Ein salziger Geruch lag in der Luft, als Roland und Wolfgang im Hafen von Akkon spazieren gingen. Nach den anstrengenden Kämpfen genossen sie die warme Luft, die Rufe der Möwen und die Schreie der Fischer, die ihre Waren anboten. Auch das leise Plätschern der Wellen, die gegen die Boote schlugen, war zu hören und aus einer Schenke hörte man Gelächter. Die Ritter setzten sich auf eine Bank und beobachteten eine Weile das Treiben, die Seemänner, die ihre Schiffe für Reisen vorbereiteten und Taue auf deren Reißfestigkeit prüften, Segel flickten oder Fässer voll Salzfleisch an Deck rollten. Sie hatten allesamt von der Sonne braun gefärbte Haut und starke Arme und stimmten, um die Produktivität zu steigern, ein Lied an. Roland genoss die Atmosphäre und vergaß für einen kurzen Moment seine Sorgen rund um Kirche und seinen weiteren Lebensweg, über den er sich noch unsicher war. Er entspannte sich und betrachtete die prachtvollen Schiffe, die sanft von den Wellen geschaukelt wurden und die Vögel, die über ihren Köpfen kreisten. Als ein paar junge Frauen die Ritter passierten, entging Roland nicht, dass ihn diese anlächelten und sich gegenseitig etwas zuflüsterten. Roland hatte auf das weibliche Geschlecht stets eine gewisse Anziehung verübt und auch hier in Akkon schien sich daran nichts geändert zu haben. Sei es eine Magd oder ein Burgfräulein gewesen, stets hatten sie sich nach dem Recken umgedreht und ihm war durchaus klar, dass er einige Verehrerinnen hatte. Insgeheim hatte er bereits beschlossen, dass er sich, wenn er aus Jerusalem zurückgekehrt war, nach einer Gattin umsehen würde. Die jungen Frauen hatten ihre Aufmerksamkeit indes auf Wolfgang gelenkt, der mit finsterer Miene und verschränkten Armen auf der Bank saß und offensichtlich in Gedanken versunken war. Doch anstatt auch ihm zuzulächeln, warfen sie ihm verächtliche Blicke zu und imitierten seine Haltung und seinen Gesichtsausdruck, um sich offensichtlich über ihn lustig zu machen. Wolfgang war in Rabenfels als Außenseiter bekannt, der nur Roland als Freund betrachtete und diesem allein vertraute. Dies hatte mehrere Gründe. Zum einen war er der Sohn des Fürsten und jeder musste ihn respektvoll behandeln, selbst wenn sie ihn nicht leiden konnten. Dadurch hegten viele der Einwohner von Rabenfels einen leichten Groll gegen ihn, welcher sich im Laufe der Zeit in puren Hass verwandelte. Für jemanden, der außer, dass er adelig war, keine nennenswerte Erfolge vorweisen konnte, war sein Verhalten den einfachen Bürgern gegenüber unangemessen hochnäsig, fanden sie. Zum anderen war er, nachdem Balthasar verbannt und Clamming getötet worden war, der stärkste Kämpfer in Rabenfels, was die meisten Soldaten eifersüchtig machte. Nachdem sein Meister die Burg verließ wurde Wolfgang oft von ihnen herausgefordert, konnte sie jedoch alle besiegen. Dies war jedoch nur Öl für das Feuer des Hasses auf ihn und ließ es noch heller auflodern. Überall wurde Wolfgang, wenn er beispielsweise durch ein Dorf ritt, beschimpft und hinter seinem Rücken wurde über ihn gelacht. Als Roland ihn einmal deswegen befragte, sagte dieser nur verächtlich schnaubend: „Mich kümmert es nicht, was Gemeine über mich denken! Auch diese nichtsnutzigen Soldaten interessieren mich nicht. Ich werde eines Tages ihr Fürst sein! Dann werde ich ihr Anführer sein, nicht ihr Freund."
Auch von Frauen wurde Wolfgang stets gemieden, eine hatte ihm sogar, als er sie zum Tanz aufgefordert hatte, offen ins Gesicht gesagt: „Ich tanze nicht mit Hässlichen! Ihr seht aus wie ein Vogel, also wie euer Vater! Krumme Nase, lange, in Büscheln gewachsene Haare und dieser hirnlose Blick!"
Tatsächlich war Wolfgang oft mit seinem Vater verglichen worden, was ein weiterer Grund dafür war, dass sein Ansehen derart niedrig war. Fürst Kalhelm galt als grausamer, willkürlich handelnder Mann und Wolfgang würde angeblich gleich sein. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, ein bekanntes Sprichwort, dass Roland schon oft gehört hatte. Dennoch hatte der Ritter das Gefühl, dass sein Freund anders sein würde, sobald er den Thron bestieg. Wolfgang konnte sehr großzügig sein und war über die Verhaltensweisen seines Vaters ebenso entsetzt wie alle anderen. Dennoch war er ein Außenseiter und auch hier in Akkon, wo ihn niemand kannte, warfen ihm nicht nur die jungen Frauen, sondern auch die Passanten verächtliche Blicke zu.
„Den Weibern dort scheinst du zu gefallen, Roland! Es scheint ihnen egal zu sein, dass du hier einmarschiert bist und ihre Soldaten abgeschlachtet hast.", spottete Wolfgang.
„Dir scheinen sie es allerdings übel zu nehmen.", konterte Roland schlagfertig. Die beiden Ritter schauten sich kurz an und brachen dann in lautes Gelächter aus. Roland war bewusst, dass sein Freund ihn nur necken wollte, dennoch schien Wolfgangs Gelächter seine Augen nicht zu erreichen. Der Fürstensohn war es leid, dass er von jeder Seite misstrauisch oder auch feindselig beäugt wurde, dennoch schien dies seinem Humor nicht zu schaden. Sein Lachen erstarb jedoch sofort, als eine kleine Gruppe von Kandlers Söldnern sich vor sie stellte und der größte von ihnen sagte: „Die Weiber scheinen dich nicht zu interessieren, oh großer Wolfgang von Rabenfels. Mich dünkt, diese Seemänner dort drüben gefallen dir besser. Ihre muskulösen Körper, ihre starken Arme. Das scheint mir mehr in dein Beuteschema zu passen."
Wolfgang verzog keine Miene und antwortete: „Von einem Mann, der für Geld sogar tötet, scheinen mir diese Worte etwas widersprüchlich. Sag mir, Bursche, welche Sorte Schwert hieltet Ihr für einen großen Beutel Gold bereits in den Händen?"
Das Gesicht des Söldners lief rot an und er holte aus, um Wolfgang seine Frechheit heimzuzahlen. Doch der Ritter stellte seine Schnelligkeit erneut unter Beweis und schlug dem Mann blitzschnell in den Bauch. Dann packte er ihn am Nacken und rammte seine Stirn gegen die Bank. Die übrigen Söldner ergriffen ob Wolfgangs Brutalität schlagartig die Flucht und ließen ihren Kameraden im Stich. Als dieser wieder zu sich kam, erblickte er nur Roland und Wolfgang, letzteren mit einem Dolch in der Hand.
„In meiner Heimat hätte ich Euch einen Finger abgetrennt. Ihr habt noch einmal Glück gehabt, doch sollte ich Euch jemals dabei erwischen, wie Ihr erneut jemanden verhöhnt, werde ich es mir anders überlegen. Jetzt geh mir aus den Augen.", flüsterte Wolfgang.
Der Söldner suchte verängstigt das Weite und Roland fragte seinen Freund: „Warst du nicht etwas zu grausam? Der arme Teufel hätte beinahe seine Hose nassgemacht!"
„Mit solch unterbelichteten Menschen muss man brutal umgehen, sonst merken sie sich nichts!", antwortete Wolfgang kopfschüttelnd.
„Mit einem Adeligen wärst du nicht so harsch umgesprungen!", warf Roland ein.
„Man muss eine gewisse Etikette zeigen, sonst würden wir alle wie Tiere herumlaufen und unser Geschäft auf der Straße verrichten!", erwiderte Wolfgang und ging in Richtung ihrer Unterkunft.
„Willst du damit sagen, dass er nur, weil er sich wie ein Barbar verhält, keine angemessene Behandlung verdient?"
„Ich hab ihn doch angemessen behandelt!", war Wolfgangs Antwort.
DU LIEST GERADE
Der gottlose Ritter
Historical FictionDas Mittelalter war eine Zeit voller Krieg und religiöser Unterdrückung. Das einfache Volk arbeitete den ganzen Tag und ging hungrig zu Bett, während die Adeligen Feste veranstalteten. In dieser Epoche wächst Roland Wielus wohlbehütet heran und wähl...