Sibirien, 25. April 2018 (trotzdem nicht viel wärmer...)
Ich hatte gewusst, dass es irgendwann zu diesem Punkt kommen würde, dem einzig entscheidenden Moment, in dem es um Leben und Tod ging. In diesem Fall um das Leben ziemlich vieler, insbesondere jedoch um Selians und Alex', mein Alex. Denjenigen, den ich liebte und der auf die versprochene Rettung nun schon seit einem Monat warten musste. Ich wusste nicht, was Viola ihm angetan hatte, wollte es vielleicht auch gar nicht wissen. Der Zustand, in dem ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war schrecklich gewesen. Ein lebloser Alex, auf dem Boden zusammengesunken neben Viola, die ihn betrachtet hatte als wäre er eine Trophäe. Eine Trophäe für ihren Sieg.
Sie hatte gesagt er sei nicht tot sondern nur körperlich ausgeschaltet- wie hatte sie das gemacht? Das, was ich inzwischen über die Magie verstanden hatte, war, das alles mit Molekülen zusammenhing. Konnte sie also in irgendeiner Weise seine Zellen im Körper kontrollieren? Und damit die Signale der Nervenbahnen blockieren? Eine andere Lösung fiel mir partout nicht ein.
„Louise, denk an unsere Plan! Konzentration!", rief mir Estella, meine Mutter, zu. Sie war die einzige die mich nicht wie jeder andere bei meinem Spitznamen, Lou nannte, sondern auf meinem vollen Namen bestand. Jedes Mal wenn sie ihn aussprach hatte ich dabei das Gefühl ich hätte dieses Louise, bei i und das s so stark betonte schon seit meinem ersten Lebensjahr gehört. Vielleicht war es aber auch einfach die Mutter-Tochter-Bindung die mich die Zeit, in der sie nicht für mich da gewesen war, so einfach vergessen ließ.
„Ich versuche es." Ich wusste, dass es jetzt auf mich ankam, ich war der wichtigste Teil des Plans und wenn ich es nicht schaffen würde, hätten wir versagt. Estella zählte auf mich, Emanuel Gilberto zählte auf mich und von Selian und Alex wollte ich gar nicht erst anfangen. Und deswegen knirschte ich wütend mit den Zähnen, als sich das viele Training nicht auszahlen wollte, und das gerade heute. Von Estella, die mir in ein paar Metern Entfernung Anweisungen gab und von mir das erwartete, was sie mir unermüdlich eingetrichtert hatte wollte ich erst gar nicht anfangen.
„Okay, ich schaffe das", redete ich mir zu, in der Hoffnung, damit den Schalter umzulegen. „Du hast schon viel mehr geschafft."
„Louise, denk an das, was ich dir gesagt habe! Du musst die Magie fühlen, du musst zulassen, dass sie von dir Besitz ergreift, du musst zulassen eine MAGIERIN zu sein!" Vielleicht war ja das der Punkt, an dem es hakte. Ich hatte mich bisher immer nur als, nun ja, Louise betrachtet. Vollwaisin, die fast schon nerdige Fähigkeiten hatte mit denen sie bei niemandem angeben konnte, weil ihr sonst eine Irrenanstalt drohte. Hier, unter richtigen Magiern konnte ich endlich das sein, was ich war, ein Kind meiner Eltern und damit ebenfalls eine Magierin. Aber ich hatte es nicht zugelassen, hatte mir immer noch den Stempel einer Außenseiterin gegeben. Wie änderte man dieses Gefühl von einer Sekunde auf die andere?
Ich stand unter enormem Druck, die anderen waren bereits von unserem Lager aufgebrochen und warteten nun darauf, dass ich ihnen die Tür öffnete. Klang leichter gesagt als getan. Und wenn ich es nicht schaffen würde, wenn ich mich jetzt nicht schleunigst entmaterialisieren würde, wären sie den wahren Magiern komplett ausgeliefert, jede Sekunde die sie unschlüssig vor verschlossenen Türen standen wäre eine zu viel.
„Denk an Alex." Jeder einzelne Tag war eine Qual gewesen, die Gewissheit das er bei seiner verrückten Tante war, der alles mögliche zuzutrauen war. Sie hatte gezeigt wozu sie fähig war, als sie Alex in diesen Zustand versetzt hatte. Dass sie sogar vor einem Mord an ihrem eigenen Neffen nicht zurückschrecken würde um ihren irrwitzigen Plan in die Tat umzusetzen. Und der war es, die Magie zu etwas einzusetzen, was für die Welt eine Katastrophe wäre.
Ich hatte es schon vorher geschafft, sonst wären wir heute, zu dieser Sekunde wohl nicht an diesem Punkt, aber da war es irgendwie einfacher gewesen. Was hatte ich damals anders gemacht als jetzt?
Ich hatte mir meine Familie in den Sinn gerufen, jetzt sogar zwei Familie, die immer hinter mir standen. Ich hatte mir in den Sinn gerufen, für wen ich das tat. Und ich hatte einfach losgelassen.
„Ja! Louise, du weißt was du zu tun hast, viel Glück!" Ich öffnete die Augen einen Spaltbreit um zu sehen, wie Estella jubelnd ihre Arme hob und linste dann nach unten. Meine Füße begannen bereits, zu bröckeln, fast zu zerfallen, wie Sand der nach einer heißen Trockenzeit einstürzt. Auch meine Arme. Die Farbpartikel, alles, schien vom eisigen Wind verweht zu werden und ich kniff die Augen zusammen, damit mir nicht wie beim ersten Mal übel wurde, wenn die Welt vor meinen Augen verschwamm.
Was passierte, war eigentlich ganz leicht zu erklären. Die Moleküle, meine Moleküle, meine Zellen, telepatierten an einen anderen Ort. Wie genau das vonstatten ging wusste ich auch noch nicht genau, Estella hatte etwas von Energiebanden gefaselt, dessen Weg sie folgen würden. Auf jeden Fall telepatierten sich meine Zellen, wenn es gelang, von einem Ort zum nächsten und erschienen dort in ihrer vorherigen Form. Das war es, was man als gelungen bezeichnen würde. Alle anderen wurden nie wieder gesehen.
Ich fühlte nichts, es war, als wäre ich für einen Moment einfach nicht da, etwas, das man nicht beschreiben konnte, und dann auf einmal wieder Schwerkraft, die an mir zog. Das war der Moment, um die Augen wieder zu öffnen. Dieser Trick erforderte Willensstärke, die Kenntnis des Ortes, an den man reisen wollte, und gutes Timing. Denn mir wäre es eher unrecht, in dem Moment in dem ich mich wieder materialisierte, in einer gefährlichen Situation zu landen.
Ich kannte den Ort gut, es war ein kleiner Seitenabschnitt der Halle, uneinsichtig für andere und perfekt für mich. Das Problem waren die vielen aufgeregten Leute, die herumwuselten als wäre eine Seuche ausgebrochen. Aber das hier war der Ernstfall, sie wussten das wir kamen und waren sicher nicht unvorbereitet.
Mein Einsatz, mich unsichtbar zu machen und zur großen Tür zur schlüpfen, die sorgsam verriegelt, und das sicher nicht nur mit einem Schloss aus Aluminium, war. Aber das war kein Problem denn dank meiner fast schon meisterhaften Erfahrung im Knacken von Schlössern war ich in nicht einmal zwanzig Sekunden fertig und stieß die große Eingangstür auf, die den Schneesturm von draußen in die Halle ließ. Alle Köpfe drehten sich ruckartig zu mir, obwohl ich ja noch immer unsichtbar war. Aber sie sahen nicht mich an, sondern die gut fünfzig Gestalten, die in diesem Moment aus einer gut drei Metern hohen Schneewehe auftauchten und in Richtung offener Tür rannte. Und dann brach die Hölle los.
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Und damit gehts jetzt auch richtig los mit Something like power!
Lou ist wieder am Start... und findet diesmal hoffentlich ihr Glück...
Findet noch jemand dass der Titel des Kapitels klingt wie aus einem schlechten Actionfilm? XD
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Something like power
FantasyDas Finale der Magic-Trilogie. Lou, der 17- jährigen Magierin, stehen schwierige Entscheidungen bevor. Sie hat ihre Antworten bekommen, aber zu welchem Preis? Menschen, die sie liebt schweben in Gefahr und alles scheint auf einen finalen Kampf hinau...