Kapitel 11

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Als Roland aufwachte, kam ihm das Erlebte wie ein Traum vor. Doch der Verband um seinen Kopf und der höllische Schmerz bewiesen das Gegenteil, dachte er sich, als er plötzlich Wolfgang bemerkte, der auf einem Stuhl neben seinem Bett saß und ihn zufrieden betrachtete.

„Ich wusste, dass du ein harter Knochen bist, aber dass du immer noch lebst überrascht mich dennoch. Die Schlacht haben wir übrigens gewonnen, auch wenn es ohne Clamming nur ein chaotisches Gemetzel war.", sagte Wolfgang grinsend.

„Wie lange war ich bewusstlos? Wie geht es Balthasar? Was geschah mit Fürst Meisher?", überhäufte Roland ihn mit Fragen.

„Ganz langsam, alter Freund. Die Schlacht war vor zwei Tagen, also nicht lang. Balthasar geht es gut, doch er kann sein Bein nicht mehr bewegen. Meisher, dieser feige Hundesohn, ist in unserem Verlies, wo er bestimmt noch eine Weile schmoren wird. Mein Vater ist zornig darüber, dass er uns attackiert hat. Doch genug der Worte, du musst dich ausruhen.", beendete Wolfgang das Gespräch und verließ das Zimmer.

Roland, der von dieser Flut an Informationen überfordert war, nahm sein Tagebuch heraus und begann zu schreiben:

Warum steckt Gottes Welt voller Zweifel? Steckt hinter all dem Leid ein Sinn? Warum lässt Gott all das zu? Diese Fragen beschäftigen mich momentan so sehr, dass ich allmählich glaube, Clamming hatte gar nicht mal so Unrecht. Hatte etwa der Priester Unrecht, der mir gesagt hat, dass die Ungläubigen schwach sind? Wo man nur hinsieht findet man Leid, Trauer und Ungerechtigkeit. Sogar in der Burg Rabenfels. Hat Fürst Kalhelm mir den Auftrag gegeben, David zu töten, damit ich zum Ritter geschlagen werde und Wolfgang, sein eigener Sohn nicht? Bin ich nur ein Werkzeug in seinen mageren Händen? Warum musste Clamming sterben und Meisher darf leben? Ist denn alles falsch in meiner Welt?

Plötzlich ging die Tür knarrend auf und Balthasar trat ein. Er hinkte und stützte sich mit einem Stock ab, doch seine Wangen waren rosig. Sein Gesicht war finster, dennoch lächelte er und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett seines ehemaligen Schülers. Zuerst sah ihn Roland nur an, fragte aber schließlich: „Schön, Euch in einem Stück zu sehen. Als Clamming euch erwischt hatte, dachte ich es ist vorbei. Doch als Ihr euch wieder aufrichtetet, war eine übermenschliche Willensstärke in euren Augen zu sehen. Sagt, habt ihr ein schlechtes Gewissen? Oder freut ihr euch darüber, euren Freund gerächt zu haben?"

„Es freut mich auch, dich zu sehen. Eine derartige Wunde überleben nicht viele Leute, das zeugt von deiner Stärke. Bezüglich Clamming bin ich mir noch nicht sicher. Er war ein Bastard, keine Frage, doch er war auch sehr faszinierend. Du kennst bereits seine Übeltaten, doch er hat auch Heldentaten vorzuweisen. Ohne ihn wäre Rabenfels eine Ruine und alle seine Einwohner tot. Außerdem war er der beste Kämpfer den ich je gesehen habe. Ganz ehrlich, ohne meine Rüstung hätte er mich problemlos getötet. Außerdem wollte er meinem Freund, sein Name war übrigens Dietrich, die Chance geben, ehrenhaft zu sterben. Übrigens, es hat einen kleinen Zwischenfall mit Clammings Leichnam gegeben. Drei Männer haben ihn in der Nacht aufgeschnitten und sein Inneres durchsucht. Was sie wollten, weiß momentan noch niemand, doch sie wurden von einem Wächter gesehen und gefangen genommen worden. Sie sind zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung wird morgen auf dem Marktplatz stattfinden.", antwortete Balthasar, erhob sich und verließ den Raum. Roland wurde allmählich müde, doch sein Kopf schmerzte unerträglich und zu allem Überfluss kam nun auch noch der Priester, der den Namen Jakob trug, durch die offene Tür. Dieser trug ein weißes Gewand, das bis zu seinen Knöcheln reichte und hatte in der geschlossenen Hand einen Rosenkranz. Um seinen Hals trug er ein Kruzifix, sein Kopf war unbedeckt und kahl. Nun trat er mit einem Lächeln, das Roland gar nicht gefiel, vor sein Bett und sprach: „Guten Morgen, junger Ritter. Du hast schwere Prüfungen hinter dir, doch denke stets daran, dass Gott uns stets nur dass auferlegt, was wir zu ertragen im Stande sind. Ich hörte von dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen dir und diesem Atheisten, Clamming. Hoffentlich hat er nicht versucht, dich von deinen Lehren abzuschwören und seinen, die verachtenswert und gottlos sind, zu folgen!", sagte er mit mahnendem Zeigefinger.

„Hochwürden, erneut sitze ich vor euch mit Zweifel im Herzen. Überall, egal wo ich hinsehe, ist nichts als Leid und Ungerechtigkeit. Denkt an Fürst Meisher, der lebt, obwohl er tausende Männer in den Tod geschickt hat. Oder an alle Opfer des letzten Krieges, und die Opfer der Kriege davor. Alle diese Männer sind im Namen Gottes gestorben, getötet von Männern, die ihrerseits für denselben Gott gekämpft haben. Ist das die Befolgung der christlichen Lehren?", sagte Roland mit zitternder Stimme. Er war verzweifelt und erhoffte sich, von dem Priester eine verständliche Antwort zu erhalten.

Doch diese sollte ihm, wie zuvor, verwehrt bleiben. Denn der Geistliche überlegte eine Weile, wobei er die Augen geschlossen hatte und die Lippen stumm bewegte und predigte: „Gottes Wege sind uns zwar rätselhaft, doch wir können ihm immer vertrauen. Meisher ist ein guter Christ, genauso wie Kalhelm, der weiß, dass es den christlichen Lehren widerspricht zu töten. Hast du schon einmal gesehen, wie einer der Genannten einen Mann ermordet hat? Vermutlich nicht, denn sie folgen Gottes Wort. Du solltest lieber froh sein, in dieser warmen Burg zu leben, wo man dich ernährt und für dich sorgt. Wo siehst du das Leid, von dem du gesprochen hast? Selbst die Bauern, die den ganzen Tag am Felde arbeiten, haben warme Hütten und können ihre Kinder zum Gottesdienst schicken, wo sie von den Lehren Jesu Christi lernen können. Ich sehe, du bist nicht mehr so verwirrt und ich konnte den Schleier vor deinem Gesicht lüften, den Clamming hinterlassen hat. Doch nun muss ich weiter, den nächsten Schleier zu lüften und die Unklarheit aus diesem gottesfürchtigen Haus zu vertreiben."

Daraufhin verließ er das Zimmer und ließ Roland mit seinen Gedanken allein. Dieser war jedoch noch um einiges verwirrter und fühlte sich in der Annahme, dass der Priester Unrecht hatte, sogar noch bestätigt.


Der gottlose RitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt