Kapitel 25

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„Ich bekomme keine Antwort." John lachte trocken. „Das haben Sie sich aber fein ausgedacht. Sie geben mir keine Antwort und der Junge bleibt am Leben!" John stellte sich unmittelbar vor Mr. Rogers und beugte sich zu ihm hinunter. „Wo waren Sie vor ein paar Minuten, als ich das letzte Quiz veranstaltet habe?" Sein Tonfall machte deutlich, dass er keine Antwort auf seine Frage erwartete, weswegen Mr. Rogers schwieg. „Sina, könnten Sie bitte nochmal erzählen was Sie versucht haben, um Mr. Lees Leben zu retten?", fragte er gereizt.

„Nicht auf die Frage antworten.", sagte sie mit zitternder Stimme.

„Genau, und hat es funktioniert?" Er bemühte sich ruhig zu sprechen, doch das Beben seiner Stimme verriet ihn.

„Nein.", erwiderte sie traurig.

John, der sich nicht um einen Zentimeter bewegt hatte, starrte immer noch Mr. Rogers an. „Haben Sie das gehört? Wieso denken Sie, dass ich Sie mit der Nummer durchkommen lasse?" „Sie sind hier, um sich an Lehrern zu rächen. Dieser Junge hat nichts, aber auch rein gar nichts, damit zu tun. Deshalb denke ich, dass Sie ihre Regeln etwas anpassen müssen.", antwortete Mr. Rogers mit ruhiger Stimme.

Für ein paar Sekunden geschah gar nichts. Ich dachte schon, dass John wirklich über seine Regeln nachdachte. Doch ich hätte es besser wissen müssen. Denn im nächsten Moment holte er weit mit seiner rechten Hand aus und ließ sie mit voller Wucht auf Mr. Rogers Wange niedersausen. Das Geräusch, welches dabei entstand, war so laut, dass ich zusammenzuckte. Diese Backpfeife musste ziemlich wehgetan haben, jedoch gab Mr. Rogers keinen Laut von sich.

John trat einen Schritt zurück und blickte in Richtung der Lehrer. „Das hier ist mein Quiz, meine Rache, und ich bestimme hier die Regeln. Wenn ich der Ansicht bin, dass dieses kleine Arschloch es verdient hat zu sterben, dann werde ich ihn töten. Ihr könnt mich nicht aufhalten!", schrie er aus voller Kehle und fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare. „Habt ihr das verstanden?", brüllte er und stemmte sich die Hände in die Hüften.

Es herrschte betretenes Schweigen. Ich hielt die Luft an. Wir durften jetzt keinen Fehler mehr machen, sonst rastete er völlig aus.

John ging wieder neben dem Tisch auf und ab, was ihn zu beruhigen schien. „Ihre Antwort Mr. Rogers.", sagte er, diesmal in normaler Lautstärke.

„Ich werde nicht antworten.", erwiderte Mr. Rogers bestimmt.

„Was soll das heißen? Haben Sie mir gerade nicht zugehört?" Johns Ruhe war wie weggeblasen, er schrie wieder aus voller Kehle und hörte auf im Raum rumzulaufen.

„Ich habe Ihnen zugehört, aber ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass Jay stirbt. Er ist mit seinen siebzehn Jahren doch fast noch ein Kind.", erklärte er verzweifelt.

„Fast noch ein Kind?", fragte John ungläubig. „Dieser Junge hat sich eben als der große Beschützer seiner Schwester aufgespielt, was ja noch verständlich war. Aber dann hat er mich beleidigt und zwar nicht so wie Kinder es tun! Er hat mich regelrecht verhöhnt und jetzt muss er mit den Konsequenzen leben, oder besser gesagt mit ihnen sterben!", schrie er.

Jay, der die ganze Szene mit versteinerter Miene beobachtet hatte, zuckte bei dem Wort „sterben" zusammen. Seine Fassade begann zu bröckeln. Ich konnte, trotz der Entfernung, die Todesangst in seinen Augen sehen.

„John, entspann dich bitte und setz dich wieder neben mich. Diese Rennerei durch den ganzen Raum macht mich noch verrückt.", sagte Mr. King ruhig. „Dieser Junge hat vielleicht einen Fehler gemacht, in dem er sich über dich lustig gemacht hat, aber er hat sich in einer stressigen Situation befunden. Du hast seine Schwester bedroht und er wollte ihr nur helfen, das musst du doch verstehen."

