Ein starker Wind kam und wirbelte den Schnee auf, durch den sich Roland kämpfte, sodass diesem die Sicht genommen wurde. Nachdem er aus Rabenfels geflohen war, hatte er beschlossen, sich bei Fürst Haasten zu verstecken und gemeinsam mit dem weisen Mann die nächsten Schritte zu planen. Zwar hatte Bentus einige Wachen um die Burg aufgestellt, bevor er in diese eindrang, doch Roland hatte sein halbes Leben in Rabenfels verbracht und kannte jeden geheimen Weg und jedes Versteck. Er wusste, wo eine Wache das größte Areal überblicken konnte und welche Pfade ihn verbergen würden. Der Nachteil war, dass er sein Pferd nicht mitnehmen konnte. Nun irrte er in jenem Gebirge herum, in dem Haasten seine Festung hatte und fragte sich, wie es Wolfgang ergangen war. Er wusste nicht, dass dieser bereits tot war und dass er bereits fast einen Monat lang unterwegs war, da er stets die Zivilisation, und wenn es auch nur eine einsame Hütte im Wald war, mied. Nun erblickte Roland aber in der Ferne ein Licht und lief auf dieses zu, in der Hoffnung, einen Wachposten des Fürsten entdeckt zu haben. Dennoch duckte er sich, als er kurz vor dem Licht, das sich als ein Lagerfeuer neben einem Zelt herausstellte, angekommen war. Es stand auf einer kleinen Lichtung. Er konnte niemanden sehen, doch er hörte eine vertraute Stimme fluchen, war sich jedoch nicht sicher wem sie gehörte. Plötzlich tauchte ein großer, dürrer Mann auf, den Roland kannte. Sofort richtete er sich auf und ging mit dem Schwert in der Hand in das Lager.
„Wilhelm, du elende Ratte! Du hast Pech, dass du mich hier triffst.", rief er und griff den überraschten Mann sofort an. Dieser wich zurück, zückte ebenfalls sein Schwert und höhnte: „Endlich haben wir dich gefunden. Du bist der letzte in dem Bund von Verrätern, die das Fürstentum herausgefordert haben. Hoffentlich bist du nicht so schwach die dein Templerfreund."
Roland war schockiert, als er auf diese Weise von Ferdinands Tod erfuhr. Anscheinend waren auch Wolfgang und Margret tot, doch mit diesen Gedanken konnte er sich später beschäftigen. Nun galt es sie zu rächen.
„Du bist und bleibst nichts als ein Feigling. Du hast uns damals heimlich verlassen und nun kehrst du zurück. Mich wundert es nur, dass du allein bist.", sagte Roland.
Statt einer Antwort kam dem Ritter nun Wilhelms Schwert entgegen und so begann der Kampf. Roland schlug von oben und dann von unten zu, sodass sein Gegner seine Waffe nach unten halten musste. Dann packte er dessen Schwertarm und drehte ihn herum, anschließend brach er Wilhelms Nase mit seinem Schwertknauf. Diesen Trick hatte er von Haasten gelernt. Der Soldat ließ sein Schwert fallen und stolperte schreiend zu Boden, doch er richtete sich wieder auf und schrie: „Hauptmann, wacht auf!"
Als Roland eine Bewegung in dem Zelt sah, stach er geistesgegenwärtig in dieses und erntete dafür einen lauten Schrei. Mit einem schmatzenden Geräusch zog er es hinaus und sah, dass es nun voller Blut war. Doch Wilhelm hatte diese Pause genutzt, um sein Schwert aufzuheben und griff erneut an. Diesmal schlug er von links zu, drehte sein Handgelenk und schwang seine Waffe von rechts. Roland parierte beide Schläge, doch sein Gegner vollführte nun einen Ausfallschritt und stach zu. Der Ritter ging einen Schritt zurück, sprang jedoch im nächsten Augenblick nach vorne, schlug die Klinge seines Gegners beiseite und rammte ihm seine Faust in den Bauch. Wilhelm konterte jedoch, indem er Roland mit seiner Handkante gegen die Schläfe schlug und ihm anschließend den Ellbogen ins Gesicht stieß. Dann schwang der Soldat sein Schwert diagonal von rechts und traf seinen Gegner an der Schulter. Blut spritzte und Roland merkte, dass diese Wunde sehr tief war und er nach diesem Kampf sofort einen Arzt aufsuchen musste. Als nächstes zückte er jedoch seinen Dolch, stach mit seinem Schwert zu, duckte sich, als Wilhelm nach ihm schlug und rammte ihm das Messer in den Oberarm. Er spürte, wie die Klinge gegen den Knochen stieß und zog seine Hand ruckartig zurück. So durchtrennte er einen Teil des Bizeps' und eine Sehne seines Gegners. Brüllend hielt sich Wilhelm den Arm, doch Roland sah im Augenwinkel eine Bewegung und wirbelte herum. Der Hauptmann, der stark aus einer Wunde an seiner Seite blutete, lief schwertschwingend auf ihn zu. Bereits im Lauf holte er zu einem mächtigen Hieb aus, doch dies erlaubte Roland die Attacke vorauszusehen und er konnte leicht ausweichen. Der Hauptmann hatte jedoch so viel Wucht, dass er vor seinem Gegner nicht bremsen konnte und an diesem vorbeistürmte. Der Ritter stach ihm jedoch ins Knie und er fiel in den Schnee. Wilhelm trat Roland erneut entgegen, diesmal mit dem Schwert in der linken Hand, und versuchte ihn zu köpfen. Sein Gegner konnte den Schlag abwehren und fuhr ihm mit der Klinge quer über den Bauch. Dieser wurde aufgeschlitzt und Wilhelms Eingeweide fielen zu Boden. Der Soldat fiel vornüber in den Schnee und rührte sich nicht mehr. Roland spürte, wie das Adrenalin durch seinen Köper schoss und fühlte sich so gut wie lange nicht mehr. In diesem Moment war er nichts anderes als ein Raubtier, das seine Konkurrenten abschlachtete. Der Hauptmann näherte sich ihm diesmal vorsichtiger und spottete: „Du hättest Wolfgangs Gesicht sehen sollen, als der Vollstrecker ihm seinen verfluchten Kopf abgeschlagen hat. So einen dämlichen Gesichtsausdruck habe ich noch nie gesehen. Seine Frau war jedoch sehr schön. Wir haben sie, nachdem wir sie getötet haben, nackt vor das Burgtor gelegt. Wer weiß, was die Bürger danach noch mit ihr gemacht haben."
Das war zu viel für Roland und er preschte vor, schlug die Waffe des Hauptmanns zur Seite und rammte ihm seinen Dolch in die Kehle. Im selben Moment fuhr ihm ein stechender Schmerz in die Brust. Dies rührte jedoch nicht nur von seiner Trauer über seine Freunde her, sondern auch von dem Schwert des Hauptmanns, das Roland in seiner Wut nicht ganz beiseite geschlagen hatte und nun unter seinem Schlüsselbein steckte. Erschöpft fiel der Ritter auf die Knie und fragte sich, was er angerichtet hatte. Plötzlich ertönten Schritte und Roland sah einige Soldaten auf ihn zumarschieren. Sie sahen sich um und folgerten, was geschehen war. Doch anstatt dem Verwundeten zu helfen, richteten sie ihre Waffen auf ihn und einer von ihnen trat vor und sagte: „Du bist des Todes, Heide. Nun haben deine schrecklichen Taten ein Ende."
Roland sah zu seinem Ankläger empor und blickte in das grinsende Gesicht von Fürst Haasten.
„Ihr findet stets einen Grund zu lachen, nicht wahr?" brachte der Ritter keuchend hervor. Auf einen Befehl des Fürsten halfen ihm zwei Männer auf und brachten ihn nach Frostspitze. Jene Burg wirkte wie ein Teil des Berges und Roland fand, dass sie Haasten auf gewisse Weise ähnelte. Sie wirkte zwar alt und zugig, aber dennoch stabil, auch wenn sie in ihrer unzugänglichen Umgebung keinen Beschuss von Belagerungsmaschinen zu befürchten hatte.
In der Burg angekommen wurden Rolands Wunden versorgt und schließlich saßen sie vor einem prasselnden Kaminfeuer in Haastens Bibliothek. Dort erzählte ihm der Fürst was geschehen war, nachdem er Rabenfels verlassen hatte. Roland zuckte unwillkürlich zusammen, als er erfuhr, wie Wolfgang und vor allem Margret gestorben waren.
„Sie haben ihn hingerichtet wie einen Mörder. Wie einem lumpigen Räuber haben sie ihm den Kopf abgeschlagen.", murmelte er, während er die Flammen betrachtete.
„Du warst und bist ein Narr, Junge. Ich habe euch vor diesem Schritt gewarnt, doch in eurem Idealismus habt ihr eurer Leben riskiert und zumindest Wolfgang hat es verloren. Für einen höheren Zweck, war es nicht so? Damit ihr den Leuten ein Beispiel dafür seid, dass sie mehr aus ihrem Leben machen können?", warf ihm Haasten vor.
„Erspart mir eure Predigt! Geschehen ist geschehen, wichtig ist mein nächster Schritt. Was ratet ihr mir?", fragte Roland gereizt.
„Verschwinde von hier. Ganz einfach. Du bist auf dich allein gestellt, niemand wird dir helfen. Kennst du überhaupt das Gefühl, wirklich allein zu sein? Wolfgang kannte es. In Jerusalem habe ich viel mit ihm geredet. Er war zwar stets ein Außenseiter, aber er hatte ein gutes Herz. Obwohl ihn jeder auslachte und verspottete, obwohl ihn die Gesellschaft verstoßen hatte, versuchte er dennoch, ihr Leben besser zu machen. Er nahm das Risiko seines Todes und der öffentlichen Schande auf sich und wollte ihnen einen besseren Weg zeigen. Er hätte auch weiterhin einsam bleiben können, doch er hat seine Entscheidung getroffen. Vielleicht war es die schlechtere für ihn, aber die bessere für die Menschen, das wird die Geschichte zeigen.", dachte Haasten laut.
„Wolfgang war der tapferste und aufrichtigste Mann, den ich je gekannt habe. Doch er war auch aggressiv und sturköpfig. Er war zeitweise stärker als ich und war viel ehrgeiziger. Ich weiß jedoch mit Sicherheit, dass ich schlauer bin als er je war. Seine Ideologie hatte Schwächen, er sah in den Menschen nur eine Kampfmaschine. Er hat in den Bürgern von Rabenfels zwar ihre kriegerischen Instinkte geweckt und gefördert, doch er hat auch viele vergessen. Sein Bildungsunterricht beschränkte sich lediglich auf Logik und das Lösen von Rätseln.", überlegte Roland.
„Ich würde gerne mit dir über all das diskutieren, doch ich bin mir sicher, dass bald neue Soldaten kommen und dich suchen werden. Also los, verschwinde!", warf nun Haasten ein und stand auf. Dann öffnete er eine Truhe und holte neue Gewänder heraus, darunter ein Umhang mit einer Kapuze, um Rolands Gesicht zu verbergen. Dankbar nahm der Ritter das Geschenk an und begab sich in den Hof der Festung. Der Mond beleuchtete dort einen kräftigen Rappen und Roland sah zu den Sternen, lächelte und sagte: „Ich danke Euch. Wie nanntet Ihr mich heute? Heide, nicht wahr? Das bringt mich auf eine Idee."
„Gerne. Weißt du, ich bin schon zu alt, um mein Leben noch zu verändern, doch ich sehe in dir viel Potential. Welche Idee denn? Was willst du nun überhaupt machen?", fragte Haasten neugierig.
Roland bestieg indes das Pferd, wartete bis das Tor geöffnet wurde und sagte über die Schulter: „Was getan werden muss. Ich habe ein Versprechen abgegeben."
Dann trieb er seinen Rappen an und verschwand in der Dunkelheit.
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Der gottlose Ritter
Historical FictionDas Mittelalter war eine Zeit voller Krieg und religiöser Unterdrückung. Das einfache Volk arbeitete den ganzen Tag und ging hungrig zu Bett, während die Adeligen Feste veranstalteten. In dieser Epoche wächst Roland Wielus wohlbehütet heran und wähl...