Ich atmete einmal tief durch. Mit einer solchen Geschichte hatte ich wirklich nicht gerechnet. Mr. King hatte einen Schüler gezielt fertig gemacht und dazu gebracht sich umzubringen. Dabei wirkte er so verständnisvoll und hilfsbereit. War das wirklich alles nur Fassade? Ich atmete noch einmal tief durch, in der Hoffnung mich zu beruhigen. Die ganze Zeit über hatte ich John für ein unberechenbares, krankes Monster gehalten, doch so einfach war die Situation nicht. Natürlich war sein Verhalten grausam und falsch, jedoch konnte ich seine Motive verstehen. Eines stand zumindest fest, Mr. King war hier definitiv nicht das Opfer, sondern nur ein weiterer Täter. Er hatte dafür gesorgt, dass jemand sich das Leben genommen hatte und Johns Leben hatte er gewissermaßen auch zerstört. Dieser ganze Scheiß würde nicht sattfinden, wenn Mr. King damals anders gehandelt hätte.
Ich blickte im Raum umher. Die Lehrer saßen dicht beieinander an der Wand, ihre Gesichtsausdrücke reichten von schockiert bis versteinert. John hatte sich noch immer nicht bewegt und kauerte auf seinem Stuhl. Mr. King hingegen stützte sich mit seinen Ellenbogen auf den Beinen ab und hatte seinen Kopf auf seine Hände gestützt. Er sah nach unten, ihm war die Situation sichtlich unangenehm. Jay und Mr. Rogers starrten sich gegenseitig an und Chase neben mir hob den Blick als ich ihn ansah.
„Damit habe ich nicht gerechnet.", flüsterte er tonlos. „Ich auch nicht.", gab ich zurück. „Was machen wir jetzt?", fragte ich und versucht meine Stimme nicht allzu verzweifelt klingen zu lassen. „Wie wär's, wenn wir versuchen John davon zu überzeugen Mr. King abzuknallen und den Rest laufen zu lassen? Der Typ ist wirklich ein Schwein."
Chase hatte recht, Mr. King war ein Schwein, trotzdem hatte er es nicht verdient zu sterben. Ich schüttelte leicht den Kopf. „Tut mir leid, das war unpassend. Aber John hat ein Motiv und zwar ein verdammt gutes. Das was Mr. King getan hat ist unverzeihlich und John möchte sich rächen. Ihm wurde nie zugehört, der Direktor und selbst seine Eltern, standen auf der Seite von Mr. King. Er möchte sich ein Sprachrohr verschaffen und das tut hiermit. Er hat sich sogar ein ziemlich gutes Sprachrohr verschafft. Die ganze Stadt wird ihm zuhören. Wenn er das hier wirklich durchzieht, tötet er über dreißig Menschen. Daran wird man sich noch in zwanzig Jahren erinnern und damit hätte er sein Ziel erreicht. Jeder weiß was für ein Arschloch Mr. King ist, dass er selbst als Straftäter in die Geschichte eingeht, interessiert ihn nicht. Zoe, wir können ihn nicht aufhalten. Ihm ist egal was mit ihm passiert solange Mr. King leidet."
Es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht, John hatte bereits gewonnen. In dem Moment, in dem er die Schule betreten hatte, hatte er schon gewonnen. Wir konnten nur noch versuchen so viele Leben wie möglich zu retten, aber die Tatsache, dass John sein Ziel erreicht hatte, ließ sich nicht mehr ändern. Er wollte nur auf Mr. Kings Fehlverhalten aufmerksam machen und das hatte er hiermit getan.
Ich verstand meinen eigenen Gedankengang in diesem Moment nicht. Wieso störte es mich so sehr, dass John sein Ziel erreicht hatte? Es konnte mir doch egal sein, solange keine Menschen mehr starben, oder? Ich schüttelte den Kopf, um mich von diesen Gedanken zu befreien.
„Was tun wir jetzt, Chase?", fragte ich noch einmal und dieses Mal hörte man die Verzweiflung deutlich aus meiner Stimme heraus. „Abwarten was passiert.", antwortete er und genau das taten wir dann auch.
Zunächst geschah nicht viel. Niemand traute sich zu sprechen oder aufzustehen. Doch nach ein paar Minuten erhob John sich von seinem Stuhl. Seine Augen waren rot und sein Gesicht war nass von den Tränen. Er wischte sich mit seinem Arm übers Gesicht und versuchte danach seine Haare wieder in Ordnung zu bringen, die ihm wild vom Kopf abstanden.
„So, nachdem ihr alles wisst, könnt ihr vielleicht besser verstehen, wieso ich das hier tue.", seine Stimme zitterte und klang etwas unsicher, das hatte ich bei ihm zuvor noch nie bemerkt. „Ich wäre dann so weit. Wir können weitermachen."
Es war totenstill, abgesehen von John bewegte sich niemand. Dieser ging jedoch zum Tisch und setzte sich neben Mr. King auf den Stuhl.
„Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, richtig. Die Erschießung. Mr. Rogers, da sie mir ja keine Antwort geben wollen, werde ich sie mit Jay zusammen erschießen. Ist das nicht fair?", sagte er mit fester Stimme.
Was? Er kann doch jetzt nicht einfach dort weitermachen wo er aufgehört hat! Vor ein paar Sekunden saß er noch wie ein verängstigtes Kind auf dem Stuhl und jetzt will er Menschen erschießen. Das ist doch krank!
Mr. King hob langsam den Kopf und musterte John ungläubig. „Ist das dein ernst? Du hast mich doch schon bloßgestellt. Reicht dir das nicht? Müssen wirklich weitere Menschen sterben? Du hattest doch deine Rache! Was soll das hier denn noch?" Seine Stimme war immer lauter geworden, sodass er am Ende schrie.
„Das kann ich Ihnen sagen. Jetzt wo alle wissen wer die Schuld an dem Ganzen hier trägt, wird man Sie mit jedem Toten mehr hassen und diesen Hass sollen Sie spüren.", erwiderte John ruhig.
„Du hast doch von Anfang an gesagt, dass ich an allem schuld bin! Was hat sich denn jetzt geändert?", brüllte Mr. King.
„Alles. Alles hat sich geändert. Vorhin hat mir doch niemand geglaubt, aber jetzt wissen alle was Sie getan haben. Sie kennen die ganze Geschichte. Sehen Sie sich doch um. Sehen Sie die verachtenden Blicke Ihrer Kollegen? Die Abscheu in den Augen Ihrer Schüler? Jetzt macht die ganze Sache doch erst richtig Spaß, da jeder weiß wen er für all das verantwortlich machen muss." John lachte höhnisch. „Und das erste was ich tun werde, ist diese beiden", er zeigte auf Mr. Rogers und Jay, „zu erschießen. Ist das nicht großartig?"
DU LIEST GERADE
Das Quiz - Wer dumm ist stirbt
Mystery / ThrillerEin grauer Wintermorgen. Eine ganz normale Schule. Eine ganz normale Kleinstadt. Klingt ziemlich langweilig, oder nicht? Ein Mann stürmt das Gebäude. Er versammelt alle Lehrer und einige der Schüler im Lehrerzimmer. Er veranstaltet ein Quiz. Stel...