Kapitel 4

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„Pass doch auf du Idiot!", rief jemand. „Was kann ich denn dafür, wenn der ganze Scheiß umfällt!", antwortete Chase ihm. „Du hast den letzten Tisch draufgestellt, also bist du auch dran schuld, wenn alles umfällt!"

„Jungs, es reicht!", schrie Mr. Lee und es wurde schlagartig ruhig, bis auf den Alarm, der immer noch lief. „Das funktioniert so nicht. Wir stehen uns hier alle gegenseitig im Weg rum. Am besten setzten sich jetzt alle hin. Ich mache das hier mit einer freiwilligen Person fertig, dann sind wir auch leiser und lenken keine Aufmerksamkeit auf uns.", fuhr er etwas ruhiger fort. „Ich kann Ihnen helfen.", bot Chase an. „Gut, Dankeschön Chase. Der Rest setzt sich jetzt hin."

Nachdem alle saßen begannen die beiden die Tische erneut zu stapeln. Mittlerweile hatte ich freie Sicht auf sie, da das Mädchen vor mir etwas zur Seite gerückt war. Ich beobachtete wie Chase in aller Ruhe einen Tisch auf den anderen stellte. Er schien kein bisschen angespannt zu sein. Wie konnte er sich in dieser Situation nur so ruhig verhalten? Wenn wir Pech hatten, würden wir alle sterben und das ziemlich bald. Ich musste ein Schluchzen unterdrücken. Der Gedanke, dass ich in den nächsten Minuten sterben könnte, schnürte mir fast die Kehle zu. Wieso wollte jemand unseren Tod? Wer tut denn so etwas?

Je länger ich darüber nachdachte wie schnell alles vorbei sein konnte, desto heftiger begann ich zu zittern und spürte Tränen in mir aufsteigen. Ich konnte sie nicht länger zurückhalten und machte mir auch gar nicht erst die Mühe sie wegzuwischen, denn ich wusste, dass immer wieder neue nachfließen würden.

Es gab nichts Schrecklicheres als den Gedanken an den eigenen Tod. Ich hatte noch so viel in meinem Leben vor, waren diese ganzen Pläne wirklich umsonst? „Zoe, beruhige dich. Es wird uns schon nichts passieren.", sagte ich Ash und legte in einer beruhigenden Geste ihre Hand auf meine Schulter. „Selbst wenn es kein Fehlalarm ist heißt es noch lange nicht, dass der Amokläufer in diesen Raum kommt.", fügte sie mit leiser Stimme hinzu. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich oder sich selbst überzeugen wollte.

„Es ist kein Fehlalarm, das weißt du und das weiß ich. Wir werden sterben.", den letzten Teil flüsterte ich nur noch, doch ich sah durch meinen Tränenschleier hindurch wie sie bei dem Wort „sterben" zusammenzuckte. Sie nahm behutsam ihre Hand von meiner Schulter, um dann ihre Hände in ihrem Schoß zu falten. Ash gab mir keine Antwort mehr, sondern starrte nur noch stumm auf die Hände, die in ihrem Schoß lagen.

Die nächsten Minuten weinte ich einfach und hing meinen negativen Gedanken hinterher, doch das zog mich nur noch mehr runter. Ich konnte schon vor meinem inneren Auge sehen, wie ein schwarzgekleideter Mann in den Raum stürmte und uns alle einfach umbrachte, ohne mit der Wimper zu zucken. Um dieses Bild verschwinden zu lassen, wischte ich mir die Tränen aus den Augen und sah mich im Raum um.

Inzwischen saßen alle, abgesehen von Chase und Mr. Lee, auf dem Boden und hatten die Beine angewinkelt. Einige hatten ihren Kopf in den Händen vergraben und weinten stumm, andere hingegen umarmten sich. Währenddessen versuchten Chase und Mr. Lee die Tische aufeinander zu stapeln, doch sie fielen immer wieder herunter, was ziemlichen Lärm verursachte. Ich sah den beiden eine Weile zu, um mich abzulenken. Doch sie schafften es einfach nicht die Tische so zu stapeln, dass keiner mehr runterfiel.

Ich fragte mich ohnehin, was diese Mauer nutzen sollte. Wenn Chase und Mr. Lee drüber klettern konnten, würde ein Amokläufer es auch schaffen. „Das hat doch keinen Zweck. Die Mauer wird nicht mehr höher. Das verursacht nur Lärm." Plötzlich waren alle Blicke auf mich gerichtet. Hatte ich meine Gedanken gerade laut ausgesprochen? Chase musterte mich mit einem bösen Blick, was meine Vermutung bestätigte. Oh Gott Zoe, halt doch einfach einmal in deinem Leben die Klappe, dachte ich, genervt von mir selbst. Doch es half nichts, die Blicke meiner Klassenkameraden waren immer noch auf mich gerichtet. Also musste ich meine Äußerung erklären. „Wenn wir so laut sind, wird er uns finden und diese Mauer wird ihn sowieso nicht aufhalten."

„Hast du eine bessere Idee?", entgegnete Chase wütend und bedachte mich mit einem bösen Blick. „N... Nein, setzt euch jetzt hier hin und dann warten wir einfach ab. Mehr können wir doch sowieso nicht tun. Aber wenn ihr so weitermacht, dann seid ihr daran schuld, wenn er uns findet.", entgegnete ich. Meine Stimme zitterte bei jedem Wort.

„Wir sind daran schuld? Ich mache zumindest überhaupt etwas, anstatt mich heulend in eine Ecke zu setzten!", schoss er zurück. Damit hatte er mich getroffen. Schließlich saß ich gerade wirklich weinend in der Ecke. Ich sah zu Boden, um so seinem wütenden Blick zu entgehen und ihm nicht antworten zu müssen.

„Kannst du bitte etwas leiser sein, Chase? Dein Geschrei hört man bestimmt bis auf die Straße.", versuchte Mr. Lee ihn zu beruhigen. „Wir setzen uns jetzt auch auf die andere Seite der Tische, das hier bringt wirklich nichts.", es schwang eine ordentliche Portion Autorität in seiner Stimme mit, doch Chase entschied sich trotzdem zu widersprechen: „Nein, so lange ich sie", er zeigte mit dem Finger auf mich, „noch sehen kann, ist diese Mauer nicht hoch genug!" Von seiner guten Erziehung ist ja nicht mehr viel übrig. Von wegen nett.., dachte ich bitter.

„Chase, ich diskutiere jetzt nicht mit dir. Der Mauerbau ist hiermit beendet.", mit diesen Worten kletterte Mr. Lee über die Tische und setzte sich zu uns auf den Boden. Ich sah Chase an, was ihn dazu veranlasste in eine andere Richtung zu sehen.

Da er nicht alleine weiterbauen konnte, gab er sich geschlagen und kam auch zu uns herüber. Chase setzte sich möglichst weit von mir weg und starrte mich finster an. Was für ein verzogener reicher Bengel er doch war. Das hätte ich mir eigentlich gleich denken können. Er kleidete sich wie mein Opa und das Erste was er erzählte war, dass sein Vater in einem renommierten Krankenhaus arbeitete. So ein Spinner.

Ich wich seinem Blick aus und sah stattdessen einfach nach unten, da ich ihn nicht noch weiter provozieren wollte. Wir befanden uns nämlich in einer verdammt beschissenen Situation und ich hatte keine Lust einen Streit vom Zaun zu brechen. Es war jetzt viel wichtiger herauszufinden, was wir in dieser Situation tun konnten und mich beschlich das Gefühl, dass niemand in diesem Raum einen Plan hatte. Die Auseinandersetzung mit Chase hatte mich zwar kurz von meiner Angst abgelenkt, doch ich merkte wie sie sich wieder in meine Gedanken schlich. Wir mussten einfach eine Lösung finden!

Denk nach Zoe, denk nach.

Doch mir viel einfach nichts ein. Normalerweise konnte ich in ein paar Minuten jedes Problem lösen, doch das hier war leider keine Matheaufgabe und auch keine Beziehungskrise einer Freundin. Das hier war die knallharte Realität und in dieser gab es keinen logischen Rechenweg, oder dir perfekte Ausrede, um ein weiteres Date zu verhindern. Es gab hierfür keinen hundertprozentig sicheren Lösungsweg, denn etwas konnte immer schiefgehen und einen zweiten Versuch würden wir in diesem Fall nicht haben. Keine Panik, ermahnte ich mich.

In Gedanken ging ich verschiedene Möglichkeiten durch und arbeitete Pläne aus, nur um sie Sekunden später wieder zu verwerfen. Wir hatten sowieso keine Chance. Hier zu warten bis alles vorbei war, war die sicherste Variante. Natürlich könnten wir versuchen uns aus dem Gebäude zu schleichen, doch wir würden höchstwahrscheinlich dem Amokläufer direkt in die Arme laufen und das war das Schlimmste was passieren konnte. Genau das mussten wir unbedingt verhindern. Ich war gerade einfach nicht in der Lage einen guten Plan auszuarbeiten. Die Angst schien mein Gehirn lahmzulegen. Hoffentlich würde, das nicht so bleiben.

Wir saßen hier alle auf engstem Raum zusammengequetscht, waren verängstigt und versuchten verzweifelt Ruhe zu bewahren, was auch nur den wenigsten gelang. Irgendetwas mussten wir doch tun können!

„Was sollen wir jetzt tun?", fragte Ash in die Runde und ich hatte absolut keine Antwort auf diese Frage, da ich mir selbst seit einigen Minuten den Kopf darüber zerbrach.

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