Kapitel 22

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„Eines muss man dir lassen, Mut hast du. Leider wird dir das in dieser Situation nicht viel nutzen." John und Jay sahen sich noch immer gegenseitig in die Augen. „Deine liebe kleine Schwester wird jetzt mit mir zusammen die Leiche wegräumen und dann", John stand auf und blickte verächtlich auf Jay hinab, „werden wir beide uns nochmal unterhalten." Jays Gesicht verriet keine Gefühlsregung, entweder war er wirklich furchtlos oder er war ein verdammt guter Schauspieler. Ich tippte eher auf letzteres.

John wendete sich nun wieder Lilly zu und lächelte sie freundlich an. „Wärest du so freundlich aufzustehen und mir bei der Entsorgung des Leichnams zu helfen? Ich bin auch ein echter Gentleman." Es lag ein Hauch Arroganz in seiner Stimme. Als er fertig gesprochen hatte streckte er Lilly seine Hand entgegen. Diese sah ihn jedoch nur mit einer Mischung aus Verwirrung und Angst an. „Sprechen die Herren in den Kreisen, in denen du verkehrst, nicht in diesem Tone?", fragte John mit gespieltem Entsetzen.

Dieser Typ spinnt doch total! Was soll denn dieses scheiß vornehme Getue? Mir wurde immer deutlicher bewusst, dass wir es hier mit einem Psychopathen zu tun hatte. Kein normaler Mensch konnte jemanden umbringen und nur ein paar Minuten später den feinen Herren aus dem vorletzten Jahrhundert spielen.

Lilly ignorierte Johns ausgestreckte Hand und stand allein auf.

John drehte sich um und ging auf Mr. Lees Leiche zu, vor der er dann stehenblieb. „Lilly, wo bleibst du?", fragte er genervt. Sie ging mit langsamen und wackligen Schritten zu John herüber und blieb mit großem Abstand hinter ihm stehen.

„Was ist? Wieso kommst du nicht näher?" „Ich... Ich kann nicht.", stammelte sie. John sah sie belustigt an. „Du weißt, dass mich das nicht interessiert. Komm jetzt hier her!"

Lilly machte vorsichtig ein paar Schritte auf John zu, wobei jeder ihrer Schritt kleiner und zögerliche wurde.

„Mädchen, das ist deine letzte Chance. Wenn du in drei Sekunden nicht neben mir stehst, räumst du die Leiche alleine weg!", donnerte Johns Stimme durch den Raum.

Ich hatte nicht mit diesem Wutausbruch gerechnet und zuckte unweigerlich zusammen. Auch Lilly blieb kurz wie erstarrt stehen, doch dann beeilte sie sich zu John zu gehen.

„Also geht doch. Schultern oder Füße?", fragte John. „Füße", erwiderte Lilly leise. „Dachte ich mir irgendwie schon."

Ohne einen weiteren Ton zu sagen ging Lilly um Mr. Lee herum und ergriff seine Füße. Ihr Gesicht war erstarrt und verriet keine Gefühlsregung mehr. Von dem Mädchen, das vor ein paar Sekunden noch ängstlich hinter John gestanden hatte, war nichts mehr zusehen.

John begab sich auf die andere Seite der Leiche und packte sie an den Schultern. „Auf drei", sagte er. „Eins, zwei, drei!" Gemeinsam hoben sie die Leiche hoch und trugen sie zu dem anderen Leichnam an die Tür, wo sie Mr. Lee behutsam auf dem Boden ablegten.

„Dankeschön, Lilly. Du kannst dich wieder setzten." Johns Stimme klang fast freundlich als er das sagte. Lilly sah ein letztes Mal auf Mr. Lee hinab und ging dann mit schnellen Schritten zu ihrem Platz zurück. Ihr Gesicht war immer noch erstarrt.

Ich sah sie ein paar Sekunden lang ungläubig an. Die Lilly, die ich kannte hatte es nicht fertig gebracht tote Spinnen zu entsorgen und jetzt hatte sie einfach so eine Leiche angefasst? Ihr versteinertes Gesicht machte mir Sorgen. Diese Aktion würde für sie nicht ohne psychische Folgen bleiben. Wir müssen diesen Amoklauf beenden und zwar bald.

John ging seelenruhig zu dem Tisch zurück und schob ihn ein paar Meter weiter in meine Richtung. Dann stellte er den Stuhl, auf dem Ms. Neal gesessen hatte, auf die eine Seite und holte einen neuen Stuhl von der Wand, welchen er auf die andere Seite stellte. „Mr. King, sind Sie so gut und bringen unsere Stühle auch hierher?", fragte er. „Natürlich, John.", stöhnte dieser genervt und brachte die Stühle zu ihm. „Dankeschön."

„Jay, deine Schwester ist wirklich stärker als ich gedacht habe. Wie sieht es mit dir aus?", während er sprach bewegte er sich auf Jay zu. „Was wollen Sie?", erwiderte dieser pampig. „Weißt du, Jay, Typen wie du, die im Footballteam sind und eine große Klappe haben, haben meistens eines nicht: Bildung. Neben dem anstrengenden Training, dem Rumprotzen auf Partys und den vielen Dates bleibt nicht mehr so viel Zeit zum Lernen, oder? Tja, mein lieber Freund, das wird dir jetzt zum Verhängnis. Da du ja so mutig bist, macht es dir doch bestimmt nichts aus auch mal eine Runde bei dem Quiz mitzuspielen, oder?"

Es entstand eine Pause.

„Dachte ich es mir doch, jetzt macht er sich vor Angst gleich in die Hose.", lachte John höhnisch. „Nein, tut er nicht.", sagte Jay trocken. „Gegen wen darf ich denn antreten?"

Hat der sie eigentlich noch alle? Wie kann man sich denn freiwillig melden? Kann er nicht einmal in seinem Leben seinen scheiß Stolz runterschlucken? Ich schüttelte leicht den Kopf, so war Jay schon immer gewesen. Ich konnte nur hoffen, dass alles gut ging und er, wie seine Schwester, in ein paar Minuten wieder auf seinem Platz sitzen würde.

„Du wirst gegen einen Lehrer antreten. Das ist deine Gelegenheit dafür zu sorgen, dass der Lehrer, den du am meisten hasst, stirbt. Also steh auf und setz dich auf einen der Stühle.", sagte John.

Jay erhob sich und ging in seinem gewohnten selbstbewussten Gang zu dem Tisch herüber und setzte sich nach kurzem Zögern auf den Stuhl, auf dem Ms. Neal eben gesessen hatte. „Glaubst du, dass der Stuhl dir Glück bringt?", fragte John amüsiert. „Ich glaube nicht an Glück, zumindest nicht in Ihrem Spiel.", erwiderte Jay, was John mit einem Lachen quittierte. „Ganz so dumm bist du ja anscheinend doch nicht. Also wer ist dein Gegner? Oder möchtest du lieber eine Gegnerin?"

„Ich überlasse Ihnen die Wahl. Schließlich ist das ja Ihre Racheaktion." Jay lehnte sich mit verschränkten Armen lässig auf seinem Stuhl zurück.

Wie machte er das nur? Er musste doch Todesangst haben und trotzdem konnte er sich so locker mit John unterhalten. Ich würde vor Angst sterben, wenn ich an seiner Stelle wäre.

John nickte leicht und musterte jeden Lehrer eingehend. Dann ging er gezielt auf eine Person zu.

Das Quiz - Wer dumm ist stirbtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt