Kapitel 15

1.6K 137 4
                                    

Mr. King sah John mit weit aufgerissenen Augen an, selbst er schien nicht mit einem solchen Wutausbruch gerechnet zu haben. Im Raum herrschte immer noch betretenes Schweigen.

„Fällt euch nichts dazu ein? Hier sitzt ein Monster mitten unter euch und keiner will etwas dazu sagen?", schrie John durch den Raum. „Er hat dieses Quiz gespielt und sich nie für die Folgen interessiert! Ihm sind seine Schüler doch scheiß egal und so ein verlogenes Arschloch begegnet euch tagtäglich!", er machte eine Sprechpause und ging auf einen der Lehrer zu. „Er setzt sich jeden Morgen neben Sie und trinkt gemütlich mit Ihnen einen Kaffee vor dem Unterricht", er wendete er sich einer Schülerin zu und seine Stimme wurde ruhig, fast schon freundlich, „und dann kommt er zu dir in den Klassenraum und erzählt etwas über die Römer, das Mittelalter oder den Absolutismus. Es ist alles ganz gewöhnlich. Ein gewöhnlicher Lehrer, der seinen gewöhnlichen Unterricht macht. Doch plötzlich", Johns Stimme wurde wieder lauter, „ macht er dieses Quiz, jede Stunde, jeden Tag und obwohl er weiß, dass es falsch ist, dass die Folgen verheerend sind, macht er immer weiter. Es macht ihm sogar Spaß!" John drehte sich von dem Mädchen weg, was darüber sichtlich erleichtert war und ging direkt auf Mr. King zu und schrie: „Es hat Ihnen doch Spaß gemacht, oder?" Dies war keine Frage, denn für John stand die Antwort bereits fest.

Mr. King öffnete den Mund, doch John schnitt ihm mit einer schnellen Handbewegung das Wort ab. „Ich möchte keine von Ihren dummen Erklärungen mehr hören, die sind über die Jahre nicht besser geworden. Ich werde nun das tun wozu ich gekommen bin. Rache nehmen."

Ich sog scharf die Luft ein und hatte nur einen Gedanken: Jetzt geht es los. Was auch immer John vorhatte, und das war sicher nichts Gutes, würde jetzt beginnen. Auch Chase wirkte nun angespannter. Er drehte seinen Kopf in meine Richtung und rang sich ein Lächeln ab, die Angst, die sich hinter diesem Lächeln verbarg, war trotzdem nicht zu übersehen. Ich erwiderte sein Lächeln kurz und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf John.

Dieser wendete sich gerade von Mr. King ab und redete wieder mit uns allen: „Ihr habt ja gehört wie das legendäre Allgemeinbildungsquiz funktioniert." Es lag Verachtung und blanker Hass in seiner Stimme während er sprach. „Ich habe mir überlegt, dass wir die Gelegenheit dieses gemütlichen Zusammenkommens nutzen werden und eine Runde spielen. Natürlich habe ich mir erlaubt, die Regeln etwas anzupassen. Das ist doch kein Problem für Sie, oder?"

Er sah Mr. King an, der langsam den Kopf schüttelte. „Du machst doch sowieso was du willst, John."

„Damit haben Sie allerdings recht.", erwiderte er und ging auf die Wand zu an der die Tische aufgestapelt waren und nahm sich zwei Stühle weg. Diese stellte er in ungefähr einem Meter Entfernung zu dem Tisch ab. Als nächstes nahm er sich einen weiteren Stuhl und stellte ihn an die freie Seite des Tischs.

„Ich war mal so frei und habe das Spielfeld aufgebaut. Nun würde ich Sie, Mr. King, bitten auf einem der Stühle platz zu nehmen", er zeigte auf die beiden Stühle in einiger Entfernung zum Tisch standen, „und außerdem möchte ich, dass sich alle Schüler auf diese Seite der Wand", er deutete auf meine Seite, „und dass sich alle Lehrer auf die andere Seite setzen."

Die Menschen, die sich auf der falschen Seite befanden, standen nun auf und durchquerten den Raum, was zu einer allgemeinen Unruhe führte. Einige fingen an sich zu unterhalten oder wechselten ihren Platz, obwohl sie sich bereits auf der richtigen Seite befanden. Ich hingegen blieb einfach ruhig sitzen und wartete. So ganz konnte ich immer noch nicht begreifen, was hier passierte.

Vor ein paar Stunden hatte ich noch mit meiner Familie gemütlich beim Frühstück gesessen und über das Footballspiel heute Nachmittag geplaudert und nun saß ich hier inmitten von Menschen, die ich kaum kannte, obwohl sie mir jeden Tag begegneten.

Ob meine Eltern wohl schon wussten was hier gerade los war? Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie Mom mit kreideweißem Gesicht den Telefonhörer sinken ließ und sofort zu Dad auf die Arbeit fuhr, um ihm von dem Amoklauf zu erzählen. Dad ging nämlich nie ans Telefon während er arbeitete. Er war einfach so vertieft in seinen Job, dass er das Klingeln überhörte. Gemeinsam würden sie dann wahrscheinlich zur Schule fahren und Mom würde alle zehn Minuten einen Polizisten fragen, ob es Neuigkeiten gab. Ich musste lächeln bei dem Gedanken. Mit ihrer Ungeduld war sie schon vielen Menschen auf die Nerven gegangen. Meine Großmutter hatte mir einmal erzählt, dass sie Mom als Kind die gleiche Frage nur drei Mal am Tag beantwortet hatte, damit sie aufhörte hundert Mal Fragen wie: „Wann sind wir endlich da?" zu stellen. Obwohl Mom keine Antwort bekam, hatte sie immer wieder nachgefragt und daran hatte sich bis heute nichts geändert.

Allmählich kehrte wieder Ruhe im Raum ein, jeder schien sich hingesetzt zu haben. John nickte zufrieden. „Sehr schön, wie ich sehe haben alle einen schönen Platz gefunden. Ich hoffe ihr seid zufrieden mit eurer Sitzplatzwahl, denn das Quiz kann etwas länger dauern. Deshalb setze ich mich auch mal hin, während ich euch die Regeln erkläre." John machte eine Kunstpause und ging gemächlich zu Mr. King herüber, um sich auf den Stuhl neben ihm zu setzen. „Ihr seht ja den Tisch in der Mitte. Es wird sich an jede Seite des Tischs jeweils ein Lehrer setzen, denn heute sind die Lehrer die Teilnehmer. Ich werde dann genau fünf Fragen stellen, aber nicht nur geschichtliche Fragen, das wäre ja langweilig. Meine Fragen betreffen alle Fächer: Englisch, Sozialkunde, Mathematik, Kunst, Religion, wirklich alles! Wer schneller ist und mir die richtige Antwort gibt, bekommt einen Punkt. Wenn man jedoch die falsche Antwort gibt, bekommt der Gegner einen Punkt. Wer am Ende die meisten Punkte hat gewinnt und darf sich wieder an die Wand setzen. Die andere Person.", John zog seine Waffe hervor und lud sie durch, „darf mit meiner kleinen Freundin Ruby Bekanntschaft machen."

Ich riss erschrocken die Augen auf, das konnte er doch nicht ernst meinen. Er wollte Menschen töten, nur weil sie die Antwort auf ein paar dämliche Fragen nicht wussten? Das konnte er nicht tun, das durfte er nicht tun. Wir müssen ihn aufhalten!

Ich sah Chase an und er erwiderte meinen Blick mit einem leichten Kopfschütteln. „Wir können nichts tun, Zoe. Wir müssen auf Hilfe warten. Die Polizei steht bestimmt schon vor dem Gebäude.", flüsterte er, doch ich konnte ihm ansehen, dass er es selbst nicht glaubte. „Wenn wir nichts tun, werden Menschen sterben.", flüsterte ich zurück, während mir eine einsame Träne die Wange herunterkullerte. „Ich weiß. Aber wenn wir etwas tun, werden noch viel mehr Menschen sterben."

Das Quiz - Wer dumm ist stirbtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt