4. Kapitel

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Ich schaute zu Ben, in sein wundervolles Gesicht und zu dem Jungen, der mich mein ganzes Leben lang unterstützt hat und ich hatte ihm immer wieder wehgetan. Ich war so sauer auf Nick, aber die Wut auf mich selber ließ die Wut auf Nick verbleichen. Ich war so blind vor Liebe. Ich hatte mich komplett in diese dumme Beziehung reingesteigert und hatte dabei komplett meinen besten Freund im Stich gelassen. Er hatte mir immer gesagt, dass Nick ein Arsch war, aber ich konnte und wollte ihm das einfach nie glauben.

Und jetzt, jetzt wo ich schon halb tot bin, bemerke ich erst, welchen Personen ich meine Liebe hätte schenken sollen. Ben, er war immer für mich da, selbst jetzt noch, wo ich einfach nur so da liege, in meinem Krankenbett, an 10.000 Maschinen mit Schläuchen angeschlossen. Er glaubte an mich, dass ich wieder aufwachte, was ich von einigen anderen Personen, wie zum Beispiel Nick, nicht sagen konnte.

Scheiße, warum wach ich denn nicht auf? Ich will Ben doch nur einmal sagen können, dass er nicht Schuld am ganzen ist! Er hat es verdient, dass ihn jemand den er liebt in den Arm nimmt. Und ich würde das so gerne tun, aber es ging ja nicht, oder? Sollte ich es probieren? Er saß immer noch an meinem Bett und streichelte über meine Hand und lächelte mich, so als ob er dachte, dass ich jeden Moment aufwachte und in sein lächelndes Gesicht sehen konnte.

Doch innerlich war Ben ein Wrack, ich wusste nur zu gut wie er sich fühlte. Ich ging zu ihm rüber und hockte mich vor ihn hin. Mit dem in den Arm nehmen wurde nichts, aber ich wollte ihm ja auch nur einfach zeigen, dass er nicht alleine ist. Ich streichelte mit meiner Hand über seine rechte Wange. Das hat er früher immer bei mir getan, wenn er mir etwas Wichtiges sagen wollte. "Ben, es war nicht deine Schuld! Es war meine. Bitte, gib mich nicht auf, ich bin noch hier."

- Bens Sicht-

Ich spürte eine Hand, die über meine Wange streichelte und zwar genauso wie ich es immer bei Amelie getan hatte. Die Hand war warm und ich fühlte mich sofort geborgen. Dann hörte ich auf einmal ihre Stimme, die zu mir sagte: "Ben, es war nicht deine Schuld! Es war meine. Bitte, gib mich nicht auf, ich bin noch hier." Amelie. Das war ihre Stimme, ich würde sie unter tausenden erkennen. Sie war noch hier? Hier. In diesem Raum, sie hat mich berührt und mit mir gesprochen, aber sie lag noch genauso da, wie eben. Wie? Wie ging das? Was sollte ich jetzt tun? Sie war noch hier. Dieser Gedanke machte mich wirklich glücklich, denn ich hatte mir schon schlimmes ausgemalt.

Ich wollte am Anfang gar nicht daran denken, dass sie vielleicht nicht mehr aufwacht, doch ich habe immer an sie geglaubt und daran, dass sie es schafft. Ich hatte immer gedacht sie würde mich nicht alleine lassen hier auf der Welt. Ohne sie wäre ich verloren. Ich war so in Gedanken, als ich plötzlich durch lautes Piepen erschreckt wurde. Es war sie, sie piepte... Nein ihre Maschinen piepten, die Maschinen an die sie angeschlossen war. Bis ich begriff was hier vor sich ging, schubsten mich Ärzte, die ins Zimmer stürmten zur Seite und ich flog fast hin.

Zwei Schwestern nahmen mich mit vor die Tür und ich sah nur, wie die Ärzte versuchten Amelie wiederzubeleben. Ich konnte meinen Augen nicht trauen und wollte nochmal hinsehen, ob das gerade wirklich passierte, doch da wurden auch schon die Gardinen vor das Fenster gezogen. Das konnte doch jetzt nicht wirklich sein, oder? Sie hatte doch noch eben zu mir gesagt, dass ich sie nicht aufgeben sollte und jetzt, jetzt versucht sie zu sterben? Das darf sie nicht! Und schon flossen mir Tränen die Wangen herunter wie Wasserfälle. Ich brüllte laut: "Neeeeeiiiiinnnn!" Und wurde von jemandem in den Arm genommen. Ich hatte wieder dieses wohltuende Gefühl wie vorhin uns riss die Augen auf, doch es war niemand da.  Aber ich konnte es doch fühlen.

- Amelies Sicht-

Ich riss mich von Ben los, als ich hörte, dass die Maschinen anfingen zu piepen. Was nein. Ich stand neben mir uns sah zu wie die Ärzte in das Zimmer rannten und dabei Ben umschubsten. Zwei Krankenschwestern brachten den sehr aufgebrachten Ben nach draußen und er wusste gar nicht was gerade passiert. Ich sah wie die Ärzte mein Totenhemd aufrissen und mich mit einem Defibrillator wiederbelebten. Einmal, es klappte nicht. Ein zweites Mal, aber es half nicht. Ein drittes Mal und die Maschinen piepten immer noch. Beim vierten Mal hörte das Piepen auf und mein Herzschlag setzte wieder ein.

Ihr könnt euch ja gar nicht vorstellen wie komisch es ist, wenn man sich selber beim sterben zuguckt. Natürlich war mir vorher klar, dass die Ärzte mich wiederholen würden, denn sonst hätte ich doch bestimmt weißes Licht gesehen und hätte hinein laufen müssen, aber ich sah nichts. Nicht mal einen weißen Fleck. Das war doch ein gutes Zeichen, oder?

Ich wollte nicht länger bei mir sein, denn jemand anderes würde mich jetzt mehr brauchen. Ich ging aus dem Zimmer und sah, dass Ben heulend mitten im Gang stand und laut:" Neeeeeiiiiinnnn!" brüllte.

Sofort nahm ich ihn in den Arm, denn es war ganz normal einem Freund, vor allem ihm zu helfen, wenn es ihm schlecht ging. Er hörte auf zu weinen und genoss sogar meine Umarmung. Irgendwann löste ich mich von ihm, denn ich sah, dass meine Eltern den Gang lang stürmten.

"Ben? Was ist los? Man hat uns angerufen. Ist sie aufgewacht?" Meine Mutter war ganz hysterisch und strahlte, doch ihr Lächeln verblasste, als sie sah, dass Ben geweint hatte und mit dem Kopf schüttelte.

Dann endlich kam ein Arzt aus meinem Zimmer und klärte alle auf. Doch der Arzt sagte nicht, dass was ich mir gewünscht hätte. "Amelie ist wieder stabil, doch trotzdem noch im Koma, wir konnten sie wieder zurückholen, doch es wird wahrscheinlich bleibende Schäden davon tragen." Meine Mutter konnte jetzt ihre Tränen nicht mehr zurück halten und Ben taumelte zu den Sitzplätzen. "Wir müssen darüber sprechen, wie lange sie an diese Maschinen angeschlossen sein soll. Denn wir sind jetzt an dem Punkt angekommen, wo ich denke, dass sie nicht mehr ohne Maschinen leben kann. Ich denke nicht,  dass Amelie wieder aufwacht. So leid mir es auch tut."

Das konnte doch jetzt nicht sein ernst sein, oder?

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Und wieder ein Bild von den Beiden ;)

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