Ich nutzte die Zeit, um mich im Raum umzusehen. Es saßen fast alle Lehrer der Schule hier und noch viel mehr Schüler. Was hat dieser Kerl vor?
Eine unbekannte Stimme riss mich aus meinen Gedanken: „Was ist eben passiert? War das etwa ein Schuss?", fragte ein Lehrer.
„Ja, war es. Ich wollte ihm die Waffe abnehmen und dann hat sich plötzlich ein Schuss gelöst und dann...", Mr. Lee brach ab, schlug sich verzweifelt die Hände vors Gesicht und rieb sich die Augen. Als er wenige Sekunden später wieder aufsah und die Hände vom Gesicht wegnahm, waren seine Augen rot und hatten einen leichten Tränenschleier. „Sie ist auf den Boden gefallen und er hat sie schneller aufgehoben.", während Mr. Lee sprach war seine Stimme monoton und er starrte ausdruckslos die Wand an.
„Er hat dir nichts getan?", fragte der Lehrer von eben verwundert.
„Nein, aber...", Mr. Lee schluckte schwer, „Aber ich bin sein erster Kandidat. Was auch immer das heißen mag.", die letzten Worte waren so leise, dass ich mich wirklich bemühen musste, sie zu verstehen.
„Kandidat? Kandidat bei was? Dieser Typ wird ja immer gruseliger. Wir müssen hier raus und dazu brauchen wir einen Plan!", mischte sich ein Junge aus meinem Jahrgang ein. Er schaute mit einem fragenden Blick in die Runde, doch niemand antwortete ihm.
„Wir sollten etwas unternehmen. Er wird nicht mehr lange brauchen, um die restlichen Leute zu holen. Unsere Zeit läuft ab. Noch haben wir die Chance etwas zu tun, bevor dieser Spinner mit weiß-der-Teufel-was beginnt. Ich möchte das hier gerne überleben und wenn es euch genauso geht, müssen wir etwas tun!", am Ende schrie er beinahe.
Was stellt er sich denn vor? Was können wir bitte gegen einen bewaffneten Mann tun? Mr. Lee hat ihm doch gerade erzählt, dass wir keine Chance haben! Aber mit dem richtigen Plan hätten wir vielleicht doch eine...
„Was ist dein Plan Alex?", fragte jemand. Die Stimme kam mir bekannt vor, doch ich wusste nicht sofort wer es war. Als ich mich in die Richtung drehte, aus der die Stimme gekommen war, sah ich Amy. Natürlich, ich kannte ihre Stimme noch von heute Morgen, als sie mich nach dem Interview gefragt hatte. Das schien nun Jahre her zu sein. Sie saß ein paar Meter von mir entfernt und hatte sich entspannt an die Wand gelehnt. Ihr Make-Up war nicht verlaufen, also hatte sie nicht geweint, ganz im Gegensatz zu mir.
Ich begann den Raum nach weiteren bekannten Gesichtern abzusuchen, vielleicht waren ja ein paar meiner Freunde hier. Ich spürte wie Hoffnung in mir aufstieg. Hoffnung, das hier nicht allein durchstehen zu müssen und mit jemandem reden zu können.
Ich entdeckte fast alle Lehrer, die ich kannte und ein paar Jungs aus dem Footballteam, doch niemanden mit dem ich regelmäßig Kontakt hatte. Niemanden mit dem ich hätte reden können. Niemanden der mich hätte beruhigen können.
Alex ergriff wieder das Wort: „Wenn er zurückkommt, stürzt sich einfach jemand auf ihn sobald er die Tür aufschließt."
Ist das sein Ernst? Sich einfach auf ihn stürzen? Der Mann hat eine Waffe in der Hand! Wir können von Glück reden, dass Mr. Lee nichts passiert ist. Nächstes Mal reagiert dieser Typ bestimmt nicht so entspannt.
„Das ist eine schlechte Idee, der Typ hat eine Waffe.", sagte Amy. „Wir sollten uns lieber Gedanken darüber machen wieso er das Ganze hier tut. Er muss einen Grund haben und erst wenn wir diesen Grund kennen, können wir richtig handeln!", setzte sie hinzu.
„Bis wir seine Gründe kennen, hat er uns doch schon längst alle umgebracht! Wir müssen etwas unternehmen und zwar sofort, nicht erst in einem Jahr! Dann ist es zu spät, dann sind wir alle tot! Wieso verstehst du das nicht, Amy?", Alex redete sich nun richtig in Rage. „Wenn er das nächste Mal durch diese Tür tritt", er zeigte mit seinem Finger zur Tür, „dann werde ich mich auf ihn stürzen. Ihr könnt mir entweder helfen oder hier weiterhin dumm rumsitzen und auf euren eigenen Tod warten!"
Für ein paar Sekunden war es still, Alex Worte schienen alle zum Nachdenken zu bringen.
Nach und nach begannen die Leute zu murmeln, sie unterhielten sich leise mit ihren Freunden und Bekannten. Sie schienen abzuwägen, was die sinnvollere Methode wäre. Kämpfen oder warten.
Kämpfen oder warten? Ich will hier raus, aber zu welchem Preis? Wie viele von uns sterben, wenn wir diesem Plan folgen? Was ist überhaupt der Plan? Wie soll ich denn klar denken können, wenn jeden Moment ein bewaffneter Mann den Raum betreten kann? Wie? Ich schlug frustriet mit der Faust auf den Boden. Ich hatte absolut keine Ahnung was richtig und was falsch war. Wie sollte ich mich denn in so einer Situation entscheiden?
Nach ein paar Minuten legten sich die Gespräche, anscheinend hatte jeder seine Entscheidung getroffen. „Okay, ich vermute ihr habt euch entschieden. Jeder der mir helfen möchte kommt jetzt zu mir. Wer auf seinen Tod warten möchte, setzt sich zu Amy.", befahl Alex.
„Findest du nicht, dass das zu weit geht? Wir sitzen alle im selben Boot. Es ist nicht gut, wenn wir uns in zwei Gruppen spalten.", sagte ein Lehrer, der schon etwas älter aussah.
„Wenn nicht alle einer Meinung sind, muss man sich halt spalten. Wo ist denn da das Problem?" Alex zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Wir haben ein gemeinsames Problem und das sollten wir auch gemeinsam lösen.", erwiderte der Mann.
„Das sehe ich etwas anders. Also entscheidet euch für eine Seite.", forderte Alex erneut auf.
Der Mann schüttelte zwar den Kopf, jedoch sagte er nichts mehr.
Die meisten anderen standen auf und durchquerten den Raum, auch Chase. Er ging hinüber zu Alex, so wie die meisten, die aufgestanden waren. Kaum jemand setzte sich zu Amy.
Es hatten schon fast alle eine Entscheidung getroffen, alle außer mir. Ich saß noch immer auf meinem Platz und wusste nicht was ich tun sollte. Konzentrier dich, Zoe. Du willst hier raus und wenn der Plan gelingt, sind wir alle frei. Aber was ist, wenn er schiefgeht? Schießt er dann wild um sich? Werden wir sterben? Werde ich sterben? Sterben wir nicht sowieso alle, wenn wir nichts tun?
Ich sah hilfesuchend zu Mr. Lee, der noch neben mir saß. Er schaute immer wieder zwischen Amy und Alex hin und her. Auch er schien sich unsicher zu sein. „Was machen Sie?", flüsterte ich ihm zu.
Er sah mich mit verwirrtem Blick an. „Ganz ehrlich, Zoe, ich habe keine Ahnung. Er hat gesagt, dass ich sein erster Kandidat bin. Wenn ich nur wüsste bei was, dann würde mir die Entscheidung vielleicht leichter fallen." Er schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Wir sitzen abseits, also quasi auf keiner Seite. Ich glaube ich bleibe hier sitzen und warte ab. Ich kann mich einfach nicht entscheiden.", antwortete ich ihm.
Mr. Lee fuhr sich nervös mit der Hand durch seine Haare und sah mich dann an. „Er hat mir vorhin persönlich gedroht. Da heißt, wenn wir ihn nicht überlisten, bin ich tot. Ihn anzugreifen ist meine einzige Chance. Pass auf dich auf, Zoe." Er stand auf und ging rüber zu Alex. Ich flüsterte ihm ein leises „Tschüss" hinterher, doch er hörte es nicht mehr.
Super, die letzte Person, die noch bei mir war, ist weg. Soll ich mich doch einer Seite anschließen?
Ich sah mich um. Abgesehen von mir hatte sich wirklich jeder für eine Seite entschieden und Alex hatte definitiv mehr Leute auf seiner Seite. Wir würden den Amokläufer also angreifen und meine Entscheidung war für das Ergebnis nicht wichtig, also blieb ich auf meinem Platz sitzen.
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Das Quiz - Wer dumm ist stirbt
Mystery / ThrillerEin grauer Wintermorgen. Eine ganz normale Schule. Eine ganz normale Kleinstadt. Klingt ziemlich langweilig, oder nicht? Ein Mann stürmt das Gebäude. Er versammelt alle Lehrer und einige der Schüler im Lehrerzimmer. Er veranstaltet ein Quiz. Stel...