Während die Knappen und Arbeiter die weitere Reise vorbereiteten, beschlossen Roland und Roderick ein letztes Mal durch die belebten Straßen Akkons zu spazieren. Obwohl die Stadt bereits erobert war, hatten sie sich bewaffnet, da es stets Widerstand in der Bevölkerung gab. Als Roland die spielenden Kinder und die sich unterhaltenden Passanten betrachtete, sagte Roderick plötzlich: „Warum bist du hier? Du scheinst mir kein Freund der Kirche zu sein, warum eroberst du in ihrem Namen was sie begehrt?"
„Ich weiß es nicht. Du liegst richtig, ich bin gegen die Kirche, doch welche Wahl habe ich? Mich weigern, zugeben, dass ich die Priester und ihre Anhänger verachte, anschließend exkommuniziert und getötet werden?", erwiderte Roland.
„Da liegst du richtig. Heimlichkeit ist in deinem Fall wohl die beste Lösung, auch wenn du in meinen Augen ein Heuchler bist. Was mich betrifft, so suche ich die Herausforderung und den Ruhm, die Unsterblichkeit, wenn du es so willst. Niemand soll meinen Namen je vergessen, weder meine Kinder noch deren Nachkommen. Sie sollen Geschichten über ihren größten Vorfahren erzählen, der mit seinem Zweihänder das Heilige Land erobert hat!", glorifizierte Roderick seine Kampffertigkeiten.
„Dafür willst du sterben? Tausende Soldaten sind in diesem Krieg gestorben und du glaubst, die Menschheit wird sich deiner erinnern? Du bist auch nur ein Halm im Kornfeld!", kritisierte ihn Roland.
„Du Narr! Ich überrage alle anderen allein schon aufgrund meiner Größe, von meiner Schwertkunst ganz zu schweigen! Meine Lebensweise wird ein Vorbild für andere sein! Mein Ehrgeiz, meine Leidenschaft und Aufopferung werden eine Inspiration sein!", prahlte der Hüne.
„Das sind große Worte! Sag mir, wie viele große Krieger kannst du mir nennen? Wie viele gab es wohl in Wirklichkeit? Glaubst du, niemand vor dir hat keinen Alkohol getrunken und Tag und Nacht sowohl seinen Körper als auch seine Kampffertigkeiten trainiert? Dennoch gibt es heute noch immer übergewichtige Ritter, die ihre Zeit in Tavernen und auf Gelagen verschwenden!", erwiderte Roland.
„Die Menschen werden schon irgendwann zur Vernunft kommen und das Rechte erkennen! Es hat doch jeder ein Gehirn, da wird doch jeder zu seinem eigenen Schluss kommen!", versuchte Roderick sich zu rechtfertigen.
„Du überschätzt die Menschheit. Die Gemeinen glauben alles was ihnen gesagt wird ohne darüber nachzudenken! Sie folgen blind ihren Herrn und Priestern, obwohl diese ihnen im Gegenzug nur harte Arbeit und wenig Brot bieten!", warf Roland ein.
„Vielleicht hast du Recht. Der gemeine Mensch ist schwach und nur wenige Leute heben sich von der Masse ab. Ich bin kein gottesfürchtiger Mensch, doch sollte man jedem seine eigene Wahl lassen! Egal ob Suff oder hartes Training, Glaube oder Unglaube, letzten Endes werden sie sich richtig entscheiden!", versuche sich Roderick zu behaupten.
„Welch Torheit von einem Mann, der mir die Augen geöffnet hat! Der Mensch wird stets den leichten Weg wählen! Man braucht deinen Ehrgeiz und deine Stärke, um täglich zu trainieren und die eigenen körperlichen und mentalen Grenzen zu überschreiten! Ist es nicht leichter, in die Taverne zu gehen und einen Humpen Bier zu bestellen? Oder dem Weg der Priester zu folgen, der Erlösung bietet, anstatt sich auf den Pfad der Ungewissheit zu begeben, der voller Dunkelheit und Zweifel ist?", sagte Roland.
„Ein vortreffliches Argument! Was dir an Kampfgeschick fehlt, gleichst du durch deine Schlagfertigkeit wieder aus!", lobte ihn Roderick und klopfte ihm auf die Schulter. Plötzlich kam eine Gruppe von Syrern aus einer Seitengasse und versperrte den Rittern den Weg. Sie trugen keine Rüstungen, waren aber mit Krummsäbeln bewaffnet, mit denen sie die Kreuzfahrer nun attackierten. Roderick machte sich nicht die Mühe, sein Schwert zu ziehen, duckte sich unter der Klinge hindurch und schlug seinem Gegner mit seiner gewaltigen Faust in den Bauch. Dieser ging keuchend zu Boden, wo ihn der Hüne mit einem Tritt gegen die Schläfe ausschaltete. Roland indes zückte sein Schwert und vollführte blitzschnell einen Ausfallschritt nach vorn. Sein Gegner reagierte zu langsam und konnte nur noch sehen, wie er von seinem Feind aufgespießt wurde. Der dritte Mann suchte schreiend das Weite und Roland warf einen Blick auf die Leiche. Dies waren keine Soldaten, sondern Bürger gewesen, die Widerstand gegen ihre Besetzer leisten wollten. Sie hatten zum ersten und letzten Mal ein Schwert in ihren Händen gehalten, weshalb Roland Mitleid mit ihnen empfand. Ebenso gut hätten sich Bauern gegen eine Horde Mamelucken wehren können. Roderick indes packte den Bewusstlosen auf seine breite Schulter und sagte: „Bringen wir ihn ins Lager. Mal sehen, ob er ein paar Informationen für uns hat."
„Er ist doch nur ein Rebell. Auch wir würden uns noch wehren, falls unsere Heimat von einem Feind unterworfen wird. Was gibt dir das Recht, ihn zu verhören?", fragte Roland skeptisch. Er hatte Mitleid mit dem Mann, der lediglich seine Heimatstadt verteidigen wollte und dem nun eine harte Folter drohte.
„Ich gebe mir das Recht, weil ich es war, der sein Leben gerettet hat. Du hättest ihn einfach aufgeschlitzt. Im Gegenzug für sein Leben soll er mir nun sagen, ob es noch weitere Rebellen gibt.", antwortete Roderick, wobei Roland den Euphemismus durchschaute und schroff sagte: „Ihm droht bald etwas schlimmeres als der Tod! Empfindest du kein Mitleid? Versetze dich in seine Lage!"
„Schweige, Roland. Wenn ich ihn laufen lasse, holt er seine Freunde und gemeinsam werden sie uns überfallen. Wir würden nicht einmal das Stadttor erreichen. Natürlich leiden die Bewohner unter der Besetzung, doch sie haben sich für eine Seite entschieden und verloren. Nun können wir machen was wir wollen, das ist das Recht des Stärkeren!", warf Roderick ein.
„Was ist mit der christlichen Nächstenliebe? Ich weiß, du bist kein Christ, dennoch ist es ein respektabler Wert!", versuchte Roland ihn umzustimmen.
„Nächstenliebe ist etwas für Feiglinge, die sich nicht trauen, über einem anderen zu stehen! Sie ist für Leute, die nicht allein sein wollen, weil sie zu viel Angst davor haben! Deshalb bleiben sie auf einer Ebene mit ihren Nächsten, egal ob Krüppel oder Irrer. Nur der, der Mut und Rückgrat besitzt, der sich traut, seinen Weg allein in seiner Geschwindigkeit zu gehen, wird wahre Stärke erlangen!", erwiderte Roderick und machte sich auf den Weg zum Lager.
„Trainierst du deshalb stets allein?", fragte Roland.
„Genau! Niemand kann bei meinem Trainingsplan mithalten! Ich bin der einzige der Fässer rollt und durch Seen schwimmt! Doch genug davon, ich muss diesen Ungläubigen ins Lager bringen, bevor er aufwacht!", beendete der Hüne die Diskussion und ging weiter, ohne Roland weiter zu beachten. Dieser dachte über die Worte Rodericks nach, konnte jedoch zu keinem gültigen Schluss kommen. Dass es keine Gerechtigkeit, kein richtig und kein falsch gab, wusste er bereits. Doch durfte man, einzig aufgrund der körperlichen Überlegenheit über die anderen bestimmen?
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Der gottlose Ritter
Historical FictionDas Mittelalter war eine Zeit voller Krieg und religiöser Unterdrückung. Das einfache Volk arbeitete den ganzen Tag und ging hungrig zu Bett, während die Adeligen Feste veranstalteten. In dieser Epoche wächst Roland Wielus wohlbehütet heran und wähl...