9. Kapitel

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- Amelies Sicht -

 Ich schaute gespannt auf die tickende Uhr an der weißen Wand. Seit ich heute Morgen die Info erhalten hatte, verlief die Zeit schneller als sonst.

Meine Eltern waren vor einer Stunde gekommen und saßen seit dem an meinem Bett. Meine Mutter konnte nicht aufhören zu weinen, auch wenn mein Vater sie versuchte zu trösten. Sie weinte die ganze Zeit und ich verstand nicht, wie sie trotzdem die Erklärung abgeben konnte.

Ich war so wütend auf sie. Ich verstand einfach nicht, wie sie mir so was antun konnte. Ich war doch ihre Tochter! Ihr einziges Kind. Sollte man da doch nicht die Hoffnung besitzen, dass das Kind dennoch irgendwann weiterleben könnte?

Wieso hatte ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob es sinnvoll wäre, etwas zu unterschreiben, womit ich weiterführende Lebensmaßnahmen akzeptiere. Wieso hatte ich nie an so einen Fall gedacht? Wieso konnten einfach meine Eltern entscheiden?

Ich war doch schon achtzehn. Ich sollte über mein Leben entscheiden sollen, aber ich konnte es nicht, weil ich nur noch ein Körper war, der nicht mehr ohne Geräte lebensfähig war. Ich war nur noch ein Geist, der zusehen musste, wie man selbst sterben wird. Wie die Geliebten bei einem stehen und trauern. Ich konnte rein gar nichts ausrichten.

Ich verzweifelte. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben die letzten Tage Ben glücklicher zu machen. Ihm zu zeigen, dass ich immer noch da war, aber nichts hatte sich an meiner Situation geändert. Dieser schrecklichen Situation. Es war für nichts. Wieso war ich dann nicht gleich im Himmel? Wieso war ich im Koma? Wieso war ich ein Geist geworden, wenn ich es sowieso nicht schaffe, etwas umzubiegen, hinzubekommen oder besser in meinem Leben zu machen.

Meiner Meinung nach hatte ich mein Bestes gegeben. Doch das Beste hatte nicht ausgereicht. Wieder starrte ich auf den Sekundenzeiger. Noch zehn Minuten. Zehn Minuten, in denen sich meine Eltern von mir verabschieden und dann den Raum verlassen sollten. Und dann würde ich sterben.

- Bens Sicht –

Gestern war sie gar nicht wieder gekommen und ich war auch nicht mehr im Krankenhaus, denn ich hatte ja schließlich selbst noch ein Leben.

Ich hatte ein wichtiges Fußballspiel und war schon die ganzen letzten Wochen wegen Amelie nicht da gewesen. Es war ein Wunder, dass mich der Trainer einfach so hat mitspielen lassen, aber es waren auch viele aus meiner Mannschaft krank, also war es kein Wunder, dass ich eingesetzt wurde.

Fußball war schon immer mein Traum, doch in den letzten Wochen ist mir klar geworden was wirklich wichtig in meinem Leben ist und dazu gehört definitiv nicht Fußball dazu. Man konnte sehr gut ohne Fußball leben, doch ohne Amelie?

Nein. Ohne sie wäre mein Leben kein Leben mehr und ich wäre nicht der Selbe wie jetzt.

Nach dem Fußballspiel war ich aber einfach nur fertig und ließ mich nach einer langen Dusche zu Hause in mein bequemes Bett fallen. Ich schlief sofort ein und wachte auch erst am nächsten Morgen auf. Ich aß gemütlich mein Müsli und trank meinen Orangensaft. Dann fiel mir ein, dass ich ja Amelie eigentlich gestern schon besuchen wollte, es aber nicht geschafft hatte.

Ich schaute auf meine Uhr und bekam einen Schreck. Es war schon fünf vor zwölf und die Besuchszeit ging nur bis um eins. Ich hätte also nur eine einzige Stunde bei ihr. Ich schnappte mir schnell meine Jacke und fuhr los. Als ich an ihrem Zimmer ankam bekam ich einen Schreck. Ihre Maske, die Maske, diese dumme Atemmaske war weg.

Oh mein Gott, sie ist wach, also nicht mehr im Koma und jaaaaa! Sie hatte es geschafft, ich wusste es doch, dass sie mich nicht im Stich lässt. Ich wollte mich dann auch nicht mehr zu ihr setzten, weil ich Angst hatte, dass sie aufwachen könnte, denn sie schlief so friedlich. Ich ging nach draußen zur Anmeldung, um zu fragen, wann sie aufgewacht wäre.

"Hallo, Entschuldigung. Meine Freundin liegt im Zimmer 805 und ich wollte sie fragen, wann sie denn aufgewacht ist. Das war ja jetzt sehr überraschend für mich. Es ging so schnell, damit hätte ich nicht gerechnet." Die Schwester starrte mich an, als ob sie überhaupt keine Ahnung davon hätte was mit Amelie wäre.

"Sie meinen das Mädchen, Amelie im Zimmer 805?" Ich nickte. Ihr Blick wurde auf einmal traurig. "Ich nehme an, dass sie niemand benachrichtigt hat?" Ich schüttelte den Kopf.

"Es tut mir leid ihnen das mitteilen zu müssen, aber ihre Freundin ist leider von uns gegangen. Ihre Maschinen wurden um zwölf Uhr abgestellt. Tut mir leid. Sie können sich aber gerne noch von ihr Verabschieden, wir wollten sie zwar gerade in die Pathologie bringen, aber ich gebe ihnen gerne noch fünf Minuten."

Was hat sie da gesagt? Das war jetzt ein Scherz oder? Sie haben doch nicht die Maschinen abgestellt! Nein, ganz sicher nicht. "Wollen sie sich denn nicht mehr verabschieden?" "Das war also, sie meinen das...Nein!"

Ich brach in Tränen aus und rannte zu Amelie. "Amelie?" Keine Berührung. Sie war weg! Nein! Sie darf nicht einfach weg sein. Ich ging hinüber zu ihrem Körper und nahm ihre Hand, sie war total bleich. Es tat mir im Herz weh sie so sehen zu müssen und ohne, dass ich mich auch groß wehrte flossen immer wieder Tränen meine Wangen herunter.

Am Anfang nur Vereinzelte, doch mit der Zeit wurde es immer mehr, bis ganze Bäche meine Wangen hinunterliefen. Das darf nicht wahr sein. Ich...Ich liebe sie doch! Ich schloss meine Augen und sah das Bild von meinem Nachttisch, von Amelie und mir.

Ich küsste sie und sie war so glücklich. Ich wollte sie so gerne doch noch einmal küssen, ich wollte sie so gerne noch einmal im Arm halten dürfen. Ich wollte ihr sagen, dass ich sie liebe! Ich liebte sie und jetzt hatte ich sie für alle Zeit verloren! Für immer war sie weg, einfach so, ohne, dass ich ihr meine Liebe gestanden hatte.

Die Schwester von der Anmeldung kam in Amelies Zimmer. "Wir würden jetzt gerne..." "Könnte ich noch eine Minute bekommen? Nur noch eine einzige?" Sie nickte mir nur zu und verschwand dann wieder.

"Amelie, ich weiß jetzt nicht ob du das hören kannst. Vielleicht hörst und guckt du ja aus dem Himmel zu, aber ich muss es wenigstens einmal laut ausgesprochen haben in deiner Gegenwart. Ich liebe dich. Ich liebe dich schon seit Jahren, eigentlich schon seit immer, aber ich konnte und wollte es dir einfach nicht sagen. Du warst zwar immer wie eine Schwester für mich, doch trotzdem hatte ich mehr Gefühle für dich. Es tut mir leid, dass alles so enden musste, aber wenigstens weißt du jetzt, dass ich dich liebe. Ich werde nie aufhören dich zu lieben, auch nicht wenn ich dich nie wieder sehen werde. Du wirst mir fehlen. Ich vermisse dich! Du weißt gar nicht wie sehr du mir fehlen wirst! Ich liebe dich!"

Zum Abschied gab ich mir dann noch einen Ruck, strich über ihre kühle und bleiche Wange und gab ihr noch einen Kuss auf die Wange. Doch ich wollte ihr zeigen, wie sehr ich sie liebte und gab ihr dann doch noch einen Kuss auf ihre trockenen und fast schon blauen Lippen.

"Du wirst mir so sehr fehlen. Ich, ich.." Ich konnte nicht mehr. Ich war total am Ende. Ihr Anblick setzte mir so sehr zu, dass ich es nicht mehr bei ihr aushielt. Sie war nicht mehr da. Meine beste Freundin war nun endgültig gegangen und auch meine große Liebe und meine Schwester. Ich fühlte einen stechenden Schmerz in meinem Oberkörper und er kam direkt aus meinem Herzen, denn genau in diesem Augenblick ging mit ihr mein Herz. Es gehörte nur ihr allein!

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Wir wissen, dass es nicht das Ende ist, was sich viele von euch gewünscht haben, dennoch lohnt es sich das nächste Kapitel zu lesen, denn da passieren schon ein paar wichtige Sachen!

Auf dem Bild seht ihr jetzt Ben und Amelie als sie zusammen am Strand waren ;)

Please stay with meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt