Die Sonne war gerade erst aufgegangen, dennoch waren die Truppen von Rabenfels und Frostspitze bereits auf dem Weg in die Stadt Akkon. Diese war taktisch sehr wichtig, denn sie war leicht zu verteidigen und über den angrenzenden Hafen konnten Schiffe mit Vorräten und Soldaten landen. Momentan waren Richard Löwenherz und andere europäische Herrscher damit beschäftigt, die Stadt zu erobern. Mit der Eroberung Akkons wollten sie eine Wende in den Krieg bringen,denn nach der Schlacht von Hattin hatte Saladin die Oberhand gewonnen. Doch Rolands Gedanken waren momentan mit etwas anderem beschäftigt, nämlich damit, was der Templer Ferdinand über Gerechtigkeit wusste. Als er diesen schließlich fragte, lautete die Antwort folgendermaßen: „Herr Wielus, mir scheint, Ihr besitzt die Fähigkeit des eigenständigen Denkens doch nicht. Wenn eure Ansichten darin bestehen, dass die Kirche falsches Gedankengut verbreitet, dann braucht Ihr diese Frage nicht zu stellen."
„Ich war stets der Meinung, dass die Geistlichen uns mit dem Wort Gottes manipulieren, doch dass es weder einen Gott noch Gerechtigkeit, Ehre oder Moral gibt, habe ich nie behauptet! Natürlich lehne ich mich gegen Manipulation und Engstirnigkeit auf, doch alles, was mir über die Welt und Gott beigebracht wurde, zu verteufeln steht auf einem anderen Blatt!", entgegnete Roland kopfschüttelnd.
„Dann seid Ihr nur ein weiterer Narr! Zu viele Menschen denken zu oberflächlich. Sie sehen, dass etwas nicht stimmt, in diesem Fall die Manipulation und Korruption, und lehnen sich dagegen auf. Sie sehen einen Fehler und fixieren sich auf diesen, ohne zu bemerken, dass dieser durch einen größeren Fehler beschützt wird. Denn wenn ein Priester vor Gericht geworfen wird, so heißt es, er habe Gottes Wort missbraucht und werde nun durch dieses seine Strafe erhalten. Doch seit kann die Leere sprechen? All die Könige, Fürsten und Ritter erkennen nicht, dass sie für nichts kämpfen! Es gibt keinen Gott, der uns beschützt und leitet. Der uns nur so viel auferlegt, wie wir ertragen können. Niemand vergibt uns unsere Sünden, selbst wenn es so etwas überhaupt gebe. Seid Ihr so einfältig, dass Ihr an diesen Lügen festhaltet?", sagte Ferdinand leise.
„Von welchen Lügen sprecht Ihr, Heide? Eure Versuche, Roland zu verwirren werden fruchtlos sein, dass ist euch doch klar? Templer sind wie ein verwundetes Tier, das man in die Ecke gedrängt hat! Sie wissen von ihrem baldigen Ableben, doch sie kämpfen noch und versuchen, so viele Menschen wie möglich mit ihren giftigen Zähnen zu beißen!", spottete Wolfgang, der sie gerade eingeholt hatte.
Der Templer warf ihm einen listigen Blick zu und sagte: „Ihr scheint mir ein Mann zu sein, der die Hand beißt, die sie durch die Wüste führt. Ein solch närrisches Verhalten ziemt einem Ritter von eurem Status nicht, oder?"
Eine solche Behandlung war der Fürstensohn nicht gewohnt und so schrie er zornig: „Verdammte Teufelsbrut! Ich wusste von Anfang an, dass man einem Templer nicht trauen kann. Euch anderen ist es nicht aufgefallen, doch was war das Hauptargument Haastens, als er uns zu diesem Halsabschneider geführt hat? Er kennt sich hier aus und wird uns unbeschadet durch das Heilige Land führen! Nichts davon entspricht der Wahrheit und nun sitzen wir hier mitten im Nirgendwo fest und hoffen darauf, dass hinter der nächsten Sanddüne kein Trupp Heiden auf uns wartet!"
Roland schienen diese Argumente schlüssig, denn wären sie nicht angegriffen worden, so würden viele Männer, darunter auch sein Knappe Heinrich, noch leben. Doch Ferdinand lächelte nun und sagte: „Ihr seid wohl der Meinung, dass es einen Weg gibt, auf dem keine Wegelagerer unterwegs sind. Saladin zieht seine Truppen zusammen und es ist taktisch klüger, einen Wolf einzeln anzugreifen, anstatt zu warten, bis sich sein Rudel versammelt hat. Nur ein Narr würde glauben, dass dieser Krieg wenige Opfer haben würde und dass eure Armee einfach sorglos durch die Wüste reitet, bis sie Arsuf erreicht hat, um dort dann einfach Saladin zu besiegen. Sagt mir, Fürstensohn Kalhelm, habt Ihr bereits darüber nachgedacht?"
Man sah Wolfgang an, dass er zwar scharf nachdachte, ihm aber trotzdem kein Argument einfiel und so warf er dem Templer einen hasserfüllten Blick zu und ließ sich zurückfallen, um mit Balthasar Kampftechniken zu besprechen.
„Du bist so schlagfertig wie immer! Dem hast du es aber gezeigt, ich hätte mich fast totgelacht, als er schmollend davongeritten ist!", sagte Haasten plötzlich.
Ferdinand grinste breit und sagte bescheiden: „Herr Kalhelm ist nur ein Welpe, mein Fürst. Ihr glaubt doch nicht etwa, dass mir sein heiseres Bellen Angst macht. Mich wundert es, dass der Fürst von Rabenfels so viel von seinem Sohn hält, obwohl er so ein Schwachkopf ist."
Roland hatte das Gefühl, dass er seinen Freund verteidigen müsste und warf ein: „Wolfgang ist einer der ehrbarsten Männer die ich kenne. Er hat mir schon oft das Leben gerettet und auch wenn seine Ansichten teilweise etwas engstirnig sind, so ist er doch kein Narr und durchschaut mehr als manch anderer."
Erneut musste der Templer lächeln und sagte: „Herr Wielus, ich kenne niemanden der so schnell die Seiten wechselt wie Ihr. Vorhin sprachen wir noch darüber, wie einfältig die Gläubigen sind und nun verteidigt Ihr eben jene."
Hilfe suchen sah Roland Haasten an, doch dieser schmunzelte und sagte: „Wolfgang ist genau wie sein Vater. Stur, engstirnig, aber doch intelligent. Der Fürst ist jedoch ein besserer Redner und um einiges listenreicher, doch Wolfgang ist ein besserer Kämpfer."
Er unterbrach seine Rede, als er Rolands fragenden Blick sah.
„Fürst Kalhelm war einst ein mächtiger Krieger, doch als er seine Lehen erhalten hatte, zog er sich immer mehr aus dem Kampf zurück. Inzwischen ist er nur noch ein gebrechlicher alter Mann, der froh ist, wenn er morgens aus dem Bett kommt.", fuhr er fort. Ferdinand bekam einen derartigen Lachanfall, dass er fast vom Pferd fiel, doch Roland wurde allmählich wütend und meinte: „Fürst Haasten, Ihr verhaltet Euch wie ein sittenloser Tunichtgut. Ein derartig unhöfisches Benehmen sah ich selten unter Adeligen! Wenn Wolfgang hören würde, wie Ihr über seinen Vater redet, so würde er euch die Kehle aufschlitzen!"
Nun konnte sich auch Haasten vor Lachen kaum auf dem Sattel halten und spottete: „Wolfgang könnte mir nicht einmal ein Haar krümmen, wenn ich es vom ihm verlangen würde! Warum glaubt Ihr, führe ich in meinem fortgeschrittenen Alter noch Männer in den Krieg? Mein Körper ist zwar älter geworden, doch meine Muskeln sind noch gleich hart wie in meiner Jugend. Einen Nichtsnutz wie Wolfgang würde ich mit einer Hand in den Boden rammen!"
Allmählich hatte Roland genug davon gehört, was für ein Schwächling und Idiot sein Gefährte doch war. Haasten und Ferdinand konnten von ihm aus auf ewig über Wolfgang lachen, für ihn stand jedoch fest, dass dieser nicht nur ein guter Kämpfer war, sondern auch Prinzipien folgte und von diesen nicht ohne weiteres abließ. Natürlich konnte er zuweilen hitzköpfig und stur sein, doch diese Eigenschaften hatte er von seinem Vater geerbt und es war ein Ding der Unmöglichkeit, diese einfach abzustellen. Doch manchmal fragte sich Roland, was in Wolfgang wirklich vorging. Es hatte zwar den Anschein, dass dieser gläubig und der Kirche und seinem Vater treu ergeben war, doch hatte ihm sein Freund selbst erzählt, dass er Fürst Kalhelm stürzen wollte. Somit stellte sich diese Unterwürfigkeit als Illusion heraus. Auch Roland war als guter Christ bekannt, doch in seinem Inneren war er das Gegenteil von dem, was man unter einem solchen verstand. Vielleicht war Wolfgang auch ein Feind der Kirche und trug seine augenscheinliche Frömmigkeit nur als eine Maske, um seine wahren Ansichten zu verbergen. Denn beide Ritter hatten zum Großteil das Gleiche durchgemacht und wenn Roland durch seine Erlebnisse anfing, an der Kirche zu zweifeln, warum dann nicht auch sein Freund? War auch Wolfgang ein Zweifler und konnte man seinen Hass für die Templer damit erklären, dass sie gläubig waren und für das Christentum auf ein Leben in Sicherheit und Freiheit verzichteten?
Diese Fragen stellte sich Roland, doch auf einen Ruf Ferdinands hin, war er sich nicht mehr sicher, ob er sie jemals mit seinem Gefährten besprechen konnte.
Denn vor ihnen lag die Stadt Akkon, welche von den Truppen des legendären Richard Löwenherz und anderen Kreuzfahrern, darunter Leopold der Fünfte von Österreich, belagert wurde.
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Der gottlose Ritter
Historical FictionDas Mittelalter war eine Zeit voller Krieg und religiöser Unterdrückung. Das einfache Volk arbeitete den ganzen Tag und ging hungrig zu Bett, während die Adeligen Feste veranstalteten. In dieser Epoche wächst Roland Wielus wohlbehütet heran und wähl...