts zu tun."

„Okay, alle Mädchen setzen sich in die Ecke da hinten und die Jungs helfen mir die Tische davorzustellen.", ordnete Chase an. Es überraschte mich wie fest seine Stimme klang. Er tat so als würde er die Aufbauanleitung von einem Möbelstück erklären und nicht versuchen uns vor unserem Tod zu retten.

Wie alle anderen Mädchen, erhob ich mich von meinem Platz und ging in eine der Ecken. Wir setzten uns mit dem Rücken zur Wand, die Beine angewinkelt, um Platz zu sparen. Mir war durchaus bewusst, dass wir in dieser Position nicht allzu lange verharren konnten, doch wir konnten schlecht den halben Raum in Anspruch nehmen, dann wären die Tische keine Mauer mehr. Ich und Ash saßen direkt an der Wand. Somit sah ich nur die Haare des Mädchens vor mir, was mir ein wenig Angst machte. Würde ich es überhaupt bemerken, wenn der Amokläufer reinkäme? Schließlich verhielten sich die Jungs nicht gerade leise und meine Sicht war völlig versperrt. Erneut machte sich Panik in mir breit. Was würde passieren, wenn der Amokläufer kam während wir die Mauer bauten? Würden wir es sofort bemerken? Oder könnte er jemanden erschießen, ohne dass irgendjemand von ihm Notiz nahm?

Okay, Zoe, komm runter, er wird schon nicht hier reinkommen, sagte ich mir selbst. Doch eine Stimme in meinem Kopf flüsterte leise: „Und was passiert, wenn er doch reinkommt?" Die Stimme ignorierte ich so gut es ging und konzentrierte mich auf das was im Raum passierte. Ich hörte wie Tische verschoben wurden und die Jungs sich immer wieder gegenseitig anmeckerten, weil irgendetwas schiefging. Sehen konnte ich jedoch nichts, da mir immer noch der Kopf des Mädchens im Weg war.

Ein lauter Knall ließ mich zusammenzucken. Ich hielt für einen Moment die Luft an. Was war das?

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