„Sie wollen, dass ich andere Menschen verstehe? Ausgerechnet Sie? Haben Sie mich damals verstanden?", fragte John fassungslos. „Jetzt fang doch bitte nicht wieder davon an. Es ist damals nicht optimal gelaufen, das gebe ich zu, aber es ist Vergangenheit. John, du musst jetzt nach vorne sehen. Du hast schon zwei Menschen getötet, darunter ein Kind. Möchtest du wirklich noch ein weiteres Kind töten? Sieh ihn dir doch an, John! Siehst du wie jung er ist? Er hat sein ganzes Leben noch vor sich. Willst du ihm das wirklich nehmen? Und das alles nur, um dich an einem alten Mann zu rächen? Du bist der Mörder. Du bist für all das verantwortlich, nicht ich." Mr. King sah ihn eindringlich an. Er schien zu hoffen, dass er mit seiner Rede etwas bewirkt hatte.

„Wahnsinn. Das ist doch der reinste Wahnsinn!", brüllte John und schüttelte heftig mit dem Kopf. „Wie großartig Sie diese Situation analysieren können, Mr. King. Wahnsinn, wirklich. Dazu fällt mir nichts mehr ein." John atmete hörbar aus und sah zu Boden.

Nach ein paar Sekunden hob er seinen Blick wieder und ging gefährlich langsam auf Mr. King zu. „Haben Sie damals gesehen wie jung Oliver war? Haben Sie es gesehen?", er spuckte ihm die Wort förmlich ins Gesicht. Mr. King bewegte seinen Kopf instinktiv nach hinten. „Sie haben keine Rücksicht auf ihn genommen, auf sein Alter, auf seine Probleme. Nein, Sie haben ihn fertig gemacht, Stunde für Stunde, Tag für Tag. Erinnern Sie sich noch an die Stunde in der er weinend vor Ihnen stand, weil Sie sich nach dem Quiz fünf Minuten lang über ihn lustig gemacht haben? Er musste die ganze Zeit über vorne neben Ihnen stehen und sich von Ihnen beleidigen lassen, während die ganze Klasse ihn ausgelacht hat! Haben Sie eine Sekunde darüber nachgedacht wie er sich fühlt? Es war Ihnen doch scheißegal!" John machte eine Sprechpause, nahm den Stuhl, der neben ihm stand, und schmetterte ihn mit voller Wucht gegen die Wand.

Mr. King zuckte erschrocken zusammen.

„Wieso erwarten Sie von mir, dass ich Rücksicht nehme? Sie haben es doch selbst nie getan! Oliver ging es von Tag zu Tag schlechter und Sie haben immer weiter gemacht mit Ihrem Mobbing! Es war Ihnen doch scheißegal, was aus ihm wird!" John drehte sich um und sah zu uns Schülern herüber. „Wisst ihr was das Beste ist? Dieser Mann hat Oliver in den Selbstmord getrieben und statt einer Entschuldigung für sein Verhalten, sagt er vor der ganzen Klasse, dass es so besser war für ihn, weil er in seinem Leben doch sowieso niemals etwas erreicht hätte. Und danach ist Mr. King tatsächlich noch auf Olivers Beerdigung aufgetaucht, um den Schein des guten Pädagogen zu wahren. Aber lasst euch eines gesagt sein, dieser Mann ist der Teufel!" Während er sprach, war seine Stimme immer lauter geworden, sodass er am Ende beinahe geschrien hatte.

Es herrschte betretenes Schweigen im Raum und John stand dort, ein paar Meter von mir entfernt, mit hängenden Schultern. In diesem Moment erinnerte er mich an ein kleines Kind, dass von seiner Mutter getröstet werden wollte. Von dem Monster, das kaltblütig Menschen erschoss, war in nichts mehr übrig geblieben.

Oliver war also tot und John dachte, dass sein Tod Mr. Kings Schuld war. Jetzt verstand ich zumindest wieso er Mr. King so hasste. Doch ich hatte immer noch keine Ahnung wer dieser Oliver gewesen war. Sein Bruder? Sein Freund? Egal wer er war, er hatte John sehr viel bedeutet.

Das Quiz - Wer dumm ist stirbtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt