Kapitel 15

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Roland und seine Truppen waren nach zwei Wochen in der Stadt Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, angelangt. Fürst Kalhelm hatte ihnen befohlen, sich dort mit dem Fürsten von Frostspitze zu treffen. Sein Name war Björn Haasten und er war einer der sagenumwobensten Lehensmänner Österreichs. Seine Burg stand auf einem hohen, beinahe unzugänglichen Berg, den bis auf ihn und seine Männer nie ein Feind erklimmen konnte. Haasten war zwar die meiste Zeit ein ruhiger, gebildeter Mann, der stundenlang vor dem Kamin Bücher las, wurde aber, falls es nötig wurde, von einer beinahe tierischen Wildheit gepackt und nur wenige seiner Gegner konnten über seine Kampfkraft berichten. Angeblich kämpfte er wie ein Berserker, doch nutzte auch Taktiken, auf die ein Stratege wie Kander oder Galarider eifersüchtig gewesen wären. Diese Kombination machte aus ihm einen der mächtigsten Krieger ganz Europas. Doch zu seinen Ungunsten gab es über seine Wildheit ebenso viele hanebüchene Geschichten wie über seine Verlässlichkeit. Angeblich war er einmal bei einem Krieg nicht erschienen, weil er zu faul war, den Brief eines Boten zu lesen oder er schlief während einer Belagerung seiner eigenen Burg. Über den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten ließ sich streiten, sicher war aber, dass nun in Sofia, während sich halb Europa auf den Weg nach Syrien machte, von ihm keine Spur zu finden war. Als Wolfgang sah, dass die Sonne bald untergehen würde, fing er damit an, eine Herberge für seine Soldaten zu suchen. Zum Glück gab es einige Gaststätten und die bulgarischen Wirte meinten bald, dass sie noch nie so viele Reisende bei sich aufgenommen hatten. Roland erblickte, als er durch die Straßen spazierte, ein wurmstichiges Holzschild, auf dem stand „Zum blitzenden Säbel", vor dem ein Mann in einem hellblauen Wappenrock, an dessen Hüfte ein Schwert hing stand, der mit dem Wirt heftig gestikulierend stritt. Neben dem Ritter stand ein Mann in einem edlen Gewand, der etwas in einer fremden Sprache sagte. Schließlich wandten sich der Mann in dem Wappenrock und sein Gefährte von dem Wirt ab und gingen geradewegs auf Roland zu. Der Ritter sagte zu ihm mit einem abschätzigen Blick: „J'ai un probleme. J'ai besoin d'un auberge."

Als der Gefährte des Mannes Rolands verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, da er kein Französisch sprach, sagte er: „Wir sind Ritter aus Paris und wir brauchen eine Unterkunft für die Nacht. Leider sind alle Herbergen besetzt und in dieser sind nur Bauern, weswegen wir den Wirt baten, sie rauszuwerfen und uns einzulassen. Dieser war jedoch entsetzt und sagte, es gäbe sicher einen Stall in dem wir nächtigen könnten. Da dies unserem Rang jedoch nicht entspreche, befahl ich ihm, dieses Gesinde hinauszuwerfen. Da wurde er laut und zeigte auf euch, da diese Bauern anscheinend zu eurem Trupp gehören. Deshalb bitte ich euch im Namen Philipps des Zweiten, uns die Herberge zu überlassen."

Roland dachte kurz über die Aussage des Franzosen nach. Sie waren augenscheinlich der Ansicht, dass sie hier, fernab von Frankreich, immer noch die Macht besaßen, Befehle zu erteilen. Die Tatsache, dass die Österreicher vor ihnen hier waren, schien sie nicht im Geringsten daran zu hindern, ihren Platz einzufordern. Eine derartige Arroganz zu tolerieren war, als würde man einen Verbrecher auch noch dafür loben, gerade jemanden ermordet zu haben, weshalb Roland entschlossen sagte: „Wir waren zuerst hier, deshalb werden wir euch keinen Platz machen. Seht, dort hinten ist ein Stall, dort werden eure Männer schlafen können."

Der Dolmetscher übersetzte dies dem Ritter, daraufhin schrie dieser empört auf und flüsterte seinem Gefährten etwas zu. Dieser sagte: „Der ehrwürdige Jaques fordert euch zum Duell heraus. Da wir keinen Ärger mit den Wachen wollen, wird dieses mit den Fäusten ausgetragen. Die Männer des Siegers werden in der Herberge schlafen. Nehmt ihr an?"

Roland war zwar der Meinung, dass der Franzose im Unrecht war, doch ihm schien, als wär sein letzter Kampf Jahre her und so zog er seine Handschuhe aus und sagte: „Ja. Dann soll euer Pariser Ritter einmal zu sehen bekommen, wie sich die Männer Österreichs schlagen!"

Dann fing das Duell an. Zuerst umkreisten sich die Gegner nur und beobachteten einander. Roland hatte die Fäuste erhoben und hatte das linke Bein vorne, auf das er sein Gewicht verlagert hatte. Der Franzose stand breitbeinig da und hielt seine Hände auf Höhe der Schultern. Dass er nur dem Titel nach ein Ritter war, merkte man aber nicht nur an seiner ungeschickten Körperhaltung sondern auch an dem dicken Bauch und dem roten Gesicht, Merkmale für einen Trinker. Nun holte der Franzose mit seinem rechten Arm weit aus und versuchte Roland eine Ohrfeige zu verpassen. Doch Roland sprang zurück, wartete, spannte sein linkes Bein an, schnellte nach vor und nutzte den Schwung, um seinem Gegner einen rechten Haken zu verpassen. Der Franzose, der seinen Arm nicht mehr rechtzeitig nutzen konnte, um den Schlag zu blocken wurde von der Faust seines Feindes an der Schläfe getroffen und taumelte zurück. Roland nutzte die Gelegenheit und ließ einen niederen Tritt folgen, der das Schienbein seines Gegners traf, woraufhin dieser sein Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Doch er rappelte sich sofort wieder auf, sammelte sich kurz und schwang seine rechte Faust von unten nach oben, um Roland einen Kinnhaken zu geben. Dabei stand er jedoch weder seitlich, noch hob er seinen linken Arm um sich zu verteidigen, weshalb Roland, der seitlich stand und somit weniger Angriffsfläche darbot, erneut vorsprang und seine Faust in die Magengegend des Franzosen grub. Als sich dieser keuchen nach vorne beugte, schlug er ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, packte ihn dann an seinem Pferdeschwanz, riss ihm den Kopf in den Nacken und schlug ihm mit der Faust auf die Nase. Als sein Gegner wimmernd am Boden lag, sagte er zu dem Dolmetscher: „So einem Großmaul gehorcht ihr?", dann ging er zu den Bauern, um zu sehen ob alles in Ordnung war und kehrte dann zu seiner eigenen Herberge zurück. Unterwegs sah er den Franzosen wieder, der ihn nur zornig ansah, sich dann jedoch unbewusst an die Nase griff und von dannen zog. In der Herberge wurde er von Wolfgang empfangen, der ihn kritisch musterte und fragte: „Warst du noch im Bordell oder was? Hast du den Bauern noch eine Geschichte vorgelesen? Was ich eigentlich sagen will ist, wo warst du?"

„Da war ein Franzose der meinte, es wäre meine Pflicht, die Herberge der Bauern seinen Rittern zu überlassen. Daraufhin habe ich ihm gezeigt, was ich von Arroganz halte.", antwortete Roland lächelnd.

„Du hast also unsere Verbündeten im Kampf gegen die Heiden verärgert. Das war taktisch unklug von dir. Wir brauchen jeden Mann, wenn wir gewinnen wollen!", sagte Wolfgang verärgert.

„Kander zu beleidigen war auch eine Torheit. Er ist einer der besten Strategen Europas und einen solchen hätten wir jetzt, da Balthasar und Clamming nicht mehr in unserer Armee sind, dringend gebraucht.", erwiderte Roland.

„Stimmt auch wieder. Allerdings hätten wir uns heute mit Haasten treffen sollen, wo auch immer der wieder ist. Vater war zwar der Meinung, dass wir ihm vertrauen können, aber ganz sicher bin ich mir da nicht. Ich zähle trotzdem auf ihn, vor allem weil Roderick in seiner Armee ist und ohne ihn würden wir diesen Krieg verlieren.", sagte Wolfgang begütigend. Dann legten sich die Ritter schlafen und Roland schrieb noch in seinem Tagebuch.

Am nächsten Morgen wachte Roland erfrischt auf und sah aus dem Fenster. Sofia war wunderschön, doch auf der Straße vor ihm sah er einen Trupp von Rittern in hellblauen Wappenröcken. Vor diesem standen ein Fahnenträger und die zwei Franzosen vom Vortag. Sie warfen ihm einen hasserfüllten Blick zu, dann zogen sie weiter. Als das Tor geöffnet wurde, um die Franzosen hinauszulassen, stürmte ein Trupp Ritter mit langen Bärten und in der Sonne blitzenden Äxten und Schwertern unter lautem Geheul, das den von Wölfen glich, in die Stadt. Das konnte nur eines bedeuten: Björn Haasten war endlich gekommen.


Der gottlose RitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt