#tonia "Nia, ich brauche dich."

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Nia, ich liebe dich.

Nia, ich brauche dich.

Nia, ich bin ein Nichts ohne dich.

Unwirklich lächelnd saß Toni auf der niedrigen, kalten Steinmauer neben dem Grab seines Freundes.

Nia, ich kann nicht leben, ohne dich.

Nia, wie soll ich weitermachen ohne dich?

Das Lächeln auf seinen Lippen war das eines Menschen, welcher gerade alles verloren hatte, und trotzdem versuchte positiv zu bleiben. Doch wie sollte er positiv bleiben können, wenn ihm das letzte Bisschen, was ihm noch wichtig gewesen war, genommen wurde?

Nia, ich kann nicht weitermachen ohne dich.

Wie könnte er es auch schaffen? Er hatte nichts mehr, nichts was ihm noch in irgendeiner Art und Weise etwas bedeutete.

Warum?

Dies war seine einzige Frage. Warum hatte es gerade Nia getroffen? Warum hatte es nicht ihn treffen können? Warum war er noch hier und Nia nicht, wobei er es doch so viel mehr verdient hatte? Warum verdammt nochmal war er schon wieder alleine in dieser scheinbar unendlichen, schwarz-weißen Welt?

Er konnte das nicht alles ertragen, er konnte nicht immer alles verkraften.

Hätte es für Außenstehende vielleicht sogar ausgesehen, als wäre er glücklich, so, wie er da mit einem Lächeln saß? Vielleicht ging ein Fremder vorbei, und dachte sich nichts dabei, er sah nur einen lächelnden jungen Mann, der an einem ganz normalen Tag, auf einer ganz normalen Steinmauer saß. Vielleicht würde dieser Mensch denken, dass er den Tod eines Bekannten verkraftet hatte, vielleicht dachte man auch, dass er einfach nur so auf dem Friedhof saß. Doch wieso machte Toni sich überhaupt so viele Gedanken darüber, was andere Menschen denken könnten? War es ein Schutzmechanismus seiner Psyche, ihn über irrelevante Dinge nachdenken zu lassen, um ihn von der Verzweiflung abzulenken?

War es nicht genauso irrelevant darüber nachzudenken, wieso man über irrelevantes nachdachte?

Allerdings merkte Toni, dass er durch diese Irrelevanz kurzzeitig anderes vergaß und versuchte krampfhaft, über die unwichtigen Dinge seines Lebens nachzudenken, doch je mehr er dies versuchte, desto weniger funktionierte es und dieser eine Satz schlich sich wie ein Parasit in seinen Kopf und nistete sich dort ein. Nia ist tot.

Schon wieder begann sein Körper, zu zittern und obwohl es mindestens 15 Grad waren, schlang er fröstelnd die Arme um seinen dünnen Körper. Jetzt hätte er wohl für einen Außenstehenden nicht mehr ganz so normal ausgesehen. Und wieder merkte Toni, dass er, je weniger er daran dachte über die scheinbar unwichtigen Dinge nachzudenken, umso mehr über diese nachdachte, doch sobald es ihm auffiel verschwanden sie wieder, zerplatzten wie eine Seifenblase.

Konnte er nicht einfach bis ans Ende seines Lebens in dieser Welt aus Seifenblasen gefangen sein, um den Schmerz nicht mehr zu spüren? Könnte er nicht irgendwie seine Gedanken betäuben?

Wie er immer sagte, war Selbstmord für ihn keine Lösung. Doch was war, wenn die Gedanken ihn so fertigmachten, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass es endlich aufhörte? Er wusste, er würde es nicht tun, aber alleine die Vorstellung lenkte ihn ein klein Wenig ab und übertönten für den Bruchteil einer Sekunde die Verzweiflung über Nias Tod.

Mit zitternden Beinen erhob er sich von der kleinen Steinmauer und stolperte den halben Meter zu dem weißen, glatt geschliffenen Grabstein seines Freundes. Er kniete sich in die noch frische Erde vor dem Meer aus Blumen und starrte auf den Namen und das Todesdatum. Innerlich weigerte sich sein Unterbewusstsein, zu realisieren, dass Nia nie wieder bei ihm sein würde. Doch er wusste es. Er wusste, dass er ihn nie wieder in seine Arme schließen würde, er wusste, dass er ihn nie wieder küssen würde, er wusste, dass sein Alltag sich komplett in eine graue Routine verwandeln würde. Doch er wollte es nicht wahrhaben. Er wollte, dass Nia bei ihm war und ihm sagte, dass das Ganze nur ein Traum gewesen war, dass die letzten paar Tage nie passiert waren, und dass er hier, bei ihm, war und ihn niemals allein lassen würde. Nur, dass Tote nicht fähig waren, sich zu bewegen, berücksichtigte er bei seiner Vorstellung nicht.

Mit leerem Blick musterte er die Massen an Blumen auf dem frischen Grab. Rosen, Lilien, Tulpen, alles Mögliche war dabei. Toni hatte keine Blumen mitgebracht. Er wusste, dass Nia es nicht gewollt hätte. Diese Blumen waren für ihn nur ein wertloses Zeichen für die falsche Trauer mancher Menschen, die sich schlicht dazu gezwungen fühlten, um barmherzig und mitleidig rüberzukommen.

Ihm stiegen Tränen in die Augen, welche er krampfhaft zurückzuhalten versuchte. Er wollte nicht weinen. Er wollte nicht, dass Nia sah, wie schlecht es ihm wegen seinem Tod ging. Vielleicht würde er es nicht einmal sehen, doch wer konnte das schon wissen?

Nia, wo bist du nur?

Erschöpft stützte Toni sich mit den Händen auf dem Boden ab, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass seine Haut mit Erde beschmutzt wurde. Nur wenige Meter unter ihm befand sich der leblose Körper seines Freundes. Toni wusste, er würde irgendwann verwesen, die Blumen auf dem Grab würden irgendwann verwelken, die Welt drehte sich ganz normal weiter, sie beide waren nur ein winziger Teil des Ganzen und trotzdem fühlte es sich für Toni an, als stünde die Welt seit Nias Tod still.

Youtuber Oneshots (Tonia, Jublali, Jandre u.a.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt