Kapitel 21

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John blieb unmittelbar vor meinen Füßen stehen und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen herausfordernd an. Ich wollte den Blick abwenden, doch ich wusste, dass mir das nicht helfen würde. Im Gegenteil, es würde nur dafür sorgen, dass er sich noch stärker fühlte und mich noch mehr quälte, als er es ohnehin schon vorhatte.

Zum ersten Mal stand er so dicht vor mir, dass ich in seine Augen sehen konnte. Die Augen sagten so viel über einen Menschen aus und seine waren blau. Jedoch hatten sie kein strahlendes Saphirblau. Nein, seine Augen waren kalt wie Eis. Ich hatte das Gefühl, dass im nächsten Moment Pfeile aus diesen ihnen schießen und mich mitten ins Herz treffen würden. Es geschah ein paar Sekunden lang gar nichts, wir starrten uns nur gegenseitig in die Augen.

Plötzlich hörte ich neben mir ein lautes Schluchzen und drehte mich gleichzeitig mit John nach links um. Ein paar Meter neben mir saß ein Mädchen mit langen braunen Haaren, das ihren Kopf auf die Knie gelegt hatte, und bitterlich weinte. Ihre langen braunen Haare reichten fast bis auf den Boden und verteilten sich um ihren ganzen Körper herum.

Ich schielte leicht zu John herüber, da ich wissen wollte wie er auf die Situation reagierte und sah aus dem Augenwinkel wie er selbstgefällig grinste und dann auf das Mädchen zuging. Das würde bestimmt nicht gut für sie enden. Trotzdem atmete ich auf. Ich war zunächst einmal aus dem Schneider.

John ging vor ihr in die Hocke. „Alles in Ordnung bei dir?", fragte er sanft. Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen und riss den Kopf in die Höhe. Sie schien nicht bemerkt zu haben, dass John unmittelbar vor ihr saß. Dieser grinste nun leicht und legte seinen Kopf schief. „Was ist los? Wieso schaust du mich denn so erschrocken an?"

„Ja... Jay, hilf mir.", schluchzte sie und hielt mit den Händen ihr Gesicht zu.

Lilly, das war Lilly. Wir kannten uns flüchtig von ein paar Partys, auf die mein Bruder mich mitgenommen hatte. Sie war die Schwester von Jayden, dem Captain des Footballteams, und hatte den Ruf etwas naiv zu sein, weshalb sie oft von anderen ausgenutzt wurde. Ich hatte mich jedoch immer gut mit ihr verstanden, deshalb hoffte ich, dass John sie in Ruhe ließ und eine andere Person ansprach.

Dieser machte jedoch nicht im Mindesten Anstalten aufzustehen, sondern sprach sie erneut an. Doch dieses Mal war seine Stimme kalt: „Schau mich an, wenn ich mit dir rede."

Lilly hob langsam den Kopf und strich sich behutsam die Haare aus dem Gesicht.

„Geht doch.", sagte John genervt. „Wie heißt du?"

Sie starrte ihn ein paar Sekunden stumm an, dann antwortete sie kaum hörbar: „Lilly."

„Lilly, der Name passt zu dir. Lass mich raten – reiche Eltern, die dir ständige Shopping Trips und teure Hobbys finanzieren, sodass es hinter deinem Make-Up gar nicht auffällt wie dumm und lebensunfähig du eigentlich bist?"

Lilly starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Sie schien unfähig zu antworten. „Reden Sie nicht so mit ihr!", mischte sich eine andere Stimme ein. Ich konnte nicht genau erkennen wer es war, da Lilly die Person mit ihrem Körper verdeckte, aber ich war mir trotzdem relativ sicher, dass es Jays Stimme war.

„Wer bist du?", fragte John kühl. „Ich bin Jay.", antwortete der Junge.

Bingo. Ich konnte nur hoffen, dass er sie irgendwie aus dieser misslichen Lage befreien konnte. Jay war schon immer gut darin gewesen in Diskussionen oder Streits als Gewinner herauszugehen, da er sehr überzeugende Reden halten konnte.

„Jay, wieso glaubst du, dass du in diesem Ton mit mir sprechen darfst?" John sah ihn herausfordernd an. „Weil niemand so mit meiner Schwester spricht, auch Sie nicht.", erwiderte dieser trocken.

Die Luft war bis zum Zerreißen gespannt. Jay begab sich mit seiner Provokation, und vor allem mit dem Ton, in dem er mit John sprach, auf sehr dünnes Eis. Ich spürte wie sich mein Herzschlag beschleunigte, das würde nicht gut ausgehen.

„Versuchst du gerade ernsthaft den großen Beschützerbruder zu spielen? Typen wie dich habe ich früher schon immer gehasst. Du bist doch bestimmt einer von diesen Helden aus dem Footballteam, die ständig wilde Partys feiern und mit den hübschen Mädchen ausgehen. Arschlöcher wie du haben Mr. King damals unterstützt." Aus Johns Stimme war der Hass und die Verachtung deutlich herauszuhören, doch das schien Jay nicht zu interessieren.

„Typen wie ich.", Jay lachte verächtlich, „Wissen wie was Ihr Problem ist, John? Sie sind ein Loser, ein erbärmlicher kleiner Loser. Mit allem was Mr. King eben gesagt hat, hat er schon recht gehabt. Sie haben sich in Ihre komischen Computerspiele geflüchtet, in eine virtuelle Welt, um Ihrem erbärmlichen Leben zu entkommen. So einer wie Sie hätte es nämlich niemals ins Footballteam geschafft, deshalb hassen Sie mich. Natürlich sind die Ballerspiele nicht daran schuld, dass Sie zum Amokläufer geworden sind. Ihr Wunsch nach Macht ist hieran Schuld, der Wunsch einmal in Ihrem Leben stark zu sein. Also sind Sie in den Walmart gegangen und haben sich eine Waffe gekauft, mit der Sie dann die Schule gestürmt haben. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben es geschafft. Sie haben zwei Menschen getötet, aber jetzt müssen Sie mit der Schuld leben. Sie werden in den nächsten Jahren ein Gefängnis von innen kennenlernen und wenn Sie das jemals lebend verlassen werden, wird die ganze Stadt Sie hassen. Sie glauben wirklich das Ihre Schulzeit grausam war, oder? Sie haben keine Ahnung von dem, was Sie nun erwartet. Aber bitte, genießen Sie ruhige Ihre fünf Minuten Macht, bevor Ihr erbärmliches Leben Sie einholt und schlimmer wird als Sie es sich überhaupt vorstellen können."

Mir stockte der Atem und die Stille verriet, dass es nicht nur mir so ging. Jay hatte eine Grenze überschritten. In diesem Ton hatte nicht einmal Mr. King mit John gesprochen und die beiden kannten sich seit Jahren. Innerlich bereitete ich mich auf den Moment vor, in dem John seine Waffe zog und Jay kaltblütig erschoss. Doch nichts passierte. Die beiden starrten sich einfach mit finsteren Blicken gegenseitig in die Augen.

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