Kapitel 19

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                                                    (Eintrag von Roland Wielus in sein Tagebuch)

Die gestrigen Ereignisse haben mir sehr zu denken gegeben. Ich trauere sehr um Heinrich, doch ich habe mich damit abgefunden, dass sein Tod nicht meine Schuld war. Doch Haastens Reaktion darauf, als ich sagte, der Mörder meines Knappen hätte einen gerechten Tod gefunden, hat mich sehr überrascht. Ein Mann, der einen anderen tötet, hat den Tod verdient, richtig? Vor allem ein erfahrener Soldat, der einen Lehrling tötet. Diese Tat war ungerecht und so war es nur richtig, dem Halunken seine gerechte Strafe zu überbringen. Oder? Gibt es so etwas wie Gerechtigkeit etwa nicht mehr? Kann jeder das machen, was er will, ohne jegliche Konsequenzen fürchten zu müssen? Sind die Worte Gottes von einer gerechten Welt falsch? Wenn man darüber nachdenkt, hatte Haasten Recht mit seiner Aussage, Gerechtigkeit sei etwas Subjektives. Auch Clamming war jemand, der stets so handelte, wie er es für richtig empfand, egal, ob ihm ein Fürst oder gar ein König widersprach. Er lebte einfach in den Tag hinein, genoss den Wein und übte sich im Kampf. Denn ich kannte nie einen Kämpfer, der sich mit ihm hätte messen können. Selbst Balthasar gab zu, dass er ohne seine Rüstung verloren hätte und in gewisser Weise hatte er das auch. Denn er kämpfte für die Gerechtigkeit gegenüber seines Freundes. Doch dieser war davor schon Tod und mit dem Ableben Clammings fehlte ein wichtiger Befehlshaber, wie es der Angriff von Fürst Meisher deutlich gezeigt hatte. Doch zurück zur Gerechtigkeit. Ich habe den Soldaten getötet, weil er Heinrich getötet hat. Doch Heinrich hatte bereits mehrere von dessen Freunden getötet, vielleicht auch dessen Knappen. Kann man, mit diesem Sachverhalt vor Augen, von Gerechtigkeit, richtig und falsch sprechen? Ist alles vom Auge des Betrachters abhängig? Wenn nichts richtig ist und nichts falsch, woher weiß man dann, was man tun soll? Könnten die Bauern nicht einfach Ritter werden und könnten die Soldaten nicht einfach jeden Regenten, der ihnen nicht passt, töten? Würde eine Welt ohne Regeln funktionieren? Würden Menschen in ihr überhaupt existieren?

Diese Fragen stelle ich mir momentan und ich kann nicht behaupten, dass diese wünschenswert sind! Ich beneide die einfachen Bürger, die sich bloß darum zu kümmern brauchen, ob sie genug Geld in der Tasche und ausreichend Holz im Ofen haben. Mir scheint jedoch, dass Ferdinand einiges über diese Themen weiß, vielleicht mehr, als ich momentan erahnen kann. Ich werde morgen mit ihm reden. Er ist ein faszinierender Mensch. Sein Gedankengut ähnelt dem Clammings, doch er wirkt um einiges intelligenter und reflektierter. Ein Templer, der nicht an Gott glaubt, ist letztendlich doch ein Kuriosum. Ich würde gern wissen, wie sein bisheriger Werdegang verlaufen ist. War sein Vater ein gebildeter Mann oder ein einfältiger Bürger? Oder war er eine Waise? Aus welchen Beweggründen hat er sich von der Kirche abgeschworen? Die letzte Frage scheint von meinem Standpunkt aus zwar logisch, dennoch ist es nicht selbstverständlich, dass man so denkt. Ohne den Einfluss Clammings und den Begegnungen mit dem Deserteur David oder dem Banditen Talal wäre ich vermutlich vor unserer Reise zu Jakob gegangen und dieser hätte mir geraten, mich von Ferdinand fernzuhalten, so wie er es bei Wolfgang getan hat. Mir fällt auf, dass der Priester all diese Männer als Ungläubige abgestempelt hat, ohne dies zu hinterfragen. David hat vernünftige, nachvollziehbare Gründe genannt und wirkte nicht wie ein Wahnsinniger. Die Begegnung mit Talal war zwar nicht gerade erfreulich, doch auch sie hat gezeigt, dass es Gerechtigkeit nicht gibt. Denn er hat unschuldige Bauern getötet, Kinder verbrannt und Frauen verschleppt und dennoch hat er viele Jahre lang ungestört damit verbracht, ein eigenes Land aufzubauen. Nicht Gottes Gerechtigkeit hat ihn getötet, wie es das Versagen von Wolfgang und mir bewiesen hat, sondern Clamming. Doch selbst dieser schien gewisse Regeln befolgt zu haben. Öfters hat er uns das Leben gerettet, auch bei dem Kampf mit Talal. Er hätte zulassen können, dass wir getötet werden, dennoch hat er es nicht gemacht. Er hat selten jemanden hinterrücks erstochen und auch dem Riesen von Berklung wollte er einen ehrenhaften Tod schenken. Vielleicht gibt es keine Gerechtigkeit, doch es gibt Ehre. Auch wenn Clamming damals darüber gelacht hat, so erweckte er doch stets den Eindruck, er folge einem gewissen Ehrenkodex. Andererseits gab es die wahrscheinlichere Möglichkeit, dass er stets die Herausforderung suchte, ähnlich wie Roderick. Das könnte erklären, wieso er ein Hauptmann wurde, obwohl er die Gesellschaft anderer mied. Der Kampf mit einem Mann allein war ihm nicht genug, er wollte mehr und so konnte er zusätzlich Befehle austeilen, Schlachtpläne austeilen und war auch in der Lage seine Erfahrung in seine Taktiken einfließen zu lassen. Ein weiterer Vorteil war, dass der Erfolg nun von seinen Fähigkeiten abhing und nicht von beleibten Generälen, deren letzter Kampf zwanzig Jahre zurücklag. Doch wenn ich so über Herausforderungen nachdenke, fällt mir eine ein, die meinen Erfahrungen und Fähigkeiten entspricht. Diese Aufgabe, von den meisten geächtet, von wenigen gefürchtet, hat bereits viele zum Scheitern gebracht und ganze Kulturen sind ihr zum Opfer gefallen. Ich werde eine Institution zum Duell fordern, die der Strippenzieher hinter diesem sogenannten „Heiligen Krieg" und denen davor ist. Die die Massen blendet und ihnen den Weg zeigt, der allein zu ihren Gunsten führt. Die uns aufhetzt gegen die, die ihren Ansichten nicht zustimmen und diejenigen beiseiteschafft, die sich ihr entgegenstellen. Die ihre obersten Mitglieder über ihre Anhänger stellt. Diese Institution, der bereits viele Menschen zum Opfer gefallen sind und die noch viele verschlingen wird. Ich spreche von der katholischen Kirche und wer immer diese Niederschrift liest, der wisse, dass ich ihr Untergang sein werde.


Der gottlose RitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt