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„Äh Sam. Wie lange stehst du da schon?", fragte er nervös und kratzte sich am Hinterkopf.

„Ich denke, lange genug." Mit diesen Worten stellte ich die Gläser auf seinen Schreibtisch und drehte mich um. Mit schnellen Schritten flüchtete ich aus der Tür und rannte die Treppen hinunter.

Er hat mich angelogen. Er hat mich angelogen. Er. Hat. Mich. Angelogen.

Die Stimme in meinem Kopf hatte sehr viel Spaß, diesen einen Satz in verschiedenen Ausführungen immer wieder zu wiederholen.

Ich wollte gerade nach meiner Jacke greifen, als Toby mich am Handgelenk packte, um mich zu sich umzudrehen. „Ich kann das erklären.", sagte er den Satz, den ich bereits in gefühlt jedem Film gehört hatte.

„Ich warte.", schnaubte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Jetzt sollte er mal erklären.

Toby setzte sich auf die unterste Treppenstufe und bedeutete mir, mich neben ihn zu setzen.

Ich blieb stehen und funkelte ihn weiter abwartend an.

„Ich habe dir ja erzählt, dass Safira versucht hat, mich zu küssen. Das war in der Küche, als ich gerade abgewaschen habe. Und ich habe sie abgewiesen, so wie ich es dir erzählt hab. Aber..." Er stockte und sah sich im Flur um, damit er mich nicht anschauen musste. Sein Blick lag nach einigen Sekunden auf dem kleinen Schuhregal, das er anscheinend plötzlich sehr viel interessanter fand.

„Aber..?", hakte ich mit einem scharfen Unterton nach.

„Nun ja... Am Abend kam sie dann nochmal in mein Zimmer. Ich hab gerade am Schreibtisch gesessen und noch ein bisschen für einen Kurs, den ich da hatte, gelernt. Weil ich dachte, es wäre Sebastian – der, mit dem ich mir das Zimmer geteilt hab – habe ich nur gesagt, dass die Tür auf ist, und habe nichtmal den Kopf gehoben, als die Tür aufging. Es war zehn Uhr abends und ich hätte nicht damit gerechnet, dass Safira um diese Uhrzeit nochmal in unseren Stock kommt. Und Sebastian war 'ne halbe Stunde vorher aus dem Zimmer verschwunden."

„Du schweifst ab.", merkte ich kühl an. Es ging mir so wahnsinnig auf den Keks, dass er mich angelogen hatte. Nein, es verletzte mich. Er hatte mir in die Augen geschaut und mir versichert, dass da nichts war. Doch sie hatte ihn geküsst.

„Tut mir Leid. Also, ich saß am Schreibtisch und hab erst aufgesehen, als ich ein Räuspern gehört hab. Da stand Safira dann vor mir..." Weil er wieder eine Pause machte und sich diesmal seine Füße anschaute, spielten sich in meinem Kopf alle möglichen Szenarien ab. Safira, die - nur mit einem Bademantel bekleidet - mitten in Tobys Zimmer stand, Toby, der sich auf sie stürzte und ihr den Frotteemantel abnahm, wie er sie auf sein Bett trug...

Meine Gedanken wurden von Toby unterbrochen, der weiter sprach.

„Ich bin auf sie zugegangen und hab sie gefragt, was sie so spät noch hier machen würde. Sie hat so komisch geguckt, sollte wohl sexy aussehen, und meinte, ich wüsste es ganz genau." Er schüttelte den Kopf und schnaubte kurz. „Ich habe dann erwidert, dass sie mal besser wieder in ihr Zimmer gehen sollte, und da hat sie sich dann an meinen Hals geworfen und mich geküsst. Ich wusste erst überhaupt nicht wie mir geschah," - Als er das sagte, schnaubte ich. Der Satz ist ja wohl mal ultraalt! - „aber als ich das dann realisiert hab, hab ich sie sofort von mir weggeschubst und sie rausgeworfen. Ehrlich!", fügte er hinzu, weil ich eine Augenbraue hochgezogen hatte. (Ich war wirklich stolz auf mich, dass ich das konnte, schließlich hatte ich das monatelang immer wieder mit Mary geübt, weil ich das auch können wollte.)

Jetzt kam Toby auf mich zu und wollte meine Hand nehmen, doch ich blieb stur. „Ach Sam, es tut mir Leid, das hätte nicht passieren dürfen."

„Was hätte nicht passieren dürfen?", fragte ich wütend. Ich wusste, was er sagen würde.

„Na der Kuss. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass es soweit kommt." Toby vergrub seine Hände in seiner Hosentasche.

„Nein. Du verstehst es nicht. Du verstehst einfach nicht, worum es mir geht! Der Kuss ist mir eigentlich ziemlich egal. Wenn du sagst, dass du sie weggestoßen hast, dann muss es so gewesen sein. Ich glaube dir das. Weil ich dir vertraue. Na ja. Vertraut hab. Wo ich so drüber nachdenke, glaube ich dir das vielleicht doch nicht." Ich wurde leiser und sprach mehr oder weniger mit mir selbst. Als ich dann Tobys zerknitterten Gesichtsausdruck sah, wurde ich wieder lauter und ging auf ihn zu.

„Du. Hast mich. Angelogen! Und das ist das Schlimmste! Ich habe dich gefragt, ob ihr euch geküsst habt, ob etwas passiert ist. Du hast es verneint und ich hab dir geglaubt. Weil ich dir vertraut hab! Aber für dich scheint das ja nicht so wichtig zu sein, dir geht es um die Entschuldigung für den Kuss! Ich will dir einfach vertrauen können, kapiert?! Ich brauche so eine Lügerei echt nicht!" schmetterte ich ihm ins Gesicht, drehte mich um und griff nach der Klinke der Haustür. Von Toby hörte ich noch ein „Sam, warte bitte!", ehe ich die Haustür zuknallte...

|| Oh oh, Ärger im Paradies... Wie geht es wohl weiter? Was macht Toby, was macht Sam?

Bis bald,

deine Helen ;-)

Das JahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt