Kapitel 34

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Ich sah hilfesuchend zu Chase, der mich anlächelte, als er meinen Blick bemerkte. Chase hob seine Hände auf die Höhe seine Knie, drehte sie kurz nach rechts und nach links, um mir zu zeigen, dass er nichts in der Hand hielt. Dann umschloss er mit den Fingern der jeweiligen Hand den Daumen. Sein Mund formte die Worte „Du schaffst das." Ich musste lächeln, ohne ihn wäre ich nicht so weit gekommen. Wahrscheinlich würde ich immer noch heulend an der Wand sitzen und hätte nicht einmal mitbekommen, dass John überhaupt mit uns gesprochen hatte.

Ich drängte den Gedanken zur Seite. Volle Konzentration war jetzt das Wichtigste. Ich betrachtete Mr. King und wartete darauf, dass er die alles entscheidende Frage stellte.

„Ich stelle nun die letzte Frage.", sagte Mr. King.

John nickte einmal und starrte dann auf den Tisch.

Ich atmete zum letzten Mal tief durch. Hoffentlich hatten wir Glück.

„Wann fand die Reichspogromnacht statt?", fragte Mr. King.

John starrte immer noch auf die Tischplatte, seine Gesichtszüge verreiten nichts.

Konzentrier dich auf die Frage, Zoe!, ermahnte mich eine Stimme in meinem Kopf. Okay, ich hatte schon mal davon gehört. Hitler hatte seine Leute in dieser Nacht Juden ermorden und deportieren lassen. Ich glaube er hatte sogar viele Gebäude, die den Juden gehörten, zerstört. Wann war das nur? Es musste vor Kriegsbeginn geschehen sein, danach hatte er bestimmt andere Dinge zu erledigen.

Plötzlich viel mir wieder etwas aus dem Geschichtsunterricht ein. Es gab einen Tag an dem in vier verschieden Jahren wichtige Dinge in Deutschland passiert sind. Sie fielen alle auf den gleichen Tag. Es geschah nur in unterschiedlichen Jahren.

Denk nach! Ich erinnerte mich noch daran wie Mr. King uns in der Stunde vor dem Test all diese Daten in einer Tabelle an die Tafel geschrieben hatte. Es war irgendetwas mit einer Mauer, die Ausrufung der Weimarer Republik, die Reichpogromnacht und das letzte fiel mir nicht ein. Aber das war jetzt auch egal. Ich brauchte den Tag!

Die Mauer! Mein Vater hatte mir davon erzählt! Die hatte auch im kalten Krieg eine Rolle gespielt, das wusste ich von Mr. Lee. Ich verdrängte den Gedanken an ihn sofort und zwang mich genauso wie John auf die Tischplatte zu starren und bloß nicht auf Mr. Lees Leiche zu schauen.

Der kalte Krieg endete 1990 und die Mauer viel kurz vorher.

Wann war das bloß?

Mir fiel die richtige Antwort einfach nicht ein. Ich sah zu John hinauf, er starrte noch immer auf den Tisch.

Los, Zoe.

09.11.1989. Das war der Tag des Mauerfalls! Also war es auch der Tag der Reichspogromnacht. Jetzt brauchte ich nur das Jahr.

Okay, das bekam ich irgendwie auch noch hin. Die Machtergreifung der Nazis war 1933, wenn mich nicht alles täuschte. Der zweite Weltkrieg begann irgendwann 1939. Im November war bestimmt schon Krieg...

Ich hätte diese Daten wirklich besser lernen sollen, verdammt!

„Weiß niemand die Antwort?", fragte Mr. King und sah John und mich abwechselnd an.

„Sonst hätte ich mittlerweile was gesagt, oder?", antwortete John gereizt.

„Und was ist mit dir, Zoe?", fragte er.

Wenn ich jetzt etwas Falsches sagen würde, hätte ich verloren. Sollte ich es riskieren?

Ich beschloss alles auf eine Karte zu setzen und sagte: „Die Reichspogromnacht war am 09.11.1938."

Bitte, lass das richtig sein., dachte ich und faltete meine Hände im Schoß zusammen.

„Das ist richtig!", sagte Mr. King. „Du hast gewonnen!" Er grinste mich an.

Was? Ich hatte es geschafft. Ich hatte es tatsächlich geschafft!

Ein lauter Rums ließ mich zu John blicken. Er war aufgesprungen und hatte dabei seinen Stuhl umgeworfen. „Das ist nicht wahr!", schrie er. „Sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist!" Er stürmte auf Mr. King zu, dieser hob abwehrend die Hände. „Sie hat die Frage richtig beantwortet, John. Sie hat gewonnen.", erwiderte er so ruhig wie möglich.

„Nein, das kann nicht sein!", brüllte er und schüttelte wild den Kopf. Dann packte er Mr. King bei den Schultern und schüttelte ihn. „Sagen Sie mir, dass Sie gelogen haben. Ich habe nicht verloren! Dieses Mal nicht!" Seine Stimme brach und ihm liefen Tränen übers Gesicht.

„John, sie hat gewonnen. Halte dich jetzt bitte an deinen Teil der Abmachung und stell dich der Polizei." Mr. King sprach ruhig und das obwohl John ihn noch immer an den Schultern festhielt.

„Das werde ich nicht tun!" John ließ Mr. King los, hob den Tisch hoch und schleuderte ihn einmal quer durch den Raum, sodass er in dem Stapel aus Tischen und Stühlen landete und diesen zum Einsturz brachte. Der Stapel mit lautem Poltern um und nahmen nun gut ein Fünftel des Raumes ein. Zum Glück saß niemand so nah an der Wand, dass er verletzt wurde.

John stand unmittelbar vor mir und sah mich mit zornigem Blick an. Er wird mich umbringen.

„John", sagte Mr. King und John drehte sich zu ihm um. Ich ergriff meine Chance, stand auf und ging so leise wie möglich auf Chase zu.

„Lass sie in Ruhe, sie" Weiter kam er nicht, denn plötzlich flog die Tür mit einem lauten Krachen auf. Ich wendete mich wieder um. Es stürmten immer mehr bewaffnete Polizisten in den Raum. Es ging so schnell, dass ich sie gar nicht zählen konnte. Ich war so fasziniert von dem Anblick, dass ich mich nicht um einen Millimeter bewegte.

„Zoe!", schrie Mr. King und riss mich damit aus meiner Starre. Ich drehte mich zu ihm um und sah, dass John, der neben ihm stand, seine Waffe auf mich gerichtet hatte.

Das war's., war mein einziger Gedanke. Ich hatte keine Angst, aber auch keine Hoffnung mehr. Das Glück war mir während des Quizes treu geblieben, doch jetzt war es fort. Es hatte mich im Stich gelassen.

Ich sah wie er den Abzug betätigte und die Kugel auf mich zuflog.

Um mich herum wurde alles schwarz.

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