Kapitel 14

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„Was Vater Heinrich angetan hat, ist unverzeihlich! Wir haben zwar beide die Gerüchte über seine Grausam- und Skrupellosigkeit gehört, aber deren Bewahrheitung hatte zumindest ich nicht erwartet. Roland, wenn wir das Heilige Land von diesen Ungläubigen befreit haben, müssen wir etwas gegen meinen Vater unternehmen.", sagte Wolfgang zornig, während sie Seite an Seite die Truppen von Rabenfels anführten. Doch der Gefragte antwortete nicht, er musste erst überlegen, wie seine Antwort lauten sollte. Wolfgang war natürlich im Recht, denn eine öffentliche Auspeitschung war definitiv eine zu harte Strafe für Heinrichs kleines Vergehen, dennoch ging er einen Schritt zu weit, wenn er seinen Vater vom Thron stoßen wollte. Roland musterte seinen Freund genauer. Ihm fiel auf, dass Wolfgang eine große Ähnlichkeit mit seinem Vater hatte, die gleiche krumme Nase, die gleiche Härte in den braunen Augen und auch die federartigen, dünnen Haare und die gebückte Haltung waren die Merkmale der Kalhelms. Doch nicht nur Äußerlich waren sie einander ähnlich, auch einige innere Eigenschaften hatten sie gemein. Nicht nur der Fürst war grausam, auch sein Sohn konnte zuweilen sehr grausam sein. Mehr als einmal musste Balthasar während des Trainings eingreifen, um seinen Schüler davon abzuhalten, auf einen Übungspartner, der bereits wimmernd am Boden lag, einzuschlagen. Auch den Angriff auf den vierschrötigen Bürger während der Verhandlungen auf dem Marktplatz zeugte von Wolfgangs Wildheit. Wenn man diese Gemeinsamkeiten betrachtete, fing man leicht man zu zweifeln ob dieser einen besseren Herrscher abgeben würde. Dann dachte er über sich selbst nach. Im Gegensatz zu Wolfgang hatte er kurz geschorenes Haar und auch sein Bart war sehr gepflegt. Weder seine Nase noch sein Rücken waren so krumm wie der seines Freundes und seine Augen, ebenfalls braun, strahlten eher Sanft- als Wildheit aus. Doch innerlich waren sie einander nicht so verschieden. Auch Roland stand in einem momentan noch innerlichen Konflikt mit seinem Vater, der als gerechter und gottesfürchtiger Herrscher galt. Er hatte die Schuld am Tod seines Bruders noch nicht überwunden, beinahe jede Nacht träumte er von diesem Tag. Seiner Ansicht nach war sein Vater dafür verantwortlich, denn er hatte seine Söhne an die Höfe unterschiedlicher Fürsten geschickt, mit dem Wissen, dass diese eventuell eines Tages gegeneinander kämpfen müssen. In diesen Gedanken versunken merkte Roland nicht, dass ihn sein Freund anstarrte, da er auf eine Antwort wartete.

„Du hast Recht, Wolfgang. Heinrichs Strafe war viel zu grausam, wenn überhaupt hätte er dich auspeitschen lassen sollen, weil du dich von einem Knappen hast besiegen lassen.", spottete er grinsend.

Wolfgang wurde rot und sagte: „Ich habe einfach nicht mit meiner ganzen Kraft gekämpft. Nur ein Narr verschwendet seine ganze Energie in einem Kampf mit einem unterlegenen Gegner."

„Er hat dir aber ganz schön zugesetzt. Der Schlag, mit dem er dich ausgeschaltet hat, hätte sogar Roderick umgehauen.", antwortete Roland.

Während sein Freund sich eine passende Antwort überlegte, warf er einen Blick über die Schulter und betrachtete den Trupp der ihnen folgte. Kalhelm hatte ihnen zwei Drittel seines Heeres zur Verfügung gestellt, des Weiteren hatte er einen Trupp Söldner angeheuert und auch einige Bauern und Handwerker hatten sich ihnen angeschlossen. Die Soldaten von Rabenfels trugen lederne Wappenröcke, darunter hatten sie Kettenhemden, die allesamt von dem Schmied Waldemar geflickt und poliert waren. Manche trugen Lederkappen auf ihren Köpfen, andere in der Sonne glänzende Eisenhelme. Auf ihren Schilden und Wappenröcken war der Rabe mit gespreizten Flügeln auf rotem Grund zu sehen, das Emblem von Rabenfels. Die Soldaten sahen zufrieden aus, für sie war es eine Ehre für ihren Gott und ihre Heimat zu kämpfen. Die Söldner dagegen boten ein anderes Bild. Ihre Rüstungen bestanden zum Großteil aus löchrigen, alten Lederwesten, Helme trugen nur wenige. Ein paar trugen Kettenhemden, doch diese waren rostig und man konnte sehen, dass sie schon sehr lange benutzt und nie repariert worden waren, denn oft fehlten einige Glieder, was zu großen Löchern führte. Ein gefundenes Fressen für Speere, Dolche und Schwertspitzen. Auch ihre Schwerter hatten bereits bessere Tage gesehen. Diese Männer hatten Glück, wenn sie die erste Schlacht überlebten und danach ungehindert die ersten feindlichen Dörfer plündern konnten. Natürlich waren auch Ausnahmen darunter, einer der Söldner trug sogar eine komplette Rüstung, mitsamt einem Wappenrock aus Marderfeste. Dieser Mann hatte oft an Turnieren teilgenommen und war anscheinend immer als Sieger hervorgegangen. Um die zivilen Truppen machte sich Roland allerdings große Sorgen. Die Söldner waren an ihr blutiges Handwerk gewöhnt und auch wenn ihre Ausrüstung ein großer Nachteil für sie war, konnten die meisten doch sehr gut kämpfen und hatten schon an zahlreichen Schlachten teilgenommen. Diese Erfahrung würde ihnen helfen zu überleben. Doch die Bauern und Handwerker hatten bisher ein relativ gesehen behütetes Leben fernab von Krieg und Schlachten geführt. Zwar waren sie an harte Arbeit und Entbehrungen gewöhnt, doch einen Acker zu pflügen und ein Schwert zu schwingen sind unterschiedliche Dinge. Sie folgten den Truppen in ihrer Alltagskleidung, meist nur eine löchrige Stoffhose und ein schmutziges Leinenhemd. Sie hatten weder Rüstungen noch Schwerter, nur Mistgabeln und Knüppel. Trotzdem strahlten ihre Gesichter vor Freude darauf, ihrem Herrn dienen zu können, auch wenn jeder von ihnen dabei den Tod finden würde. Dieser Wille fand seinen Ursprung in ihrem Glauben an Gott, denn Jakob hatte sie geschickt manipuliert, indem er sagte, das Heilige Land zu erobern würde ihnen einen Platz im Himmel sichern und sie vor dem Feuer der Hölle bewahren. Roland musste bei dem Gedanken daran lächeln. Er war schon längst nicht mehr sicher, was oder besser gesagt an wen er noch glauben sollte, denn der von dem Priester gefürchtete Einfluss Clammings hatte gekeimt und Wurzeln geschlagen, die sich nun ihren Weg aus Gottes Garten suchten. Die meisten würden sagen Roland sei einfach nur verbittert, doch er war stolz darauf sagen zu können, dass ihn all seine Erlebnisse und Kämpfe auf den Weg geführt haben, auf dem er nun war. Innerlich hatte er sich von der Kirche bereits abgeschworen, doch eine Veröffentlichung dieser Meinung würde für ihn den sicheren Tod bedeuten. Als die Streitmacht die Grenze zu Ungarn erreichte, trafen sie auf den Fürsten Kandler von Marderfeste mit seinen Männern, die bei genauerer Betrachtung jedoch nur einfache Söldner waren. Er war nach Fürst Galarider der beste Stratege des Landes und nach dessen Tod war sein Banner, das einen silbernen Bären auf dunkelblauem Grund zeigte, noch gefürchteter. Als er Roland und Wolfgang erblickte, befahl er seinen Truppen zu halten und ritt, flankiert von seinem Hauptmann und seinem Sohn, auf sie zu.

„Seid gegrüßt, tapfere Recken von Rabenfels. Es freut mich zu sehen, dass Fürst Kalhelm so viel Vertrauen in euch hat, dass er euch schickt, um das Heilige Land zu befreien." ,sagte er mit einem schelmischen Lächeln.

Wolfgang antwortete mit ruhiger Stimme: „Gott grüße euch, edler Fürst von Marderfeste. Wie ich sehe, hat die letzte Fehde eure Kassen prall gefüllt, so viele Söldner habe ich selten gesehen. Konnten eure Soldaten eure Hochnäsigkeit nicht mehr ertragen?"

Das Lächeln auf Kandlers Gesicht erstarb für einen Augenblick, dann fuhr er erneut mit einem breiten Grinsen fort: „Ihr habt wohl viele Männer in dieser Fehde verloren, ansonsten müsstet Ihr dieses Gesinde nicht dafür bezahlen, in ihren sicheren Tod zu reiten. Es war töricht von eurem Vater, überhaupt darauf einzugehen. Sonst hättet ihr noch viele tapfere Männer, unter anderem den großen Clamming. Um ihn tut es mir besonders leid, doch immerhin habe ich zu meiner Rechten seinen Leutnant."

Wolfgang erstarrte das Blut in den Adern, als er den Mann erkannte, mit dem er oft Seite an Seite gekämpft hatte. Clammings Anhänger hatten nach dessen Tod die Burg verlassen und waren teils Söldner geworden, teils hatten sie sich anderen Fürsten angeschlossen. Wolfgang hasste Verräter und als er den herausfordernden Blick des Leutnants sah, packte ihn eine unglaubliche Wut und er knurrte: „Mit Verrätern zu paktieren ist eine schlechte Idee, Fürst Kandler. Dieser Mann sollte geköpft werden! Lieber überlasse ich Jerusalem den Heiden als es in den Händen eines Mannes wie ihm zu sehen!"

„Gebt Acht auf eure Worte, Junge! Ich bewundere zwar Kalhelms Vertrauen, als er euch zwei Narren den Befehl über seine Männer gab, doch ich verabscheue seine Torheit.", war die provozierende Antwort.

„Ihr seid genauso eitel wie dämlich, Kander. Ich gebe euren Männern eine Woche in der Wüste, bevor sie kehrtmachen und euch und euren Freund mit einem Dolch im Rücken zurücklassen."

Mit diesen Worten riss er sein Pferd herum und befahl seinen Männern, weiterzumarschieren. Sie hatten noch einen weiten Weg vor sich und Wolfgang war der Meinung, dass ein Gespräch mit Kandler nur Zeitverschwendung war. Doch Roland, der den Fürsten zwar genauso wenig mochte, fragte sich, ob es nicht doch ein Fehler war, den Fürsten zu verärgern.

Der gottlose RitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt