s e v e n t y s i x

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  Nachdenklich grübelte ich an meiner letzten Aufgabe herum. Ich war so kurz davor endlich fertig zu sein, aber ausgerechnet jetzt, in der letzten Viertelstunde, machte sich ein Gedanke in meinem Kopf breit, der da nicht hingehörte. Es war falsch daran auch nur eine Sekunde zu denken.
  Verkrampft schrieb ich eine weitere Rechnung auf mein Papier und löste diese bevor meine Gedanken wieder zu Hongbin kamen. Der Kuss gestern war anders gewesen als die davor.
  Es war bestimmt nur Einbildung, aber im Vergleich zu Leo war Hongbin einfach einfühlsamer im Moment und ich spürte das. Egal bei was. Ob es nur seine Art war oder seine Berührungen. Leo war seit meiner Nachricht gestern auf Abstand gegangen. Er hatte zwar nach mir gesehen, war da für mich, aber nicht wie Hongbin.
  Die Person die ich am meisten liebte erinnerte mich am meisten an die Sache, die mein Leben fast ruiniert hätte und jetzt entfernte er sich auch noch von mir. Oder ich entfernte mich von ihm. So sicher war ich mir da nicht ganz.
  "Noch fünf Minuten, Leute", rief unsere Aufsicht in den Raum.
  Juhu. Wenn ich mich jetzt noch konzentrierte, dann packte ich die letzte Aufgabe noch locker. Verbissen starrte ich auf das Papier, dann schrieb ich wieder.

  Pünktlich lief -besser gesagt, humpelte- ich zusammen mit Jimin aus dem Klassenzimmer. Jimin war wieder voll in ihrem Element und sie quatschte über alles was ihr in den Sinn kam. Hauptsächlich ging es darum, dass die Matheprüfung viel zu kompliziert war. Außerdem hatte es viel zu viele Aufgaben gegeben.
  Als wir das Dorm erreichten verabschiedete sie sich von mir, übergab mir meinen Rucksack und eilte davon mit den Worten, dass sie noch mit den Managern reden musste, damit sie für unseren Umzug am Sonntag alles klären konnte. Mir fiel dabei ein, dass ich meine Eltern auch noch genauer informieren konnte. Sie hatten gestern nur die Kurzfassung zu hören bekommen.
  Als ich gerade die Haustüre aufschließen wollte fuhr ein Auto vorbei mit einem lauten Hupen. Ich drehte mich schlagartig um und Bilder blitzten vor meinem inneren Auge auf.
  Der Schrei. Das Auto. Der Schlag. Der harte Asphalt unter mir. Der Aufprall und die darauf folgenden Schmerzen. Es war als würde ich alles wieder erleben... Und nur ein verdammter, kindischer Streit war schuld daran.
  Panisch schnappte ich nach Luft und versuchte wieder ruhiger zu werden. Es gelang mir nicht. Mit zitternden Händen schloss ich schließlich die Tür auf und humpelte die Treppe hoch. Sobald ich im Dorm war knallte ich die Tür hinter mir zu und holte tief Luft.
  "June?", Ravi sah aus der Küche raus.
  Ich ignorierte ihn einfach und versuchte langsam meine Jacke auszuziehen.
  "Was um alles in der Welt ist mit dir passiert?", Ravi eilte zu mir und half mir ungefragt.
"Nichts. Einfach nichts...", ich schüttelte meinen Kopf.
"June-ah, bitte!"
"Okay! Ich hab Panik bekommen. Diese Straße, diese verdammten Autos, dieses Dorm, du... Ich bin so blöd und habe einen Unfall gebaut den ich hätte echt nicht haben müssen, und jetzt erinnert mich alles daran. Angefangen morgens wenn ich in meinem Zimmer aufwache, bis hin wenn ich Abends wieder dieses Dorm betrete. Ich habe es satt Ravi. Ich will nicht mehr. Und du machst die Situation auch nicht besser. Eher schlimmer", ich schrie fast, aber die Worte flossen einfach so aus mir heraus.
  Ravi riss seine Augen auf und sah mich überrascht an. Er hat wohl mit vielem gerechnet, nur mit keinem Ausbruch.
  "Starr mich nicht so an verdammt...", ich schmiss mein Rucksack samt Krücken auf den Boden. "Ich hab es einfach so satt!"
  Stille. Ich hing meine Jacke an die Garderobe und sammelte ungeschickt meine Sachen wieder auf. Ohne weiter auf meinen Bruder zu achten humpelte ich an ihm vorbei.
  "June-ah... Du solltest mit mir reden! Ich höre das jetzt das erste Mal!", Ravi eilte mir schließlich doch hinterher.
"Kein Bedarf. Es ist gerade schon alles gesagt worden", knurrte ich nur.
"June. Bitte."
"June mich nicht immer wenn du unbedingt deinen Dickkopf durchsetzen willst."
"Wie kann ich dann mit dir reden?"
"Gerade gar nicht", ich öffnete meine Zimmertür und humpelte in den Raum. "Und wenn du mich entschuldigen würdest. Ich hab noch zwei Tests vor mir. Ich muss noch ein bisschen etwas durchlesen."
  Mit diesen Worten knallte ich meine Tür zu. Ich bräuchte jetzt Ruhe. Mein Herz raste immer noch, und das nicht im positiven Sinne. Immer noch spürte ich eine Spur von Panik in mir. Langsam setzte ich mich an meinen Schreibtisch und zog mein Buch heraus. Lernen musste ich nicht viel für Englisch und Bio, aber ich ging die Sachen doch noch einmal durch.
  Es war eine wirklich gute Ablenkung. Ich konnte so vergessen was tief in mir saß. Angst. Angst davor mein Leben doch noch zu verlieren, oder schlimmer, nie wieder richtig mit meinem klarkommen...!

  Ein leises Klopfen riss mich aus den Gedanken. Ich saß schon einige Minuten einfach so an meinem Schreibtisch und tat nach drei​ Stunden lernen nichts mehr.
  "June-ah?"
"Oh, hi, Hongbinnie", ich streckte mich und bereute es direkt.
  Mein kompletter Körper schmerzte noch mehr als sonst. Mein Blick flog auf meine Uhr, was einiges erklärte. Schon vor zwei Stunden hätte ich meine Tabletten wieder nehmen sollen.
  "Ist alles okay?"
"Schon... Hilfst du mir kurz auf? Ich glaube nicht, dass ich es überhaupt in die Küche noch schaffe."
"So schlimm wieder?"
"Nein. Hab nur meine Tabletten vergessen. Schmerzt etwas mehr als vorhin. Das ist alles", ich hielt ihm meine Hände hin.
  Ohne zu zögern half er mir und stützte mich. Ich verzog allerdings mein Gesicht, als ich den stechenden Schmerz in meinem Fuß spürte. Panisch klammerte ich mich an Hongbin und schnappte nach Luft.
  "Okay, nein. June-ah, so geht das nicht. Du setzt dich hin und ich hole alles."
"Hongbinnie... Das musst du nicht tun", murmelte ich nur, auch wenn mir bewusst war, dass es ihm egal war mehr oder weniger.
  Verlegen saß ich also auf meinem Bett und wartete auf Hongbin der zwei Minuten später wieder kam. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen setzte er sich neben mich und hielt mir ein Glas Wasser hin und in der anderen Hand das Döschen mit den Tabletten. Ich nahm das Döschen und entnahm die Tabletten für heute Mittag. Ohne zu überlegen nahm ich sie in den Mund und nahm Hongbin auch noch das Glas weg.
  "June-ah... Du solltest dich vielleicht ausruhen. Du hast jetzt schon wieder viel zu lange hinter deinen Büchern versteckt...", Hongbin strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.
"Könnte schlimmer sein...", meinte ich nur leise.
"June..."
  Ich warf ihm nur kurz einen Blick zu. Hongbin sah mich mit einem ernsten Blick an.
  "Du lässt mich aber nicht alleine", meinte ich mit Tränen in den Augen.
"Natürlich nicht", Hongbin lächelte leicht und umarmte mich vorsichtig.
  Ich lehnte mich an ihn und kämpfte weiter mit meinen Tränen. Gerade war ich an einem Punkt an dem ich nicht genau wusste was ich sagen oder tun sollte...
Ich konnte nicht Mal hoffen, dass alles besser wurde. Ich konnte es einfach nicht.

Guten Mittag meine liebsten Kekse 💕
Eskalation bei mir...

Weil Platz #360!!! Danke. Danke. Danke! Einfach unglaublich. Vor allem nachdem ich gestern nicht Mal etwas hochladen konnte weil ich bis mitten in der Nacht unterwegs war. 😪
Ich hoffe euch hat dieses Kapitel gefallen. Habt noch einen schönen Samstag. 😉

💕
xoxo eure Luna 💕

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