Kapitel 28

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Mir blieb gar keine Zeit Johns Aussage zu verdauen, da plötzlich einer der Lehrer schrie: „Es wird niemand mehr erschossen! Wir machen diesen Scheiß nicht mehr mit!" Ich drehte mich erschrocken in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Mr. Wilson, mein Mathematiklehrer, war aufgesprungen und stand nun inmitten der anderen Lehrer.

John zeigte sich ziemlich unbeeindruckt und musterte ihn abschätzig. „Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?"

„Mr. Wilson.", antwortete er gelassen.

„Interessant und was wollen Sie mit Ihrer Aktion bezwecken? Möchten Sie auch sterben?" John zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Nein, das möchte ich nicht." Mr. Wilson trat von der Wand weg und ging auf ihn zu. „Ich möchte, dass Sie mit diesem Mist hier aufhören."

John gähnte gelangweilt. „Sie sind nicht der Erste, der mich darum bittet. Wieso sollte ich auf Sie hören?"

Ich kannte Mr. Wilson, wenn er sich in solch eine Situation einmischte, musste er einen guten Plan haben. Ohne Vorbereitung tat dieser Mann gar nichts.

„Ganz einfach, die Lehrer spielen nicht mehr mit. Bei Ihrem Quiz geht es doch darum, dass Sie Fragen stellen auf die nur einer der beiden Teilnehmer antworten kann, sodass Sie entscheiden wer stirbt. Wenn keiner der beiden antwortet, töten Sie einfach beide. Das Prinzip habe schon ich verstanden." „Ist ja auch nicht schwer zu verstehen.", fiel John ihm ins Wort. „Nein, das ist es in der Tat nicht. Aber was tun Sie, wenn niemand mehr auf die Fragen antwortet? Damit meine ich nicht nur eine Runde, sondern alle. Wollen Sie uns alle erschießen? Das wären insgesamt 63 Lehrer. Es geht doch darum, dass Sie im Zuge Ihres dämlichen Quizes Schicksal spielen und aussuchen können wer lebt und wer stirbt. Wir nehmen Ihnen diese Entscheidung jetzt ab. Sie können uns alle erschießen oder uns einfach laufen lassen. Das würde sich vielleicht auch positiv auf Ihr Strafmaß auswirken.", sagte Mr. Wilson selbstsicher.

John sah ihn für einen Moment verdutzt an, dann lächelte er. „Glauben Sie wirklich mein Strafmaß interessiert mich? Ich bin hier, um Rache zu nehmen. Was danach passiert, ist für mich nicht weiter wichtig. Die Hauptsache ist doch, dass Mr. King leidet. Und wenn es sein muss, erschieße ich auch alle Lehrer. Sind doch sowieso Idioten." Er verschränkte die Arme vor der Brust und warf Mr. Wilson einen zufriedenen Blick zu.

Zunächst geschah gar nichts. Ich dachte schon, dass Mr. Wilson sich mit seinem Plan verschätzt hätte und jetzt vorsichtig den Rücktritt antreten würde. Doch da lag ich daneben.

„Eben, Sie möchten, dass Mr. King leidet. Und wie soll er das tun, wenn Sie fast alle Zeugen töten? Denken Sie wirklich die Schüler interessieren sich auch nur annähernd für Ihre Mobbinggeschichte? Selbst wenn Sie es tun. Was denken Sie wem sie davon erzählen werden? Der Polizei, ihren Freunden und vielleicht sogar ihren Eltern. Aber Sie wissen doch wie die Jugend so ist. Die werden sagen, dass der Amokläufer früher ein Mobbingopfer war, mehr nicht. Sie werden sich nicht die Mühe machen Ihre Geschichte zu erzählen. Sie haben bereits einen Jungen getötet und gleich wollen Sie einen weiteren erschießen. Sie töten die Freunde der Schüler. Wieso sollten die Ihnen noch helfen?" Er machte eine Sprechpause und sah John an. „Richtig, sie werden Ihnen nicht helfen. Aber ich kann Ihnen sagen wer helfen wird. Schauen Sie sich die Lehrer dort an der Wand mal ganz genau an. Ein paar von denen kennen Sie doch noch, oder?"

John drehte sich um und musterte die Lehrer. „Ja, da sitzt Mrs. Moore, die immer darauf geachtete hat, dass niemand über den Rand schreibt." Er zeigte auf einen etwas älteren Herrn. „Und das ist Mr. Sanchez, der hat anscheinend immer noch nicht mit dem Kettenrauchen aufgehört, so wie der aussieht. Da drüben ist Ms. Gray, die ewige Jungfer, kein Wunder bei dem scheußlichen Kostüm." John wendete sich wieder Mr. Wilson zu. „Was bringt Ihnen das jetzt?", fragte er.

„Die Frage ist eher was es Ihnen bringt, John. Diese Lehrer kennen Sie persönlich. Das sind die Lehrer, die Mr. King Ihre Tests gezeigt haben. Sehen Sie nur in ihre Gesichter, es tut ihnen leid. Sie werden mit der Polizei über die Vorfälle von damals sprechen. Aber sie haben auch Kontakte zu Menschen im Alter von Mr. King, denen sie davon berichten werden und das wollen Sie doch, oder? Seinem Ruf schaden. Wenn Sie Glück haben, gehen die mit der ganzen Geschichte sogar an die Medien und die Zeitungen werden Mr. King und das gesamte Schulsystem der Vereinigten Staaten dezidiert auseinandernehmen. Das ist doch Ihr eigentliches Ziel, John. Wenn Sie jedoch all diese Menschen töten" Mr. Wilson ließ seinen Satz unvollendet und zog die Schultern hoch. „Es ist Ihre Entscheidung, aber wenn Sie die falsche Entscheidung treffen, werden Sie als das Monster von South Dakota in die Geschichte eingehen. Das wollen Sie nicht."

John starrte ihn zunächst einfach nur an. Dann senkte er den Blick und sah auf seine Füße hinab. Er schien nachzudenken.

Ich atmete tief ein und wieder aus. Die nächsten Augenblicke würden die Entscheidung bringen, das hatte ich im Gefühl. Entweder würde John komplett ausrasten und alle Lehrer nacheinander umbringen, vielleicht sogar die Schüler oder er würde ernsthaft über Mr. Wilsons Vorschlag nachdenken und uns laufen lassen.

Ich umfasste mit beiden Händen fest meine Knie und stütze meinen Kopf auf ihnen ab. Jetzt konnte ich wirklich nur noch abwarten. Hatte Mr. Wilson richtig gehandelt? Hätte ich selbst etwas tun können? Ich wollte die ganze Zeit etwas tun und was tat ich? Ich saß hier nutzlos in der Ecke rum und wartete auf eine Gelegenheit. Doch damit war jetzt Schluss, die Gelegenheit würde nicht mehr kommen. Auf der einen Seite war ich froh darüber, da ich keine Ahnung hatte, ob ich hätte helfen können, aber auf der anderen Seite wusste ich, dass ich mit daran schuld war, wenn etwas schiefginge. Schließlich hatte ich bisher gar nichts unternommen.

Die Angst, die mich vorhin so gelähmt hatte, kehrte zurück. Doch dieses Mal war es weitaus schlimmer, da ich wusste, dass nicht nur das Leben der Lehrer, sondern auch mein eigenes am seidenen Faden hing.

Plötzlich hob John den Kopf, sah Mr. Wilson an und stand dann auf. „Ich habe mich entschieden.", sagte er in freundlichem Ton.

Mr. Wilson lächelte. „Ich wusste, dass Sie einsichtig wären."

„Sie können sich mit Jay und Mr. Rogers vor die Wand stellen. Ich erschieße euch alle drei."

Das Quiz - Wer dumm ist stirbtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt