Kapitel 28

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Nachdem die Schlacht geschlagen und die Leichen vergraben wurden, betrachtete Roland das Schlachtfeld. Tausende Leichen von Mensch und Tier, Flaggen, die im Schmutz lagen und hunderte Vögel, die sich an den Kadavern labten. Es war ein Bild des Grauens, das die Frage aufwerfen ließ, warum all dieses Leid notwendig war. War es das Leben tausender Menschen wert, ein Land unter Kontrolle zu haben? Sich um noch mehr Aufständische und Banditen kümmern zu müssen, nur damit Pilger sicher reisen können? War dieser Krieg am Ende sinnlos? Plötzlich kam Wolfgang auf Roland zu, sein Gesicht hatte einen ernsten Gesichtsausdruck angenommen.

„Wir haben einiges zu bereden! Folge mir in mein Zelt, wir können die Toten später betrauern.", flüsterte er und Roland folgte ihm.

„Dieser Krieg ist völlig sinnlos, das erkenne ich leider erst jetzt. Genug Menschen sind für unsere nichtsnutzigen Könige gestorben, die aus purer Langeweile anderen Adeligen Fehde ansagen oder gleich in ein neues Land einmarschieren! Wie Spinnen sitzen sie in ihren Netzen und fangen einen jeden, saugen ihn aus und lassen seine wertlosen Hüllen fallen. Diese faulen Stubenhocker, die sich bloß aufgrund ihrer Geburt über andere stellen, widern mich an! Sie gehören zu den niedersten Lebensformen, leben vom Leid ihrer Untergebenen und bieten im Gegenzug nichts als Arroganz!", beschwerte sich Wolfgang, als sie beide in seinem Zelt Platz genommen hatten.

„Woher auf einmal diese harschen Worte? Zu Beginn unserer Reise warst du voller Ehrgeiz und konntest es nicht erwarten, dein Schwert mit dem Blut von Heiden zu benetzen!", erwiderte Roland skeptisch.

„Du hast Recht, Roland. Doch es ist besser seine Augen zu öffnen, solange es noch geht. Wenn ich erst in Rabenfels auf diesen Gedanken gekommen wäre, hätte das niemanden etwas gebracht. Nun können wir aber handeln und dieses sinnlose Abschlachten beenden!"

„Gibt es denn ein sinnvolles Abschlachten? Welchen Unterschied macht es, ob wir hier im Namen Gottes töten oder in Österreich ein paar Räuber eines Besseren belehren?", fragte Roland.

„Die Soldaten hier kämpfen ebenfalls für ihren Gott! Sie sind ehrliche Männer, die sich einer einmarschierenden Armee von einfältigen Eseln erwehren müssen! Wie viel könnten wir von ihnen lernen? Allein die Taktik, den Feind auf dem Pferd zu umkreisen und mit Pfeilen zu beschießen ist auf eine einfache Weise genial! Auch in der Fechtkunst sind sie nicht zu unterschätzen! Vielleicht werden Syrer und Europäer eines Tages zusammenarbeiten. Wir könnten sicher einiges von ihnen lernen und sie auch von uns, doch stattdessen schicken uns unsere Könige mit Waffen statt mit Büchern! Ganz im Gegensatz zu Räubern, die wehrlosen Bauern ihr Hab und Gut stehlen! Sie nutzen ihre Stärke aus, um sich an den Schwachen zu vergreifen, falls ihnen aber ein Soldat, der ebenfalls bewaffnet und im Kampf versiert ist, gegenübersteht, fliehen sie! Sie sind rückgratlose Feiglinge, ehrlose Ratten, denen niemand nachtrauert! Das ist der Unterschied, Roland! Wir messen unsere Stärke an anderen, um noch stärker zu werden oder zu sterben. Sie nutzen die ihre aus, um die Schwachen zu unterdrücken!", erklärte Wolfgang und fuhr fort: „Doch das ist nicht alles, worüber ich mit dir reden wollte. Wir werden uns aus diesem Krieg zurückziehen, doch werde dich nun darüber unterrichten, was wir in Rabenfels tun werden: Wir stürzen meinen Vater und ich nehme seinen Platz ein!"

„Wieso willst du deinen Vater so plötzlich stürzen? Du hast es zwar bereits erwähnt, dennoch bin ich verwundert darüber, dass du es nun in die Tat umsetzen willst.", fragte Roland verwundert.

„Mein ganzes Leben lang habe ich beobachtet, wie er seine Untergebenen behandelt hat, als wären sie Objekte. Er hat Köche in den Kerker geworfen, weil ihm ihr Essen nicht geschmeckt hat. Er hat seine Diener geschlagen und bei dem kleinsten Anzeichen von Widerstand aus ihrem Dienst entlassen. Die Bauern, die um einen Nachlass bei ihren Abgaben baten, hat er lachend fortgeschickt und ließ sie hungern. Du scheinst das nicht realisiert zu haben, aber mein Vater ist ein grausamer, skrupelloser Mann! Auch er zählt zu jenen faulen Fürsten, doch bei ihm haben wir die Chance, diese Farce zu beenden! Wenn du dich mir anschließt, können wir beide gemeinsam etwas verändern, anstatt wie gefesselt daneben zu stehen und zuzusehen! Ich werde die Ketten sprengen und diese Unterdrücker vom Antlitz dieser Welt tilgen!", erklärte Wolfgang, der immer aufgeregter wurde.

„Du willst deinen eigenen Vater ermorden und zudem noch Österreich von der Monarchie befreien? Bist du wahnsinnig geworden? Ich bezweifle nicht, dass der Großteil unserer Fürsten Nichtsnutze sind, die sich hinter ihren Soldaten und Burgen verstecken, während sie aus dem Schutz dieser heraus Kriege führen. Dennoch würden sie unseren Aufstand niederschlagen und somit wäre unser Tod zwecklos!", erwiderte Roland.

„Gutes Argument! Doch bedenke, wie lange willst du dieses System voller Ungerechtigkeit, das sich vom Leid der Masse ernährt und von wenigen Machthabern weiter angetrieben wird, noch tolerieren, ich behaupte sogar, unterstützen? Wenn wir Rabenfels erobern, setzen wir ein Zeichen und der Rest der Welt wird die Verwundbarkeit der Fürsten erkennen! Die Bürger werden erkennen, dass auch Adelige Schwächen haben und sie in Wahrheit nicht über ihnen stehen! Sollten wir Rabenfels erobern, wird unsere Botschaft sich verbreiten und ein neues Zeitalter einleiten, in dem die Starken über die Hochgeborenen triumphieren! Doch dafür brauche ich deine Unterstützung, Roland.", versuchte Wolfgang ihn erneut zu überreden.

„Lass mich erst darüber nachdenken! Das ist ein großer Schritt und ich weiß nicht, ob ich bereit bin, für eine so ungewisse Sache zu sterben.", antwortete der Ritter und verließ das Zelt, ohne Wolfgangs Antwort abzuwarten.

Roland konnte in dieser Nacht nicht schlafen und malte sich verschiedene Szenarien aus, wie ihr Aufstand, falls sie ihn wagen würden, verlaufen könnte. Für den Fall, dass sie Fürst Kalhelm überhaupt töten würden, gab es mehrere Möglichkeiten. Zum einen konnten die Fürsten gar Verständnis zeigen, da auch sie mit dem Fürst von Rabenfels unzufrieden waren. Zum anderen bestand der wahrscheinlichere Fall, dass sie Wolfgang als Gefahr ansahen und ihn mit vereinten Kräften besiegen und seine Botschaft somit zerschlagen würden. Wäre es das wert? Doch tief in seinem Inneren spürte er einen Trieb, einen Instinkt, der ihm sagte, er solle sich von seinen Fesseln lösen und sich gegen seine Feinde erheben. Es war wie eine innere Stimme, vielleicht Gottes Stimme, vielleicht sein Gewissen, die ihn nun dazu drängte, nach Rabenfels zu reiten und dort für seine Ansichten zu kämpfen! Niemand sollte sich mehr über den anderen aufgrund seiner höheren Geburt stellen. Niemand sollte die Wissenschaft behindern oder andere zu harter Arbeit zwingen, während er es sich in einem Schloss bequem macht. Insgeheim plante Roland, den Einfluss der Kirche zu blockieren, oder zumindest einzudämmen. Er wollte nicht mehr unter dem Joch der Autoritäten, die aus realitätsfremden Gründen an der Macht waren, sein Leben verbringen. Nun galt es aufzustehen und den Feind mit aller Kraft zu bekämpfen. Doch dafür mussten sie erst einmal Fürst Kalhelm besiegen. Mit dieser Erkenntnis schlief Roland zufrieden ein, bis am nächsten Morgen Wolfgang sein Zimmer betrat.

„Wie sieht deine Entscheidung aus? Bedenke jedoch, wenn du nicht für mich bist, so stehe mir wenigstens nicht im Weg!", begrüßte er ihn.

„Ich schließe mich dir an. Mögen uns die Fürsten auch für Jahre in den Kerker werfen und unsere Namen als Mörder beschmutzen, unsere Botschaft wird überleben!", antwortete Roland feierlich.

„Freut mich zu hören! Doch wir werden keinen offenen Aufstand anzetteln, das wäre töricht. Unsere Revolte wird in der Nacht stattfinden, es braucht nicht jeder Fürst von ihr zu erfahren, bevor wir überhaupt zugeschlagen haben!", sagte Wolfgang teuflisch grinsend.

Als er das Gesicht seines Freundes sah, das einen so tückischen Ausdruck angenommen hatte, fragte er sich plötzlich, ob es nicht ein Fehler war, Wolfgang auf den Thron zu setzen.


Der gottlose RitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt