Something like power

Magic Island

Salem, today

Der Rest der Stadt war vergleichsweise langweilig zu dem, was ich gerade erfahren hatte. Mein Mittagessen nahm ich in einem kleinen Lokal namens „The Sandwitch" ein, dessen Namen mich zugegebenermaßen amüsierte. Obwohl Philine sicher ein Fan der absolut frischen Salate gewesen wäre, kam ich auch alleine gut zurecht und versuchte, meine Freiheit zu genießen. Die Einwohner Salems erschienen mir zwar distanziert, aber durchaus freundlich zu Fremden, was man von der Mutter der Wahrsagerin nicht gerade behaupten konnte. Die Worte ihrer Tochter kreisten mir immer noch im Kopf herum. Heute Abend am Strand. Geschlossene Veranstaltung. Was heute Abend am Strand passieren würde, damit die Veranstaltung geschlossen war, war unklar. Aber was ich mit Sicherheit wusste: dass ich dort auftauchen würde. Und Philine wäre auch dabei, ob nun freiwillig oder nicht. 

Morgen Mittag würden wir von Boston aus mit einem privaten Flugzeug nach Paris fliegen, um Estella und noch einige andere aufzusammeln. Obwohl ich Angst hatte, konnte ich es gar nicht mehr erwarten, meine Füße endlich wieder auf europäischen Boden zu setzen. Ich erlaubte mir nur positive Gedanken und deswegen dachte ich über so banale Dinge wie mein Leben im nächsten Jahr nach. Eigentlich konnte ich nichts machen, ich hatte ja nicht einmal einen Schulabschluss! Viola, und damit auch Alex hatten meine schulische Karriere vollkommen zerstört. Ich wollte nicht noch ein Jahr länger in der Schule bleiben. Und schon gar nicht in meiner Schule in Richmond, in der mich jeder ansah, als wäre ich gerade frisch von den Toten auferstanden. Ich wollte leben und meine neuen Grenzen noch weiter ausdehnen. Aber wie genau ich das schaffen sollte, war mir schleierhaft. Ich dachte auch über mein neues Geschwisterchen nach und ob es sich in der Welt der Magier ohne selbst die nötigen Fähigkeiten dazu besaß, wohl zurechtfinden würde. Denn ich hatte die Fletchers in eine Welt geführt, die sie womöglich nie wieder vergessen konnten und die genauso beängstigend wie auch aufregend war.

Irgendwann hatte ich alles in Salem gesehen und war zu müde, um noch einen längeren Heimweg auf mich zu nehmen. Das war es also gewesen, mein Aufenthalt in Amerika. Das Land, das geradezu nach Freiheit schrie und dessen Einwohner paradoxerweise immer noch an den Traum eines unbeschwerten Lebens glaubten. Ohne mich nach möglichen Beobachtern umzusehen benutzte ich meine Magie, um die Tür zu unserem Domizil zu öffnen. Von Schlüsseln hatten Magier ja anscheinend noch nie was gehört. Fast erwartete ich, Philine immer noch an der gleichen Stelle aufzufinden, an der ich sie morgens auch verlassen hatte, also im Pool. Aber überraschenderweise war sie sogar drei Meter weiter gewandert, bis zum Sofa, und unterhielt sich angeregt mit Dean, Emanuels Assistent oder Praktikant oder was auch immer. Eigentlich nicht unterhalten, sie hielt ihm mehr ein Blatt Papier unter die Nase und macht ein paar Kommentare, nachdem sie darauf herumgekritzelt hatte. Es sah sehr mysteriös.

„Was machst du da?" Philine fuhr erschrocken herum und griff sich an die Brust.

„Louise, mach das nicht!"

„Was?"

„Einfach so aus dem Nichts aufzutauchen." Dabei lag das gar nicht an mir sondern eher an Philines fehlender Aufmerksamkeit für ihre Umgebung.

„Hier." Sie hielt mir das Blatt hin und ich legte den Kopf schief. Es sah aus wie eine blaue Katze. Ein sehr abstraktes Gemälde.

„Das wird DIE Kreation meiner Kollektion!", rief sie begeistert.

„Was ist DAS genau?" Ich hatte es wirklich für ein Tier gehalten. Vielleicht war es ja ein totes Tier.

„Ein Umhang, sieht man das nicht? Am Besten verdoppeln wir die Produktionszahlen schon mal, das wird der neue Modeschrei!"

„Hm." Vielleicht hatte sie ja recht, ich verstand wirklich nicht viel von Haute Couture. Nach einem Blick aus dem Fenster und zum immer dunkler werdenden Himmel, der heute von wenig Wolken bedeckt war, erinnerte ich mich die Einladung. Glücklicherweise tauchte in genau diesem Moment Emanuel auf.