Es war ein wunderschöner Herbsttag und Roland genoss die Wärme der Sonne, die hoch über ihnen am Himmel schien, auf einer Bank am Rande des Marktplatzes von Rabenfels. Er beobachtete die Bürger, die sich die angebotenen Waren genauer betrachteten, lauschte den Rufen der Händler und sog die Luft, die erfüllt war von den Düften diverser Kräuter und Blumen, genussvoll ein. Neben ihm saß Wolfgang, mit dem er sich nach dem schicksalshaften Erlebnis wieder vertrug, und döste. Eine Weile lang beobachteten sie das Treiben, bis sich plötzlich eine unheimliche Stille über den Platz legte. Stumm war ein Trupp Soldaten aufgetaucht, in ihrer Mitte drei Männer, die in Lumpen gekleidet waren. Ihre Gesichter waren blutverschmiert, einer hatte ein blaues Auge und auch ihre entblößten Arme wiesen die Spuren von Misshandlungen auf. Roland konnte in der hinteren Reihe den Priester Jakob ausmachen, der die Hände gefaltet und ein Gebet murmelnd, langsam mitging. Die Menge wurde unruhig und auch Wolfgang setzte sich gerade auf und wartete angespannt ab. Die Gefangenen wurden auf ein Podium geführt und Jakob begann seine Rede: „Hier haben wir zwei Kreaturen vor euch geführt, die Gottes Worte mit Füßen treten. Sie sind das schlimmste, was einem vor die Augen treten kann. Ketzer! Euch allen ist der Hauptmann Clamming bekannt. Zwar war er ein Atheist, doch er ist durch Gottes Hand gereinigt worden und ist in den Himmel aufgefahren. Die Ketzer haben jedoch Gottes Werk verunreinigt und haben den Leichnam Clammings entweiht. Sie haben ihn aufgeschnitten und wie Maden durchwühlt...."
„Wir sind keine Ketzer, wir sind Wissenschaftler! Kaum jemand versteht den menschlichen Körper, deshalb ist es unsere Aufgabe ihn zu untersuchen. Wie viele Krankheiten könnten wir heilen, wenn wir nur die Möglichkeit hätten, die Körper der Kranken zu untersuchen oder ihnen verschiedene Kräuter zu verabreichen. Doch die sogenannten Geistlichen verbieten es uns. Sie verschließen ihren Geist vor allem Fremden und das Gleiche versuchen sie bei euch! Öffnet eure Augen, bevor sie euch zugenäht werden! Die Welt bietet so vieles Interessante, wenn man sie methodisch betrachtet und die Vorkommnisse hinterfragt!", schrie einer der Männer, bevor einer der Soldaten vortrat und ihm mit dem Schaft seines Speers auf den Rücken schlug, woraufhin er vor Schmerz aufschrie. Der Priester, der die Geschehnisse schweigend beobachtet hatte, richtete das Wort nun erneut an die Menge: „Hört sie an! Sie wollen an Kranken experimentieren und Leichen aufschneiden und beschweren sich darüber, dass die Kirche es ihnen verbietet! Diese Wesen sind von der Vernunft Gottes verlassen und reden wirr. Doch ich will sie lehren, was uns der Herr gelehrt hat. Ketzer, eure Sünden sollen euch vergeben sein, wenn ihr euch den Johannitern anschließt und von nun an euer Leben einzig dem Dienst an Gott widmet."
„Eher brenne ich auf ewig in der Hölle, als dass ich mich auch nur einen Augenblick deinem falschen Gott vor die Knie werfe!", an die Leute auf dem Marktplatz gewandt, sagte er: „Erkennt ihr die List dieses Mannes denn nicht? Seid ihr dazu nicht in der Lage oder wollt ihr es nicht? Starrt mich nicht so verdutzt an! Oh, wenn euch Plato sehe! Doch ihr kennt ihn nicht, ihr die ihr gefesselt Schatten an der Wand betrachtet! Stattdessen ist der Befreite nun gefesselt und die Gefesselten sind frei. Oh, welch grausame Welt. Du da, leg den Stein weg! Den Unrat der Esel zu werfen geziemt einem Christen, aber der Vernunft zu folgen ist ein Verbrechen. Vollstrecker, bringt es hinter euch, auf dass ihr einen Humpen heben gehen könnt!", schrie der Gefragte. Die restlichen Männer saßen nur stumm da, während sie die gleichen Schikanen durchmachten. Roland war entsetzt darüber, dass die Situation derartig eskalierte, doch Wolfgang, der schon immer mehr Wert auf Taten gelegt hatte, stand nun auf und schrie: „Ihr einfältigen Dummköpfe! Grausame Barbaren! Dies ist eine Verhandlung und das letzte Wort war noch nicht gesprochen, als der Hässliche da neben der Fetten den Stein aufhob, um ihn auf den Angeklagten zu werfen!", doch nun näherte sich ihm ein großer, muskelbepackter Mann, der sagte: „Achtet auf eure Worte, junger Fürstensohn. Derartiges Benehmen ist sehr unhöflich und ich will euch dafür bestrafen!", und er ließ seine Knöchel knacken. Dann stürmte er auf Wolfgang los, der weder Waffe noch Rüstung trug. Doch die Aktion des Bürgers war derart offensichtlich, dass sein Gegner genug Zeit hatte, seinen Gegenangriff zu planen. Er sprang im letzten Moment zur Seite und stellte seinem Gegner ein Bein, sodass dieser mit dem Kopf voran in einen Karren mit Rüben fiel. Als sein Gegner sich wieder aufgerappelt hatte und seine Fäuste wild schwingend auf ihn eindrang, wich Wolfgang jedem Schlag aus, packte den Arm des Gegners auf Höhe des Handgelenks mit der linken Hand und verpasste ihm einen Kinnhaken. Als der Bürger zurückstolperte, schickte er ihn mit einem Tritt in den Bauch zu Boden. Dieser blieb dort um Atem ringend liegen, während Wolfgang auf ihn zuging, ihn anspuckte und sagte: „Legt euch das nächste Mal mit jemandem an, der euch gewachsen ist."
Die Bauern und Händler, die das Geschehen entsetzt beobachtet hatten, warfen dem Sohn ihres Fürsten finstere, teils abschätzige Blicke zu, doch dieser antwortete: „Hochwürden, setzt die Verhandlung nun bitte fort."
Der Priester warf nun einen Blick in die Menge, breitete die Arme aus und verkündete: „So seid ihr schuldig und sollt Gottes Güte erfahren."
Die Augen der Verurteilten weiteten sich entsetzt, als sie diese Worte vernahmen, doch nun trat der Vollstrecker mit seinem in der Sonne glänzenden Beil vor und waltete seines Amtes. Die Menge schrie in gespielter Abscheu auf, doch man konnte deutlich das Funkeln in ihren Augen sehen. Roland drehte sich weg, denn er war zu entsetzt über die Geschehnisse, als dass er jetzt den Anblick von geköpften Menschen ertragen wollte. Wolfgang trat zu ihm und murmelte: „Diese verdammten Bastarde! Hörst du wie sie schreien? Dennoch weiß ich, dass ihnen dieses Spektakel gefallen hat, denn ihr Leben ist eintönig und sie suchen Zerstreuung. Sie verstehen nichts von Ehre oder kümmern sich nicht darum. Dennoch befiehlt Vater uns, diese personifizierte Einfalt zu beschützen. Wir sollten uns vor ihm in Acht nehmen, Roland. Denn er ist sehr manipulativ und weiß diese Fähigkeit wie kein anderer zu nutzen.", dann stapfte er wortlos den Weg zur Burg hinauf. Roland indes fragte sich, ob die Worte des Mannes, dessen Kopf in einem Korb weggebracht, und dessen Blut vom Podium hinabtropfte, nicht doch gerechtfertigt waren. War das eine Möglichkeit, die Worte des Priesters zu widerlegen, sodass Clamming und David letztendlich doch im Recht waren?
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Der gottlose Ritter
Historical FictionDas Mittelalter war eine Zeit voller Krieg und religiöser Unterdrückung. Das einfache Volk arbeitete den ganzen Tag und ging hungrig zu Bett, während die Adeligen Feste veranstalteten. In dieser Epoche wächst Roland Wielus wohlbehütet heran und wähl...